Hype um Krypto-Kunst Das Gespenst der NFTs
Seit im März 2021 der weitgehend unbekannte Künstler Beeple 69 Millionen US-Dollar für ein rein digitales Kunstwerk erzielte, redet die gesamte Kunstwelt über NFTs. Ein Gespräch mit Kunstkritiker Kolja Reichert darüber, warum NFTs ein Hype sind – und weshalb wir uns trotzdem über sie freuen sollten.

Zugegeben: Dass ein unbekannter Sammler knapp eine halbe Milliarde Dollar für das Gemälde Salvator Mundi ausgibt, das immerhin weltbekannt ist und Leonardi da Vinci zugeschrieben wird. Oder 91 Millionen Dollar für einen chromglänzenden Hasen des teuersten lebenden Künstlers Jeff Koons. Das beides mag sich nicht allen von uns unmittelbar erschließen. Zumindest aber hat, wer viel Geld für Kunst ausgibt, danach etwas Schönes fürs Wohnzimmer: Ein einzigartiges Kunstwerk. Ein Original. Etwas, das man nicht einfach kopieren kann. Spätestens aber seit der bis dato kaum in Erscheinung getretenen Künstler Beeple mit seiner digitalen Collage "Everydays: the First 5000 Days“ die Rekordsumme von 69,36 Millionen US-Dollar erlöste, scheint diese Logik auf den Kopf gestellt.
Winkelmann gilt seitdem als drittteuerster lebender Künstler. Obwohl keine seiner Arbeiten jemals in einem renommierten Museum ausgestellt wurde oder einer anderen relevanten Institution der Kunstwelt. Die noch größere Sensation aber war: Wer das Bild erstanden hat, bekam für sein Geld kaum mehr ein digitales NFT-Echtheitszertifikat und einen Downloadlink. Ein Gespräch mit Kolja Reichert, Kunstkritiker und Autor von "Krypto-Kunst".
Friedrich Müller: Warum gibt jemand 69 Millionen US-Dollar für eine JPEG-Datei aus?
Kolja Reichert: Es ergibt überhaupt gar keinen Sinn, 69,36 Millionen US-Dollar für eine JPEG-Datei zu bezahlen. Zumal man ja nichts besitzt, was irgendwelche festen Grenzen hätte, was man irgendwo verorten könnte. Diese Datei liegt auf irgendeinem Server, jeder kann sie runterladen. Der Link ist öffentlich einsehbar. Das Einzige, was der Käufer erhält, ist ein auf der Blockchain geschriebenes Zertifikat: einen Eintrag in einen sogenannten Smart Contract, dass das Token, was auf dieses Werk verweist, ihm gehört oder ihr.
Das klingt nach einem schlechten Deal?
69 Millionen zahlt man nur in einer Pionier- und Gründungsphase. Die Summe ist eine Demonstration, dass die ganze Krypto-Welt diesen Wert hat. Denn durch den Kauf wurde ja erreicht, dass wirklich jeder über NFTs spricht. Es ist also eine öffentliche Investition in den Wert von Krypto-Anlagen und der Krypto-Ökonomien überhaupt. Denn geschaffen wurde damit letztlich der historische Moment, in dem jemand gesagt hat: Ich zahle für diesen Beeple 69,36 Millionen US-Dollar. Ob diese Datei das wert ist, ist überhaupt nicht die Frage. Das ist gar nicht entscheidend. Die Frage ist: Ist dieser historische Moment das Geld wert? Und da würde ich sagen: Klar, der historische Moment, in dem ich 69,36 Millionen US-Dollar für eine JPEG-Datei ausgebe, der ist ungefähr 69,36 Millionen US-Dollar wert.
Sie haben aber ästhetische Probleme mit den Kunstwerken, die bisher unter dem Schlagwort Krypto-Kunst verhandelt werden, richtig?
