Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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4. April 1919 Der letzte Wisent gefunden, Ur-Rind

Buckel nach oben, Hörner gesenkt. Einem Wisent will man nicht unbedingt in freier Wildbahn begegnen. Wird man auch nicht, weil Wisente so selten sind. Am 4. April 1919 galt das freilebende Ur-Rind sogar als ausgestorben.

Stand: 04.04.2014 | Archiv

04 April

Freitag, 04. April 2014

Autor(in): Julia Devlin

Sprecher(in): Krista Posch

Illustration: Angela Smets

Redaktion: Julia Zöller

Der Wisent. Bison bonasus bonasus. Europas Ur-Rind, ein entfernter Verwandter des amerikanischen Bisons. Ein Viech wie aus den Träumen des Steinzeitjägers. Mächtige Hörner, mächtiger Schädel, mächtiger Brustkorb, zur Brunftzeit von einer mächtigen Moschuswolke umhüllt. Bis zu einer Tonne schwer, zwei Meter hoch, drei Meter lang.

Einst durchstreiften Wisentherden die Wälder und Sümpfe Eurasiens, von den Pyrenäen bis Sibirien, von Skandinavien bis zum Kaukasus. Doch schon im Mittelalter war ihr Lebensraum ziemlich zusammengeschrumpft und schrumpfte weiter, je mehr die Menschen Wälder rodeten und Sümpfe trockenlegten.

Ein Wisent = Ein Sechzehnender

Überhaupt, der Mensch. Er war der größte Feind des Wisents, nicht nur, weil er rodete und trockenlegte, sondern auch, weil er jagte. Um das Fleisch ging es dabei gar nicht so sehr, es ging ums Prestige. Ein Wisent war so gut wie ein Sechzehnender. Und so luden Zaren und Fürsten gerne zur fröhlichen Hatz auf den Wisent.

Dazu kommt, dass Wisente überraschend sensibel sind. Sie sind anfällig für Infektionen und Parasiten und vermehren sich nur langsam. Und so schnurrte die Population zusammen auf ein paar winzige Restbestände, wo kleine Herden als Jagdwild für den Adel ein zweifelhaftes Refugium genossen. 

Zum Glück dämmerte es im 19. Jahrhundert einigen weitblickenden Naturschützern, dass die Urrinder vom Aussterben bedroht waren. Sie kämpften darum, den Wisent zu retten. In ganz Nordeuropa gab es nur noch ein einziges Fleckchen Erde, wo Wisente frei lebten. Das war im Urwald von Białowieża, im Niemandsland zwischen Polen und Weißrussland.

Hier entstand nun eine Hege, ein  zweitausend Quadratkilometer großes Schutzgelände. Der Bestand stabilisierte sich. Trotzdem wurde der Wisent ausgerottet. Denn dann kam der Krieg. Im Ersten Weltkrieg zogen russische und deutsche Truppen durch Białowieża.

Hungrige Soldaten schossen die Tiere, um ihre knurrenden Mägen zu füllen, und in den Wirren nach dem Kriegsende erledigten Wilderer den Rest. Und so stand ein Waldhüter am 4. April 1919 im Urwald von Białowieża entsetzt vor dem Kadaver eines Wisents. Des letzten freilebenden Wisents.

Wisentverwandtschaften

Aber diese Geschichte fand ein einigermaßen gutes Ende. Vier Jahre nach dem traurigen Fund wurde die Internationale Gesellschaft zur Erhaltung des Wisents gegründet. Diese Gesellschaft spürte alle Wisente auf, die noch lebten, in Wildparks und in Zoologischen Gärten, und begann mit der Erhaltungszucht. So konnten kleine Herden seit den Fünfziger Jahren erfolgreich wieder ausgewildert werden.

Einen Wermutstropfen hat die Angelegenheit: Alle reinrassigen Flachlandwisente stammen von nur zwölf Tieren ab, sind also eng verwandt und somit anfällig für Krankheiten.

Trotzdem, der Wisent ist im Kommen. Er ist sogar zum Wildtier des Jahres 2014 gewählt worden. Bleibt uns nur zu sagen: Gratulation, lieber Wisent, und ad multos annos.


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