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Aerosol-Studie mit dem Chor des BR Erste Ergebnisse liegen vor

Wie hoch ist das Risiko, sich beim Chorsingen mit dem Corona-Virus zu infizieren? Und wie lässt sich dieses Risiko minimieren? Nach Ansteckungsfällen bei Chören in den USA, Amsterdam, aber auch in Bayern und Berlin hat der Bayerische Rundfunk für seine Klangkörper gemeinsam mit dem LMU Klinikum München und in Kooperation mit dem Universitätsklinikum Erlangen (FAU) selbst eine aufwändige Testreihe durchgeführt.

Stand: 03.07.2020

Nun liegen erste Teilergebnisse der wissenschaftlich noch unveröffentlichten Studie vor. Darin legen die beteiligten Wissenschaftler dar, unter welchen Gegebenheiten sie – mit Blick auf Abstände der Sängerinnen und Sänger zueinander und auf die raumklimatischen Verhältnisse – das Singen in Corona-Zeiten für gesundheitlich verantwortbar halten.

"Nach dem ersten Schock des Lockdowns und Prüfung der restriktiven Vorgaben sind wir zusammen mit unserem BR-Betriebsarzt Dr. Benthaus schnell aktiv geworden, unter welchen Rahmenbedingungen und mit welchem Repertoire der künstlerische Betrieb wieder aufgenommen werden könnte –unter der Maßgabe, dass der Schutz und die Gesundheit unserer Chormitglieder oberste Priorität haben. In den Wochen zuvor hatte sich immer mehr herauskristallisiert, dass reine Tröpfcheninfektionen keine ausreichende Erklärungsgrundlage für die hohe Zahl an Infektionen speziell in Chören sein konnten", beschreibt Susanne Vongries, Managerin des Chores des BR, die Ausgangslage.

Da jedoch insbesondere zu Ansteckungsrisiken innerhalb von Gesangsensembles weltweit nur sehr wenig belastbare wissenschaftliche Erkenntnisse existieren, suchte der BR fachlichen Rat bei Prof. Dr. Matthias Echternach, Leiter der Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie am LMU Klinikum München und selbst ausgebildeter Sänger.

"Mit Prof. Dr. Echternach und Dr. Stefan Kniesburges vom Universitätsklinikum Erlangen haben wir vielversprechende Partner gefunden, mit denen in kürzester Zeit die Studie vorbereitet und umgesetzt wurde. Von Anfang an haben sich auch die Mitglieder des Chores mit großem Engagement in den Dienst dieser Datenerhebung gestellt, um neue Erkenntnisse zu generieren", so Vongries.

Der Studienaufbau

Matthias Echternach konzipierte gemeinsam mit Stefan Kniesburges, Strömungsmechaniker am Universitätsklinikum Erlangen (FAU), eine Studie, um die Abstrahlung und Verteilung sowohl von größeren Tröpfchen als auch von Kleinstpartikeln – den sogenannten Aerosolen – beim reinen Singen, beim Sprechen und beim Singen von Texten zu messen. Die Besonderheit: Im Gegensatz zu Studien, die sich auf Strömungsgeschwindigkeiten von Partikeln bezogen, wurden in diesen Versuchen die Ausbreitung und Verteilung der Tröpfchen und Aerosole im Raum näher untersucht.

Die Wissenschaftler bauten dazu im Studio 2 am BR-Standort Unterföhring zwei Versuchsanordnungen auf. In diesen beiden Settings ließen sie vom 20. bis 26. Mai 2020 jeweils zehn Probanden aus dem Chor des BR sowie zehn Bläserinnen und Bläser aus dem Symphonieorchester des BR nacheinander definierte Passagen in verschiedenen Lautstärken singen, sprechen und spielen. Die Datenauswertung zu den Messungen mit den Blasinstrumenten steht noch aus.

Aerosol-Wolken sichtbar gemacht und vermessen

Das erste Setting bestand aus Hochgeschwindigkeitskameras und Laser-Equipment, womit die Streuung der größeren Tröpfchen untersucht werden konnte: Wie werden sie von Mund und Instrument abgestrahlt, bei welchen Sprech- oder Gesangspassagen wird die größte Menge an Tröpfchen erzeugt? 

Im zweiten Setting wurde mit Kameras und Weißlicht gearbeitet, um zu analysieren, wie die noch winzigeren Aerosole Mund und Nase verlassen und wie sich diese in den Raum ausbreiten. Um die Verteilung dieser Kleinstpartikel sichtbar zu machen, inhalierten die Probanden eine Trägerlösung von E-Zigaretten, die dann bei und nach der Stimmgebung im hellen Licht sichtbar war.

Fazit: Mehr Abstand nach vorne als zur Seite

Die Auswertung der Messungen über die abgestrahlten Aerosol-Wolken ergab: Zu ihren Kollegen nach vorne sollten die Chormitglieder einen größeren Abstand einhalten als zur Seite. Immer vorausgesetzt, dass der Raum permanent gelüftet wird und damit die Aerosole regelmäßig durch Frischluft entfernt werden. Besser wäre es zudem noch, wenn es zwischen den Sängerinnen und Sängern Trennwände gäbe.