Wenn man über ästhetische Probleme spricht, dann steht man vor der Schwierigkeit, dass man schnell in die Falle gerät, als elitärer intellektueller Torwächter zu gelten. Als Gatekeeper der Kunstwelt. Und gegen diese Gatekeeper ist viel der Rhetorik im Krypto-Raum und speziell in der Krypto-Kunst gerichtet. Ich glaube aber, man kann Urteile über Kunstwerke genauso fällen, wie man als IT-ler oder Programmiererin unterscheiden kann zwischen einem gut programmierten Stück Software und einem schlecht programmierten Stück Software. Das gute Stück Software funktioniert, das heißt, es passt an die anderen Softwares, mit denen es über Schnittstellen kommunizieren muss. Und das schlechte Stück Software passt nicht. Es braucht viel Rechenpower, es produziert nichts, bringt nichts voran. So ist es mit Kunstwerken auch: Sie müssen miteinander kommunizieren, sie stehen ja nicht nur für sich.
Jetzt haben wir es aber in der NFT-Welt mit vielen Bildern zu tun, die gar nicht groß mit etwas in Beziehung stehen. Am ehesten noch mit der Gaming-Welt und mit der Krypto-Kultur, die sich durchaus entwickelt hat: bestimmte visuelle statistische Grafiken, Börsenkurse und eine gewisse lustige, auch irgendwie unverstellte Neureichen-Prahlerei. Und dazu alle möglichen 3D-Effekt, was die Software so kann. Wir haben es eigentlich mit dem zu tun, was man immer schon Hobby-Kunst genannt hat. Also wir sehen jetzt, wie sich im Internet quasi alle Hobby-Ateliers und jede und jeder schaut, aus den Sachen, die privat entstanden sind, ein bisschen Kapital zu schlagen.
Sind Sie da nicht etwas zu streng?
Klar bin ich zu streng. Wir haben jetzt einen ersten Frühling der Crypto-Currencies erlebt, in dem eine komplette anarchische Freiheit und Kriterienlosigkeit herrschte. Und wir werden in den nächsten Jahren die Ausbildung von Diskursen erleben. Das Spannende an dieser Krypto-Kultur, an dieser dezentralisierten und anonymen Kultur ist ja eigentlich, dass kulturelle Werte nicht mehr abhängig sein könnten von zentralen staatlichen oder durch viele private Gelder finanzierten Institutionen. Sondern dass wirklich riesige Mengen anonymer Nutzer sich darauf einigen könnten, was kulturellen Wert hat.
Müssen wir Krypto-Kunstwerke anders ansehen, unter anderen Kriterien betrachten, als das, was wir sonst unter einem Kunstwerk verstehen?
Wir haben uns die erste Schwemme der NFT-zertifizierten Kunst angeschaut wie alte Kunst. Und ich glaube, das ist der falsche Blick. In der digitalen Welt macht es nicht so viel Sinn, dass einzelne Leute alleine Sachen besitzen. Auch der Wert digitaler Memes kommt ja erst daher, dass sie für viele Menschen eine Bedeutung haben, dass viele Menschen die Memes weiterleiten. Da das Internet und die Werte, die im Internet gebildet werden, immer mit einer Schwarmlogik, einer Crowdlogik verbunden sind, denke ich, diese Vorstellung, ich verkaufe mein Werk an jemand anderen und dann hat die oder der eine Wertsteigerung – das ist ein komplett eingeschränkter Blick und wird den Möglichkeiten dieser Technologie gar nicht gerecht.
Wo liegen also die Chancen der Krypto-Technologien für die Kunstwelt?
Die Krypto-Technologie erlaubt viel nachhaltigere und sinnvollere Modelle der Bezahlung. Wenn ich als Malerin mein Werk in einer Galerie verkauft habe, dann bekomme ich erst einmal nichts mehr. Es kann sein, dass das Gemälde immer wieder verkauft wird, immer teurer wird und irgendwann für ein Tausendfaches des Ursprungspreises auf einer Aktion landet. Es gibt gewisse Regularien, dass ein ganz kleiner Wert an mich zurückfließt. Aber eigentlich bin ich von dieser Wertsteigerung ausgeschlossen. Wenn diese Malerei aber mit einem NFT verbunden wäre und über einen Smart Contract gesteuert werden würde, wer in der Kette der Eigentümerinnen eingeschrieben ist und wer welche Anteile bekommt, dann würde ich bei jedem Verkauf mitverdienen. Im "Management Science"-Magazin hat eine Studie errechnet, dass zum Beispiel Jasper Johns und Robert Rauschenberg in ihrem Leben tausendmal mehr verdient hätten, hätten sie an jedem Wiederverkauf ihrer Werke mitverdient. Da hat man geradezu die Lösung für eine riesige, wirklich gewaltige, ernst zu nehmende Schwierigkeit des Kunstsystems.
