Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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29. September 1817 Rose de Freycinet feiert Geburtstag vor Gibraltar

Manchmal muss eine Frau eben tun, was eine Frau tun muss. Selbst wenn das bedeutet, Männerkleider anzuziehen und heimlich ins Abenteuer aufzubrechen. Wer hätte eine Frau an Bord auch mitgenommen? Autorin: Ulrike Rückert

Stand: 29.09.2016 | Archiv

29 September

Donnerstag, 29. September 2016

Autor(in): Ulrike Rückert

Sprecher(in): Ilse Neubauer

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Am Montag verschwand Rose de Freycinet aus ihrer Wohnung in Toulon. Die Nachbarn glaubten, sie sei zu Verwandten gereist. Am Dienstag ging Kapitän Louis de Freycinet noch einmal von Bord der Uranie, die blankgeputzt im Hafen lag, bereit für die große Forschungsreise in die ferne Südsee. Erst nach Mitternacht kam er zurück, mit einem jungen Mann in Leutnantsuniform, den die verblüfften Offiziere an Deck noch nie gesehen hatten.

Alle Mann an Bord

Rose und Louis trieben ein riskantes Spiel mit ihrer Verkleidungskomödie. Die Südsee-Expedition war ein Prestigeprojekt für Frankreich und der Ruf der Marine nach etlichen Skandalen schwer angeschlagen. Niemals hätte man Louis erlaubt, seine Gattin mitzunehmen. Eine junge Frau auf einem Schiff mit hundertvierzig Männern, da war doch das Desaster vorprogrammiert. Aber Rose hatte einen dicken Schädel. Als Strohwitwe zu Hause sitzen, wenn auf der anderen Seite der Erdkugel das Abenteuer winkte? Auf keinen Fall!

Rose zitterte die ganze Nacht vor Angst. Hatte sie jemand erkannt? War der Hafenadmiral schon alarmiert, würde sie in letzter Minute von Bord gezerrt? Am Morgen glitt die Uranie aus dem Hafen - mit Rose de Freycinet. Ganz in Sicherheit war Rose erst, wenn sie das Mittelmeer hinter sich hatten, aber Stürme und Flauten hielten sie unerbittlich zurück.

Land in Sicht!

Endlich, nach nervenzerreißenden zwei Wochen, sahen sie am 29. September 1817 den Felsen von Gibraltar - unerreichbar, denn wieder hielt der Wind sie auf dem Fleck fest. Es war Roses dreiundzwanzigster Geburtstag, und sie feierte ihn in der muffigen Schiffskajüte, seekrank und in finsterer Stimmung.

Doch dann segelte die Uranie in den Atlantik hinaus. Rio de Janeiro, Kapstadt, Mauritius - Rose, jetzt wieder ganz die elegante Pariserin, flanierte durch die Welt wie sonntags durch den Park. An der kahlen Westküste Australiens verspeiste sie frische Austern, in Seidenkleid und Federhut, die Füße im heißen Sand. "Besser als in Paris", notierte sie ins Tagebuch, auch wenn sie sich ein bisschen vor den Ureinwohnern fürchtete, die auf der Düne drohend ihre Speere schwenkten. In Neuguinea dinierte sie mit einem Papua. Die, hatte man ihr gesagt, seien Menschenfresser, doch ihren Tischgast fand sie sehr angenehm.

Rose trotzte Hurrikans und malaiischen Piraten, mörderischen Felsenriffen, Erdbeben und Skorpionen und sah das gefährliche Kap Hoorn in mildem Sonnenlicht. Doch beim Ansteuern der Falklands zerriss ein Felsen den Rumpf der Uranie. Mit knapper Not retten sich die Schiffbrüchigen auf eine baumlosen Insel. Zwei Monate saßen sie am Ende der Welt fest, bis Walfänger sie fanden.

Als Rose und Louis de Freycinet nach drei Jahren auf den Weltmeeren nach Frankreich zurückkehrten, wurde wider alle Befürchtungen weder der Kapitän bestraft noch die Ausreißerin für ihre Leichtfertigkeit geächtet. Es wäre ihr auch egal gewesen. "Das Leben ist zu kurz! Ich wollte es so sehr genießen wie nur möglich", schrieb sie. "Ich werde meine Entscheidung nie bereuen. "


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