"Wir haben nach vorne hin im Mittel Abstände von etwas weniger als einem Meter für den gesungenen Text gemessen, einige Sänger erreichten allerdings auch Weiten von 1 bis 1,5 Meter, so dass Sicherheitsabstände von 1,5 Metern wohl zu gering sind und Abstände von 2 bis 2,5 Meter sinnhafter erscheinen. Die Daten beziehen sich allerdings nur auf die direkte Ausbreitung durch den Eigenimpuls beim Singen. Für die Sicherheit der Sänger ist es aber wichtig, dass die Aerosole auch permanent aus dem Raum entfernt werden, damit diese sich nicht ansammeln“, sagt Matthias Echternach.

"Zur Seite hin fanden wir deutlich geringere Abstände als nach vorne, so dass die Abstände hier geringer gewählt werden könnten, etwa 1,5 Meter. Auch hier gilt die permanente Zufuhr von Frischluft, um die Aerosole aus der Luft zu entfernen", so Stefan Kniesburges.

Singen mit Maske?

Tests mit Mundschutz ergaben, "dass wenn mit chirurgischen Masken gesungen wird, die großen Tröpfchen zwar komplett und die Aerosole zum Teil herausgefiltert werden, ein Teil der Aerosole aber leicht strahlartig nach oben und zur Seite austraten", so Kniesburges – weil die Masken an den Seiten und der Nase nicht vollständig dicht abschließen. Singen mit Maske, so die Erkenntnis, wäre durch die Verminderung der Partikelaustritte eine Option, aber nicht wirklich für Profichöre, "weil ich sehr gut artikulieren muss und jede kleinste Nuance von Klang natürlich brauche", so Echternach. Bei Kirchen- oder anderen Laienchören indes dürfte Singen mit Maske "schon einiges verhindern".

Mehr Klarheit für die Risikobewertung

"Die Studie gibt uns mehr Klarheit, um Abstandsregeln und Klimaverhältnisse in Räumen besser einschätzen zu können, und wir möchten unsere Erkenntnisse allen zur Verfügung stellen, nicht zuletzt den Entscheidungsträgern für neue allgemeingültige Vorgaben", sagt Susanne Vongries, Managerin des Chores des BR, zu den ersten Teilergebnissen der wissenschaftlich noch unveröffentlichten Studie. "Die Ergebnisse werden und sollen nicht nur dem BR-Chor hilfreich sein. Bei Profichören im Konzert- und Opernbereich sowie im Laienchorsingen besteht weltweit ein großer Wissens- und Erkenntnishunger auf diesem Gebiet. Die Gesundheit und Sicherheit nicht nur der Mitglieder des Chores des Bayerischen Rundfunks, sondern aller Chöre und Vokalensembles sollten an erster Stelle stehen."

Gebunden ist der Chor des BR bei allen Aktivitäten bis auf Weiteres an die Vorgaben aus dem "Hygienekonzept Kulturelle Veranstaltungen und Proben" der Bayerischen Staatsministerien für Gesundheit und Pflege und für Wissenschaft und Kunst" vom 15. Juni 2020.  

Eigene Kompositionen für Singen mit Mundschutz

Noch während die Studie lief, haben Mitglieder des BR-Chores im Rahmen der aktuellen Möglichkeiten viele kreative Alternativen zur herkömmlichen Konzert- und Probenbetrieb entwickelt und umgesetzt. Kleinensembles haben Literatur von Lassus bis Hindemith und Pärt erarbeitet, und neben zahlreichen Hofkonzerten in sozialen und caritativen Einrichtungen wurden zwei Kompositionsaufträge an Rupert Huber und Howard Arman vergeben, die Werke für Sängerinnen und Sänger mit Mundschutz komponierten. Dabei entstand Rupert Hubers Werk "U+1F637" (entsprechend dem Zahlencode für den Smiley mit Mundschutz), aus Howard Armans Feder stammt das Melodram "Der Bildhauer". Beide Werke wurden im BR-Studio produziert. U+1F637 ist bereits auf der Kulturbühne des BR zu sehen und zu hören (br.de/kultur), die Komposition von Howard Arman wird demnächst dort online gestellt.

 Der Bayerische Rundfunk berichtet in folgenden Sendungen über die Studie:

  • Freitag, 3. Juli: Rundschau, Abendschau, B5 aktuell, radioWelt (Bayern 2), Leporello (BR-KLASSIK), ARD Mittagsmagazin, IQ - Wissenschaft und Forschung (Bayern 2)
  • Samstag, 4. Juli: Piazza (BR-KLASSIK) sowie im Wissenschaftsmagazin "Gut zu wissen" um 19.00 Uhr im BR Fernsehen (nach Ausstrahlung 5 Jahre in der BR Mediathek verfügbar)

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