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Hirngespinster Fragen an den Regisseur

Stand: 25.08.2016

Hirngespinster | Bild: BR/ROXY FILM GmbH/Nikolaus Kassian

Christian Bach

Im Jahr 2009 schloss Christian Bach sein Regie-Studium an der Hochschule für Fernsehen und Film in München mit Diplom in der Abteilung Kino und Fernsehfilm ab. Aus dieser Zeit stammen zahlreiche Kurzfilme, die auf renommierten Festivals liefen und mehrfach ausgezeichnet wurden. Als Stipendiat der 21. Drehbuchwerkstatt München entwickelte er das Drehbuch für seinen Debütfilm "Hirngespinster", das 2010 für den Tankred Dorst Preis nominiert wurde.

Interview mit dem Regisseur Christian Bach

"Hirngespinster" ist Ihr erster langer Spielfilm, zu dem Sie auch das Drehbuch verfasst haben. Warum wollten Sie gerade diese Geschichte erzählen?
Der Film ist inspiriert von der Familiengeschichte eines Jugendfreundes. Als ich nach und nach erfuhr, was bei ihm damals wirklich passierte, hat mich diese Geschichte nicht mehr losgelassen. Daraufhin habe ich mich gefragt, warum wir diesem „Familiengeheimnis“ so lange ausgewichen sind, oder warum ich es selbst so lange nicht wissen wollte. Inzwischen glaube ich, es liegt an unserem tiefen Unbehagen gegenüber den Krankheiten der Seele, oder, im Falle von Schizophrenie, sogar an einer tief sitzenden Angst, weil noch so viel gefährliches Halbwissen und so viele Vorurteile darüber herrschen. Im Laufe der Drehbucharbeit habe ich mich dann aus Diskretion und Respekt wieder von der Familiengeschichte entfernt, habe einiges verdichtet und dazu gedichtet, ohne jedoch meinen Anspruch an Wahrhaftigkeit und Aufrichtigkeit herunterzuschrauben. Dann zieht die Geschichte für mich ihren Reiz ganz allgemein aus dem Spannungsfeld Familie. Es geht um Liebe und Hass, um Verantwortung und Selbstbehauptung, und um die Frage, wie sehr man am Ende nach seinen Eltern kommt, ob man sein Schicksal tatsächlich selbst in der Hand hält oder doch nur Sklave seiner Gene ist. Auch wenn ich jetzt persönlich keinen Schizophrenie-Hintergrund habe, so sind das ganz universelle Themen, die mich sehr beschäftigen und die ich als Filmemacher äußerst spannend finde.

Um wessen Hirngespinste geht es und welche Auswirkungen haben sie auf die Protagonisten des Films/auf die Familie?
Der Vater leidet an einer paranoiden Form der Schizophrenie, die in immer wiederkehrenden Schüben auftritt. Das bedeutet, der Schizophrene ist nicht immer schizophren, sondern über weite Strecken durchaus ganz normal. Doch eine Kleinigkeit, wie die Montage einer Satellitenschüssel, kann schon der Auslöser für einen psychotischen Schub sein. So meint der Vater zu Beginn des Films, Opfer einer Verschwörung zu werden. Später glaubt er sogar, dass die eigene Familie ihn ausspioniert und hintergeht. Die Tatsache, dass jedem Wahn immer auch ein Funken Wahrheit innewohnt, ist dann nur ein kleiner Trost und macht die Sache häufig erst richtig vertrackt. Simon wiederum krankt an dem Hirngespinst, nicht liebenswert zu sein. Als Sohn eines Geisteskranken, aufgewachsen in einem Umfeld emotionaler Unberechenbarkeit und sozialer Isolierung, ringt er mit seinem Selbstwertgefühl und einem tiefen Misstrauen sich selbst gegenüber. Denn der Wahnsinn könnte ja auch in ihm stecken. Es gibt eine Wahrscheinlichkeit von 15-20 Prozent, die Disposition für Schizophrenie geerbt zu haben, wenn ein Elternteil erkrankt ist. Also durchaus ein beunruhigender Gedanke. Und da es immer noch keine Tests gibt, müssen die Betroffenen sehr lange mit dieser Ungewissheit leben.

