Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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2. September 1806 Bergsturz von Goldau in der Schweiz

Für die Menschen war es eine Katastrophe, an der sie jahrzehntelang tragen würden. Für die Natur einfach eine weitere Veränderung. Der Bergsturz in Goldau in der Schweiz. Heute blühen auf dem Areal seltene Orchideen und andere Pflanzen. Das Abbruchgebiet ist ein Mekka für Botaniker. Autor: Markus Mähner

Stand: 02.09.2021 | Archiv

02 September

Donnerstag, 02. September 2021

Autor(in): Markus Mähner

Sprecher(in): Johannes Hitzelberger

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Eigentlich hätte man ja wissen können, was bevorstand! Schon einige Tage vor dem 2. September 1806 hörte man wiederholt ein merkwürdiges Knallen aus dem Wald oberhalb der Ortschaft Goldau im Kanton Schwyz. Holzhauer hatten von mehreren Spalten und Rissen im Boden berichtet, die anscheinend auch Wurzeln zum plötzlichen Reißen gebracht hatten. Daher das seltsame Geräusch. Und: Die Risse wurden immer größer, einige Felsbrocken lösten sich und rollten den Hang hinab, bis dann...

Bergrutsch!

Ja, bis sich dann gegen 17 Uhr abends an jenem zweiten September der ganze Hang löste und eine Fläche, mehrere hundert Meter breit und zwei Kilometer lang, ins Tal raste. In wenigen Minuten waren 40 Millionen Kubikmeter Gestein den Rossberg hinabgerutscht – das entspricht dem Volumen von vierzig Empire State Buildings. Die Orte Goldau, Röthen und Teile von Buosingen waren in wenigen Augenblicken ausgelöscht. Sie wurden unter einer Schuttschicht begraben, die bis zu fünfzig Meter hoch war. Das Westufer des Lauerzersees wurde zugeschüttet. Das verursachte eine massive Flutwelle. Insgesamt kamen rund 500 Menschen ums Leben. Eine riesige Tragödie, die eine bis dahin nicht gekannte Anteilnahme auslöste. Spenden und Hilfsangebote kamen aus der ganzen Welt. Noch immer gilt der Bergsturz von Goldau als die größte Naturkatastrophe der Schweiz.

Mensch und Natur

Doch was für die Menschen eine Katastrophe war, war für die Natur selbst lediglich eine Veränderung.

Vielleichtsogar eine, die – selbst mit menschlichen Maßstäben gemessen – durchaus auch "positiv" gesehen werden kann. Denn als die Nagelfluhmasse zu Tal donnerte, zerteilte sie sich in lauter kleine Brocken, die noch heute die Gegend zu einer einzigartigen Landschaft machen. Unter der Nagelfluhschicht befand sich stark wasserhaltiger Mergel. Der löst nach starken Regenfällen auch heute noch die Destabilisierung des Hanges aus. Doch in Kombination mit den zerteilten Nagelfluhbrocken entstand ein äußerst fruchtbarer Boden: Laub- und Nadelbäume, Sträucher, Moose, Farne, Kräuter, etliche Gras- und Blumenarten machen das Abbruchgebiet zu einer wahren Fundgrube für Botaniker. Allein die Orchiedeenvielfalt verschlägt so Manchem die Sprache: Sage und schreibe die Hälfte aller in den gesamten Alpen beheimateten Orchideenarten gibt es auf diesem kleinen Flecken zu bestaunen. Das macht ihn zu einem Naturschutzgebiet, das zahlreiche Touristen anzieht.

Doch der Berg ist noch immer in Bewegung und könnte jederzeit wieder ins Tal rutschen, wenn auch vorerst nur in kleineren Ausmaßen. Vielleicht nimmt er dann auch die Orchideen mit. Sicher ist: Es wird irgendetwas Neues entstehen. Denn Katastrophen gibt es nur für den Menschen, für die Natur lediglich Veränderung. 


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