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Wurde gekauft: Soli-T-Shirts für Kirill Serebrennikov

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Solidaritätsappell mit Musik: "Hänsel und Gretel" in Stuttgart

Seit August sitzt der Regisseur Kirill Serebrennikov im Hausarrest - die Behörden werfen ihm Subventionsbetrug vor. Eine absurde Behauptung. In Stuttgart wird er in Abwesenheit geehrt: Hier durfte er nicht arbeiten. Nachtkritik von Peter Jungblut.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Drei Geschichten wollte die Oper Stuttgart gestern Abend erzählen, und alle drei haben kein Happy End. Da ist zum ersten das Märchen von "Hänsel und Gretel", bekanntlich wird die Hexe zwar am Ende verbrannt, die Kinder werden befreit, aber reich werden sie nicht und ob sie jemals genug zu essen haben werden, bleibt fraglich. Anders als in der Fassung der Brüder Grimm schleppen die Kinder in der Oper nämlich nicht die Perlen und Edelsteine der Hexe nach Hause, sondern bitten Gott um seinen Segen.

Gefilmt wurde in Ruanda

Die zweite Geschichte hat sich der russische Regisseur Kirill Serebrennikov einfallen lassen: Er drehte für seine geplante Inszenierung im afrikanischen Ruanda einen Film mit zwei schwarzen Kindern, die in Armut aufwachsen und denen bei der Reise nach Stuttgart nicht nur im Süßwaren-Laden die Augen übergehen. Natürlich wurden die beiden jungen Laiendarsteller heftig geklatscht, als sie gestern Abend, nach der Filmvorführung, leibhaftig auf der Bühne standen. Doch auch sie müssen zurück nach Ruanda, werden also aus dem vermeintlichen Paradies wieder vertrieben.

"Free Kirill" T-Shirts kosteten 5 Euro

Und dann ist da noch die dritte Geschichte, die von Kirill Serebrennikov, der im August in Moskau festgenommen wurde und seitdem im Hausarrest sitzt. Er konnte daher nicht nach Stuttgart kommen, nicht mal telefonische Regie-Anweisungen geben. Das Bühnenbild wurde gebaut, die Inszenierung wurde verschoben. Es sollte keinesfalls so aussehen, als ob es auf den Regisseur nicht mehr ankäme. Zu sehen war folglich ein Solidaritätsappell mit Musik. Im Foyer wurden für fünf Euro T-Shirts verkauft mit der Aufschrift "Free Kirill", hoffentlich aus fair gehandelter Produktion. Diese T-Shirts wurden auch auf der Bühne von einigen Mitwirkenden getragen. Serebrennikov selbst war im Bild und mit Zitaten präsent, allen Anwesenden war klar: Seine Geschichte ist in diesem Fall die wichtigste.

Stuttgart als Weltgewissen

Im grün regierten Stuttgart ist das Publikum traditionell besonders offen für politische und moralische Aufrufe, für den ganzen Ernst der Weltpolitik und Weltprobleme, ja das pietistische Stuttgart sieht sich gern als "Weltgewissen". Es stellt sich also die Frage, welche der drei Geschichten, die gestern Thema waren, überhaupt rezensiert werden kann. Die Vorwürfe gegen Kirill Serebrennikov sind aus der Luft gegriffen, soviel scheint festzustehen: Die russischen Behörden werfen ihm Veruntreuung von Subventionen vor, wollen aber tatsächlich seine offene Kritik am Putin-Regime bestrafen. Er hat sich unbeliebt gemacht mit mutigen Inszenierungen. Ob Solidaritätsadressen aus Deutschland ihm helfen, sei dahin gestellt, aber er hat jede juristische und moralische Unterstützung verdient.

Film wirkte kolonialistisch

Ob sein Regiekonzept allerdings aufgegangen wäre, das lässt sich schlechterdings nicht entscheiden, er hatte ja keine Chance, es umzusetzen. Der Film allerdings, der war mehr als fragwürdig. Zwei schwarze Kinder aus Ruanda, die völlig überwältigt durch Stuttgarts Ladenzeilen schlafwandeln, Fußballschuhe streicheln, Bonbons bewundern und Sahnetorte klauen, das wirkte ärgerlich kolonialistisch und anmaßend. Sicher, in Afrika gibt es Hunger und Not, aber erstens ist ausgerechnet Ruanda inzwischen einer der am besten verwalteten Staaten der Region, und zweitens ist "Hänsel und Gretel" keine Umschreibung für "Brot für die Welt" oder "Misereor".

Schluss-Szene erinnerte an Kirchentag

Ohnehin bewegen sich Inszenierungen dieser Oper oft gefährlich nah am Sozial-Kitsch, wenn sie nicht von vorneherein als Märchen-Comic aufgezogen sind. Politisch wurde es lediglich vor Jahren in Erfurt in einer Inszenierung nur für Erwachsene, als die männliche Hexe die Kinder in einem adretten Reihenhaus missbrauchte - die bis jetzt härteste und umstrittenste Lesart überhaupt. In Stuttgart tanzte am Ende der Kinderchor fröhlich in weißen T-Shirts, wie ausgelassene Engel. Eine Szene, die an Kirchentage denken ließ. Das war sicherlich hoffnungsvoll gemeint, optimistisch, in all der Düsternis von russischer Korruption und afrikanischem Elend.

Stuttgart machte es sich nicht leicht

Die Solisten, darunter Daniel Kluge als Hexe, Diana Haller als Hänsel und Ester Dierkes als Gretel machte ihre Sache hervorragend, mussten sie doch ohne exotische Kostüme unentwegt gegen den gleichzeitig gezeigten Film konkurrieren. Dirigent Georg Fritzsch leitete das Staatsorchester Stuttgart auf der Bühne recht wagnerianisch, wie es dem Komponisten Engelbert Humperdinck sicher gefallen hätte. Das klang allerdings auch sehr nach Requiem, also den Umständen angemessen. Leicht hat es sich Stuttgart nicht gemacht: So ist es dort Brauch, und in diesem Fall gewiss kein schlechter.


Wieder am 26. Oktober, 4. November, 2. Dezember.