Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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1. Juli 1917 Pu Yi wird zum zweiten Mal Kaiser von China

Am 1. Juli 1917 wurde der kleine Pu Yi zum zweiten Mal Kaiser von China. Aber längst war die Zeit vorbei, in der der "Herr der Zehntausend Jahre" einer der Großen der Welt war. Auf ihn wartete schon ein ganz anderes Leben.

Stand: 01.07.2013 | Archiv

01 Juli

Montag, 01. Juli 2013

Autor(in): Isabella Arcucci

Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl

Illustration: Angela Smets

Redaktion: Thomas Morawetz

Was ist wahr und was falsch? Für den kleinen Jungen in dem riesigen Palast ist die Welt rätselhaft, genau wie die Ameisen, die über den Hof krabbeln. Er liebt es, die Tiere zu beobachten. Dann vergisst er die Gruselgeschichten seiner Diener, der Eunuchen,  die ihm einreden, dass hinter jeder Säule in der verbotenen Stadt ein Geist lauern könnte. Doch all diese Geister sind angeblich dem Kind Untertan. Und trotzdem fürchtet sich der Junge, wenn abends die Palasttore geschlossen werden und eine unheimliche Stille sich über die verbotene Stadt legt. Er wartet angstvoll auf den nächsten Morgen, wenn wieder die Eunuchen erscheinen, ihn anzukleiden. In Kaisergelb. Der Farbe, die nur er tragen darf. Wenn die Sonne scheint ist er mutig. Dann quält er seine Eunuchen und freut sich an ihrer Unterwürfigkeit.

Eisenspähne für die Eunuchen

Der kleine Junge hat vier Mütter, doch keinen, der ihn liebt. Außer vielleicht Wang Momo seiner Amme. Wang Momo, die ihn, den kleinen Jungen, immer "alter Gebieter" nennt und ihn fragt, warum er Eisenspäne in den Kuchen stopft, den er einem Eunuchen zur Belohnung reichen will. Da überlegt das Kind. Wir wollen sehen, was für ein Gesicht der Eunuche macht, wenn er sich an den Eisenspänen die Zähne ausbeißt, ist seine Antwort. Der Junge weiß nicht, ob andere genauso Freude oder Schmerz empfinden können wie er, der "Herr der Zehntausend Jahre". Er will es herausfinden. Wang Momo schlägt ihm vor, es statt mit Eisenspänen doch lieber mit rohen Erbsen zu versuchen.

Wang Momo stillt den "Herrn der Zehntausend Jahre" an ihrer weichen Brust, neun Jahre lang. Das Kind kann kaum eine Minute ohne seine Amme sein. Bis die Mütter des Jungen, die Gemahlinnen des letzten Kaisers, Wang Momo heimlich aus dem Palast werfen. Von nun an muss er ohne ihre Liebe auskommen und ohne ihren Rat. Jahrzehnte später wird sich Pu Yi in seinen Memoiren an seine Amme erinnern, an die Geister im Palast, an die Ameisen und Eunuchen. Und an den 1. Juli 1917, an den Tag, an dem er zum zweiten Mal Kaiser von China wurde.

Bekenntnisschreiben für Mao

Eine Revolution hatte das Kaiserhaus 1912 seiner politischen Macht beraubt. Der damals sechsjährige Kaiser, erhielt jedoch das Privileg, mit dem Hofstaat weiterhin ein prunkvolles Leben im Palast zu führen. 1917 kam es zum Militärputsch, und am 1. Juli trat das Kind wieder seine Herrschaft an. Pu Yi schrieb später über diese Zeit. Er nahm Huldigungen entgegen und hielt Audienzen ab. Und wartete ungeduldig auf die nächste freie Minute, in der er mit den Ameisen spielen konnte. Doch die zweite Amtszeit des Kindkaisers dauerte nur 12 Tage.

Pu Yi schrieb seine Erinnerungen nach langer Gefangenschaft in einem kommunistischen Umerziehungslager. Ein reuiger Bekenntnisbericht, der Mao gefreut haben mag. Schilderte Pu Yi das Leben in der verbotenen Stadt so, wie es war? Oder so, wie Mao es sehen wollte? Was ist wahr und was falsch? Vielleicht wusste Pu Yi das am Ende selbst nicht mehr genau.

Nach seiner Rehabilitierung durch die kommunistische Partei war er bis zu seinem Krebstod 1967 im botanischen Garten von Peking angestellt. Der einstige "Herr der Zehntausend Jahre" war zu einem alten Arbeiter geworden, der das nimmermüde Krabbeln der Ameisen auf den Gartenwegen beobachtete und sich an sein früheres Leben erinnerte, wie an einen schweren Traum.


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