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Richard Siegal - Ballet of Difference

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Richard Siegal in München: Körper als Bewegungsklangmaschinen

Richard Siegals "Ballet of Difference" steht für Diversität der Tanzstile und Körper. In seiner neuen Choreografie "Made for Walking" werden die Tänzer zu Rhythmusinstrumenten. Der furiose Abend ist nun auch in München zu sehen. Von Nicole Strecker

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Man weiß ja, Richard Siegal hat eine große Gabe: Er ist als Choreograf gewissermaßen "bipolar" und kann einfach beides: Er kann große klassische Ballettensemble und kleine freie Szene, kann "Bayerisches Staatsballett" und "The Bakery", die experimentierfreudige Plattform für interdisziplinäre Kunst. Seit anderthalb Jahren hat er nun eine eigene Kompanie, das von München und Köln finanzierte "Ballet of Difference" und erwartungsgemäß muss das auch beides können: Fantastisch-hochgetunten Spitzentanz der Forsythe-Schule und zugleich die Überwindung des zeitgenössischen Balletts, etwa mit total unballettös-lautstarkem Trampeltanz.

Stiefel zum Tanzen

"Made for Walking" heißt die Uraufführung in seinem neuen dreiteiligen Programm, und wer jetzt dem Titel reflexhaft "these boots" voranstellt wie in Nancy Sinatras Song - der liegt richtig: Die vier Tänzer dieses Stücks tragen zum schlichten, sandfarbenen Kittel-Kleidchen schwarze Stiefeletten, mit denen sie energisch Rhythmus erzeugen.

"Die Stiefel können wie Percussion-Musikinstrumente genutzt werden und so erweitern sie das choreografische Spektrum. Die Choreografie ist zugleich hörbar und sichtbar, so dass die Grenze zwischen Musik und Tanz unscharf wird - oder besser: so dass ihre ohnehin vorhandene Unschärfe betont wird." Choreograf Richard Siegal

Bodypercussion

Der Körper als Bewegungs-Klangmaschine: Die Tänzer klackern lässig mit den Absätzen wie Stepptänzer. Sie paradieren in soldatischer Linie mit hochgeworfenen Beinen am Publikum vorbei und trappeln auch schon mal so puppenhaft, als wollten sie das martialische Marschieren karikieren wie einst die Goldminen-Arbeiter ihre Wärter beim afrikanischen Gumboot-Dance. Dazu Bodypercussion mit den Händen, was zu aufregender rhythmischer Komplexität führt. Polyrhythmik in einem einzigen Körper.

"'Made for Walking' ist extrem virtuos, und einen Großteil des Probenprozesses haben wir dafür gebraucht, unsere Körpertechniken neu zu definieren und die Idee der Polyrhythmik zu kontrollieren. Jetzt ist sie uns so eingeschrieben, dass wir in kurzer Zeit Sachen entwickeln können, die noch vor einem Monat unmöglich gewesen wären." Choreograf Richard Siegal

Work in progress

Tatsächlich wirkt Siegals "Made for Walking" noch bei der Uraufführung in Köln wie ein "work in progress“, eine Arbeit, die mit jeder Vorstellung weiterreifen dürfte. Siegal bleibt während der Vorstellung auf der Bühne, steht hinter einem DJ-Pult, das aber kaum mal zum Einsatz kommt. Stattdessen greift der Meister irgendwann zum Mikrofon, gibt den Tänzern leise Instruktionen - der Chef bei der Arbeit. So wird "Made for Walking" zum inszenierten Einblick in die Choreografen-Werkstatt und weist geschickt jeden Anspruch auf Perfektion zurück. Und den darf man auch noch nicht ans neue Stück stellen.

Dreiteiliges Programm

Dafür aber ans alte: Im dreiteiligen Programm zeigt Siegal neben "Made for Walking" zunächst das Kompanie-Gründungsstück "BoD", das er spürbar überarbeitet hat. Jetzt stimmt die Lässigkeit, stimmt das Tempo. Und schließlich: Sein Ballett "Unitxt", das er 2013 für das Bayerische Staatsballett choreografiert hat: Zwölf Tänzer. Den Ballerinen mit dem strengen Haardutt zucken die Hüften, ihre spektakulär hohen Beine spreizen sie mit der aggressiven Erotik von Nachtclubtänzerinnen. An ihren schwarzen Corsagen sind Haltegriffe, mit denen lupfen die Männer sie gelegentlich hoch wie Katzen, die man am Nacken packt. Ein choreografisches Meisterwerk und der pulshochjagende Rausschmeißer an einem furios ehrgeizigen Tanzabend - egal ob mit Ballettschuh oder Boots.

Richard Siegal / Ballet of Difference ist vom 1. bis 3. März in der Münchner Muffathalle zu sehen.