Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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23.07.1921 KP Chinas gegründet

Die Kulturrevolution kennt jeder, Tschiang Tsching wohl kaum. Dabei war die Ehefrau von Mao Tse Tung, die zur der Gründung der KP Chinas sieben Jahre alt war, führend im Kampf gegen Künstler und Intellektuelle. Vielleicht wollte sich die ehemalige Schauspielerin an ihnen für ihr eigenes künstlerisches Scheitern rächen?

Stand: 23.07.2010 | Archiv

23 Juli

Freitag, 23. Juli 2010

Autor(in): Christiane Neukirch

Sprecher(in): Ilse Neubauer

Redaktion: Nicole Ruchlak

"Azurblauer Fluss" - das ist die deutsche Übersetzung des Namens, den sich die Frau Mao Tse Tungs zu eigen gemacht hatte. "Keine Frage mehr, dass dies ein reißender Fluss ist", urteilte die "Zeit" im Februar 1967. Da hatte Tschiang Tsching in China gerade die große Kulturrevolution entfesselt. Die mächtigste Frau der Welt zu werden war ihr damit endlich gelungen. Den Preis dafür bezahlten 34.000 Menschen mit dem Leben, eine weitere Dreiviertel Million mit Verfolgung und Verhaftung, Demütigung und Misshandlung.

"Unbeantwortet aber noch ist die Frage, welches Motiv diesen weiblich vehementen Kampf bestimmt", schrieb die "Zeit" weiter. "Geht es darum, des Ehegatten politische Doktrin mit Klauen und Zähnen zu verteidigen, oder geht es auch darum, persönliche Rechnungen zu begleichen?"

Als Li Tschin - so hieß sie ursprünglich - sieben Jahre alt war, wurde am 23. Juli 1921die Kommunistische Partei Chinas gegründet. Dass ihre Laufbahn einmal in deren höchste Kreise führen würde, konnte sie nicht ahnen. Fest steht, dass sie alle Voraussetzungen dafür erfüllte: Sie spürte, was es hieß, ein Kind des Proletariats zu sein. Das Mädchen lebte mit den Demütigungen der Armut unter der Tyrannei eines jähzornigen Vaters. Ein Gelehrter erkannte ihre Intelligenz und verschaffte ihr Zugang zu einer guten Schule. Er gab ihr auch einen neuen Namen: Yun-Ho, "Wolkenkranich".

Mit 15 studierte sie an einer Kunsthochschule Drama, wurde Schauspielerin und nannte sich nun Lan Ping, "Blauer Apfel". Ein Star wollte sie werden, aber ihr Talent genügte nicht für Großes; sie musste sich mit kleinen Rollen begnügen. Zum Leben reichte es, aber nicht zum Ruhm. Schauspielerinnen genossen in China kein hohes Ansehen; sie galten als Außenseiter der

Gesellschaft und waren als "Freiwild" sexuellen und finanziellen Erpressungen ausgesetzt. Die Verachtung, die daraus folgte, hielten viele nicht aus und begingen Selbstmord. Lan Ping wählte einen anderen Ausweg. Sie hatte eines verinnerlicht: Eine Frau kann sich gegen gesellschaftliche Ungerechtigkeit nur behaupten, wenn sie Macht ausübt.

Der lange Weg zur Macht führte über die Höhlen von Yenan, wo sich Mao Tse Tung mit der übrigen Führungsriege der Partei versteckt hielt. Maos Zuneigung war sofort gewonnen. Seine Parteifreunde blieben skeptisch. Sie verweigerten beiden die Ehe. Ein Sitzstreik und die Versicherung, die Frau werde niemals in die Politik eingreifen, bewegten sie schließlich nachzugeben. Fast drei Jahrzehnte lang blieb "Madame Mao" im Hintergrund; so sehr, dass sie öffentlich manchmal nicht einmal als Maos Gattin erkannt wurde. Der Groll gegen das in der Jugend erfahrene Unrecht schwärte umso beständiger weiter; und es bedurfte nur einer passenden Gelegenheit, ihn zu entzünden.

1963 bekam Tschiang Tsching von ihrem Mann den Auftrag, die Peking-Oper zu reformieren. Da übernahm die schlechte Schauspielerin die Regie, um an den guten Kollegen von einst Vergeltung zu üben. Das Ergebnis der Reformen war grauenhaft: Der Zensur fiel fast das gesamte Repertoire zum Opfer. Vier ideologische Prunkopern waren alles, was übrigblieb; verordnete Jubelchöre, zu denen ein grün uniformiertes Ballett im Stechschritt über die Bühne marschierte, begruben die musische Kultur Chinas unter sich.

Mao selbst war nunmehr über siebzig, seine geistigen Kräfte schwanden ebenso wie seine Macht. Dieses Vakuum nutzte Tschiang Tsching. Im Verband der so genannten "Viererbande" - zusammen mit einem Arbeiterrebellen, einem parteikonformen Schriftsteller und einem brutalen Literaturkritiker - setzte sie zum grausamsten Feldzug ihrer Strategie an: der großen chinesischen Kulturrevolution. Zehn Jahre lang wütete unter ihrer Leitung die "das Land erstickende Welle der Gewalt und Rachsucht". Ihre "Roten Garden" verfolgten Musiker, Schauspieler und Intellektuelle. Sie zerrten die Opfer aus den Häusern, prügelten sie über die Straßen, hängten ihnen diffamierende Schilder um den Hals, stellten sie gefesselt zur Schau und ließen sie in Arbeitslagern verschwinden. Tschiang Tsching hatte ihr Ziel erreicht: Sie war die Mächtigste von allen.

Ihre Konsequenz überdauerte auch das Ende dieser Macht: Als sie nach Maos Tod verhaftet und vor Gericht gestellt wurde, zeigte sie sich ungebeugt. Die Richterin, von ihr als "hässlich wie eine fette Sau" beschimpft, tat ihr nicht den Gefallen, sie zum Tode zu verurteilen und zur Märtyrerin zu machen. Die Vollstreckung übernahm Tschiang Tsching selbst: Von Kehlkopfkrebs gequält, nahm sie sich 1991 das Leben.


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