Simon verliebt sich in "Hirngespinster" zum ersten Mal in seinem Leben. Was bedeutet das für ihn?
Der Status Quo seiner Familie, für die er bisher eine tragende Säule war, gerät damit ins Wanken. Denn die Tatsache, dass Verena bald wegzieht, spiegelt nicht nur seine eigene Notwendigkeit des Aufbruchs wider, sondern setzt ihn auch unter Handlungsdruck. Insgeheim sehnt Simon sich zwar nach echter Nähe, aber sobald es mal ernster wird, steht ihm wieder sein tiefes Misstrauen und seine Unverbindlichkeit im Weg. Bei Verena sieht sich Simon dann das erste Mal gezwungen, wirklich die Hosen runterzulassen. Denn mit 22 ist ihm seine Herkunft noch ziemlich peinlich – der Vater ist schließlich ein Freak, ein „Schizo“. Da kommen dann auch biologische Mutmaßungen und Vorurteile ins Spiel, von wegen „der Apfel fällt nicht weit vom Stamm". Um diese Außenwirkung weiß Simon natürlich als ein reflektierter und empfindsamer Mensch. Aber er hat das Glück, an eine junge Frau zu geraten, die über diesen Dingen steht, die neugierig ist, nicht nachgibt, ihn aus der Reserve lockt und das Gefühl gibt, trotzdem ein liebenswerter Mensch zu sein.

Simon fragt seine Mutter Elli im Laufe des Films: „wie hältst du das eigentlich aus, mit einem Schizophrenen“. Warum ist Elli bisher bei Hans geblieben?
Das frage ich mich auch bei manch „normalen“ Paar, dazu braucht es keine Geisteskrankheit. Aber es stimmt, in diesem Fall drängt sich die Frage besonders auf. Einmal ist es sicherlich eine Charakterfrage, denn es gibt durchaus noch Menschen, die „in guten wie in schlechten Zeiten“ ernst nehmen. In "Hirngespinster" lautet das Motto der Mutter jedenfalls „Wer manchmal seinen Verstand verliert, der hat wenigstens einen“ – das zeigt, wie sie dem Problem mit gesundem Humor begegnet. Und es steckt ja auch eine Wahrheit in dem Spruch. Denn Hans ist trotz allem attraktiv, witzig und intelligent, ein getriebener Macher, ein energiegeladener Kerl und begabter Architekt, dessen Scheitern nichts mit einem Mangel an Talent zu tun hat, sondern mit seiner Krankheit. Und das ist vielleicht sogar der wichtigste Aspekt: von manischen und wahnhaften Persönlichkeiten geht oft eine unglaubliche Anziehungskraft und Faszination aus, gerade in jungen Jahren, wenn sich die Krankheit noch nicht vollständig manifestiert hat. Ich habe bei meinen Recherchen oft gehört, dass die Partner gerade das attraktiv und liebenswert fanden, was sich erst viel später als Merkmal einer handfesten Geisteskrankheit entpuppte. Und genau dieser Punkt macht das Dilemma der Mutter aus, wenn sie Hans die Medikamente dann heimlich gibt. Sie hintergeht ihren Mann, sie weiß um die persönlichkeitsverändernde und sedierende Wirkung der Medikamente, ist aber trotzdem bereit, diesen Preis zu zahlen, um ihren Mann nicht zu verlieren.

