Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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5. Januar 1673 Der Arzt und Schausteller Charles Bernovin stürzt sich zu Tode

Charles Bernovin , Augenarzt und Chirurg, dem als in Flammen stehender "Birdman" der Traum vom Fliegen zum Verhängnis wurde. Autor: Simon Demmelhuber

Stand: 05.01.2017 | Archiv

05 Januar

Donnerstag, 05. Januar 2017

Autor(in): Simon Demmelhuber

Sprecher(in): Caroline Ebner

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Die Tiefe schnappt nach ihm wie ein schwarzes Maul. Erst sieben Uhr und schon stockfinster. Der Wind nimmt zu, Nieselregen setzt ein. Zum ersten Mal hat er ein schlechtes Gefühl. Soll er abbrechen? Auf keinen Fall! Unten auf dem Haidplatz stehen sie dicht gedrängt. Ganz Regensburg starrt zu ihm herauf. Atavan hat ein Spektakel versprochen und steht im Wort.

Der Held in der Flammengloriole

Gleich wird er, wie schon in vielen Städten zuvor, in einer Flammengloriole am Seil zu ihnen niederfahren. Alle werden mit Augen greifen, dass Charles Bernovin, genannt Seigneur de l`Atavan, mehr ist, als nur ein fahrender Chirurg und Augenarzt. Gewiss: Niemand schneidet Blasen- und Gallensteine schneller, keiner sticht den Star geschickter. Dafür loben ihn zahllose Empfehlungsschreiben bedeutender Städte und Universitäten. Doch die feurige Seilfahrt vom Turm wiegt schwerer. Sie weist ihn als Himmelsgesandten aus, dessen Kunst den Kranken die heilende Gnade Gottes erwirkt. Nur das zählt beim zeichensüchtigen Publikum.

Die Menge auf dem Platz wird unruhig. Er kann nicht länger zaudern. Trotz allen Ruhms muss auch er Kundschaft gewinnen für sein fahrendes Medizingewerbe. Zwanzig Köpfe zählt der Tross, mit dem er seit acht Jahren von Stadt zu Stadt durch Deutschland zieht. All diese Handlanger, Possenreißer, Ausrufer, Akrobaten, Apotheker, Ärzte wollen verköstigt, beherbergt und bezahlt sein.

 Bislang hat seine Seil- und Feuerakrobatik für genügend Zulauf gesorgt. Das Kunststück ist schon so oft geglückt, warum soll es heute, am 5. Januar 1673, in Regensburg misslingen?

Bernouin gibt sich einen Ruck, steigt auf die Fensterbank. Helfer tränken seine Kleidung mit Wasser. Dann schnallen sie ihm Raketen auf den Rücken, die Arme und Beine, 20 Pfund Pulver insgesamt! Er atmet durch, schlüpft in sein Fluggeschirr, hängt die Rolle ins Seil, beugt sich vornüber, befiehlt "Allumez!", stößt sich ab. Mit einem scharfen Fauchen zündet das Pulver.

Aber nur links. Rechts sind die Lunten nass geworden. Der einseitige Schub bringt den Flieger aus dem Gleichgewicht. Er kippt, rutscht aus dem Geschirr, erwischt mit einer Hand die flatternden Riemen, packt zu, krallt, klammert sich fest, fängt an zu pendeln, dreht sich immer schneller in rasendem, sprühendem, spritzendem Funkenwirbel, schreit "O Jésus, ma vie est perdue". Dann verlässt ihn die Kraft.

Ikarus´ Fall

Der Seigneur de l`Atavan stürzt 30 Meter tief, hinein in den Aufschrei der Masse, zerschlägt sich Kopf und Brust. Beine. Arme und Rücken sind verbrannt. Ein tiefer Fall. Ein klarer Fall: "Hybris!", "Hochmut!", "Vermessenheit!" geifern Prediger und Flugblätter! Gott hat strenges Gericht gehalten und den Fürwitz eines Frevlers gestraft: "Ein andrer Icarus wolt' in den Lüften fliegen / Musst aber eben so / wie jener / erdwärts liegen".

Das sind gehässige Worte. Schadenfreude, die sich demütig gibt. Wie anders hätte Wilhelm Busch die Moral der Geschichte formuliert! Sicherlich weniger fromm und vielleicht so: "Hier sieht man seine Trümmer rauchen. Der Rest ist nicht mehr zu gebrauchen".


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