Denn je weiter die Gefälle der Kaufkraft auf dem Kunstmarkt wie auch generell die Vermögen in der Welt auseinanderklaffen, je größer die Gefälle zwischen kleinen Galerien und großen Galerien, desto schneller sind die Aufwindkräfte, mit denen Künstler:innen zu den nächsten Galerien wechseln müssen. Wenn kleine Galerien als Innovatoren wissen, dass alle ihre Investitionen für immer zu ihnen zurückfließen werden, hätten sie eine ganz andere Wirtschaftsgrundlage.
Wie könnten konkrete Kunstwerke aussehen, die Krypto-Technik in Ihrem Sinne gelungen nutzen?
Die Musikerin Holly Herndon hat einige Jahre an einer künstlichen Intelligenz gearbeitet, die mit ihr und ihrem Chor gemeinsam singen kann. Und sie hat eine Version dieser künstlichen Intelligenz, quasi einen Klon ihrer eigenen Stimme, vor kurzem versteigert und in die Hände einer DAO gelegt, einer dezentralen autonomen Organisation. Man könnte sagen einer Eigentümergemeinschaft, die bestimmte Anteile hält. Diese Anteilseigner können jetzt gemeinsam mit diesem Instrument musizieren, können gemeinsam über Lizenzen verfügen. Sie können sich in Foren abstimmen und überlegen, was sie gemeinsam für Werke schaffen wollen.
Da wird wirklich etwas weiterentwickelt, da wird eine Handlungsmacht weitergegeben. Das endet dann nicht mit: Gestern habe ich den NFT hier gekauft, morgen verkaufe ich ihn teurer dort. Sondern erstmal zieht sich die Käufergemeinschaft zurück, lernt einander kennen, versammelt sich um eine neue Möglichkeit, ein neues Instrument, ein neues Werk, neue Ideen. Und dann kommt sie möglicherweise irgendwann mit einer überraschenden, krakenförmigen Kunstform in die Öffentlichkeit.
Eine Frage kommt im Zusammenhang mit Krypto-Technologie immer wieder auf: Die Verschlüsselungsprozesse benötigen unglaublich viele Rechenkapazitäten, der Energieaufwand ist ungeheuer hoch. Müsste man die Technologie nicht direkt wieder beerdigen?
Ich verstehe, dass man, wenn man über Blockchain-Technologie spricht, immer erst über Umweltkosten spricht. Denn Blockchain-Technologie ist wirklich sehr kompliziert. Das kann ich aus der Geschichte meiner eigenen Auseinandersetzung damit bestätigen. Es dauert eine Weile zu verstehen, worum es da geht und wie das funktioniert. Umweltschäden versteht aber jeder. Das ist schade, denn es gibt Technologien, um diese Umweltschäden um fast hundert Prozent zu verringern. Und es wird mit Hochdruck bei jeder Blockchain daran gearbeitet, sie umzustellen. Die Umweltbilanz ist wichtig, klar. Aber noch wichtiger ist, zu verstehen, woher diese Umweltbilanz kommt, wie diese Technologie funktioniert und was mit ihr kulturell möglich ist.
"Krypto-Kunst" von Kolja Reichert ist in der Reihe "Digitale Bildkulturen" bei Wagenbach erschienen.
Eine Besprechung des Buchs läuft am 19. Dezember 2021 im Büchermagazin Bayern 2 Diwan. Den Podcast zur Sendung können Sie hier abonnieren.