Warum verweigert der Vater so vehement jegliche Medikation?
Das Hauptproblem des Vaters ist nicht die Schizophrenie allein, sondern seine völlige Verweigerung einer Krankheitseinsicht. Wenn er sich also für kerngesund hält, warum sollte er dann noch Medikamente nehmen? Das macht die Situation natürlich besonders aussichtslos und belastend. Dann handelt es sich bei diesen Medikamenten ja um Psychopharmaka, die massiv in die Biochemie des Hirns eingreifen. Ein Betroffener hat mir die Wirkung einmal so beschrieben: „Ein stecknadelkleiner Teil des Hirns funktioniert nicht richtig, und man schießt zur Behandlung mit einer Schrotflinte drauf.“ Wahr ist allerdings auch, dass sehr viele Betroffene und Angehörige heilfroh sind, dass es diese Medikamente gibt, spätestens wenn sie eine gefährliche, gar lebensbedrohliche Psychose eindämmen. Trotzdem sind langfristig betrachtet persönlichkeitsverändernde Nebenwirkungen auch bei den neuen atypischen Neuroleptika nicht zu leugnen. Die Betroffenen klagen neben rein körperlichen Defiziten häufig über Antriebslosigkeit und eine starke geistige Einschränkung. Das ist für kreative Menschen natürlich besonders schlimm. Wenn man also dem Wahnsinnigen seinen Wahn nimmt, was bleibt dann noch von ihm? Für mich ein echtes Dilemma – es gibt keine richtigen Antworten, nur interessante Fragen.

Tobias Moretti spielt den schizophrenen Familienvater Hans, Jonas Nay seinen Sohn. Was waren die Herausforderungen dieser Rollen, wie war die Zusammenarbeit?
Tobias Moretti stand vor der Herausforderung, einen Schizophrenen in diversen Zuständen absolut glaubhaft zu verkörpern, vom sukzessiven Abgleiten in eine Psychose bis hin zu ihrem exzessiven Höhepunkt, und das alles mit der Angst, der Wut und dem Schmerz eines von seiner Paranoia gepeinigten Menschen. Er musste dabei einen Psychotiker auch von seiner weniger schmeichelhaften Seite zeigen, wenn er tagelang nicht geschlafen und nicht geduscht hat, nicht zu schweigen von den Auswirkungen der Neuroleptika. Darüber hinaus galt es, der Figur ihre Würde zu belassen. Die Rolle von Hans definiert sich ja nicht als Irrer, sondern als ein vielschichtiger Mensch mit einer langen Geschichte als Ehemann, Vater, Architekt, und manchmal halt auch als Wahnsinniger. Aber Tobias hat den „Irren“ nicht schauspielerisch ausgestellt, sondern der Figur eine tiefe Menschlichkeit gegeben, mit einer breiten Palette an Emotionen und feinen Nuancen. Dafür hat Tobias alles mitgebracht, was ich mir als Regisseur nur wünschen konnte: Respekt, Vertrauen, Leidenschaft, Mut und Hingabe. Er ist ein wunderbarer Schauspieler, einer unserer besten, und die Arbeit mit ihm war für mich ein großartiges Erlebnis und eine Riesenfreude. Jonas Nay wiederum hatte mit seiner Hauptfigur Simon natürlich die Hauptlast des Films zu tragen. Er musste sich sowohl gegenüber einer charismatischen Vaterfigur, als auch gegenüber der schauspielerischen Urgewalt von Moretti behaupten. Aber Jonas stand ihm da in nichts nach, hat seine Aufgabe mit Bravour gemeistert und von Anfang eine unendliche Leidenschaft für den Film mitgebracht. Die Figur macht im Laufe des Films eine subtile Entwicklung durch, viele der Konflikte sind rein innerlich, und Jonas hat diese Konflikte sehr glaubhaft dargestellt und die Entwicklung von Simon spürbar gemacht, mit all seiner Zerrissenheit, seiner Sehnsucht, seiner Angst, selbst verrückt zu werden und seinem Dilemma mit der Verantwortung. Allein das alles unter einen Hut zu bekommen ist schon eine großartige Leistung. Davon abgesehen ist Jonas Nay einfach ein toller Typ, absolut down-to-earth, einer, dem man den Jungen von nebenan sofort glaubt, weil er dieses sympathische Leinwand-Charisma ohne Poster-Boy-Attitüde hat.

Eine letzte Frage: Wie nah am Wahnsinn sind wir alle eigentlich?
Ich finde, das kommt ganz drauf an, was wir als normal empfinden. Und für mich ist normal, wer mit seinem Wahnsinn gut leben kann.


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