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"Positive Propaganda": Ein Kunstverein für Street Art in München

"Positive Propaganda": Ein Kunstverein für Street Art in München

Monumentale Bilder im öffentlichen Raum - das ist meistens Werbung. Dabei gäbe es viele politische und gesellschaftliche Themen, die im Stadtbild präsent sein sollten. Ein Münchner Verein fördert Street Art, die genau dafür steht.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Mitten in der Münchner Maxvorstadt, zwischen Bahnhof und Königsplatz, prangt an der Berufsschule an der Luisenstraßen ein haushohes Wandbild: Es zeigt einen Geldautomaten. Umrahmt von antikisierenden Säulen erinnert das Ganze aber an einen Tempel oder die Nische einer Kirche, in der sonst Heiligenfiguren stehen. Gleißend helles Licht geht von dem Automaten aus, davor, mitten im Lichtstrahl dieser Erscheinung, steht ein kleiner Junge. Er streckt den rechten Arm nach oben, um an den Geldauswurf zu kommen, aber er ist zu klein. Dass seine Armbewegung dabei einer bekannten Grußformel für einen anderen vermeintlichen Heilsbringer ähnelt, ist sicher kein Zufall. 

Welche Themen gehören in den öffentlichen Raum?

Der bitterböse Kommentar auf das allgegenwärtige Streben nach Geld ist eine Arbeit des italienischen Künstlers BLU, eines der bedeutendsten und kritischsten Street Art-Aktivisten der Welt. Natürlich malt man so etwas mitten in München nicht unautorisiert in einer Nacht-und-Nebel-Aktion an die Wand.

Das Bild ist auf Einladung des Kunstvereins "Positive-Propaganda" entstanden. Seit fünf Jahren holt dieser gemeinnützige Verein internationale Street Art-Künstler nach München. Mehr als ein Dutzend großformatige Arbeiten sind so entstanden, mit Themen von Waffenhandel bis Gentrifizierung, erklärt der Leiter des Kunstvereins Sebastian Pohl: "Wenn man in einer Großstadt lebt und sich jeden Tag umschaut, womit man konfrontiert wird – vor allem mit Werbung und einer entsprechenden Beeinflussung –, dann stellt man sich die Frage: Worüber sollte man eigentlich im öffentlichen Raum reden? Ich denke, dass es einige Themen gibt, die wichtiger sind als ein neues Paar Schuhe. Themen, die wirklich mit uns zu tun haben oder mit unserer Welt, in der wir leben. Wir sind Teil dieser Kugel und was wir hier machen, wird irgendwann auf der anderen Seite ankommen und dann kommt es zu uns zurück. Und ich glaube, dass der öffentliche Raum dazu genutzt werden sollte um über Themen zu sprechen, die wichtiger sind als man selbst."

Gentrifizierung, Waffenhandel, "öl-basierte" Politik

Da ist der Buntspecht in schillerndem Federkleid, der emsige Ameisen in ihrem Lebensraum bedrängt und ihnen ihre Larven streitig macht, ein Werk des italienischen Künstlers ERICAILCANE im Westend - ein klares Bild zum Thema Gentrifizierung.

Da ist das haushohe Wandbild von ESCIF in der Paul-Heyse-Straße: Lilien und Rosen in einer Blumenvase. Erst bei genauerem Hinschauen erkennt man, dass die in Delfter Blau gehaltene Dekoration auf der weißen Vase Gewehre, Panzer und Kampfflugzeuge zeigt, eine Anspielung auf die Rüstungsgüter, die im Münchner Umland hergestellt werden. Oder Shepard Fairey alias OBEY GIANT: Der US-amerikanische Künstler ist nach Banksy wohl einer der bekanntesten Street Art-Künstler der Welt. Von ihm stammen die zu Ikonen gewordenen Plakate zur Präsidenschaftskanditatur Obamas. Seine Arbeit "Paint it black" an der Landshuter Allee in Neuhausen kritisiert im Stil einer Werbung für schwarze Farbe die Fixierung der Politik auf das Erdöl: "Ich war fasziniert von der Idee, dass der öffentliche Raum der Werbung und Beschilderung vorbehalten ist, alles andere ist praktisch schon eine Anomalie."

Kunst-Signale mitten im Stadtbild

Die Orte der Werke zeigen: Es geht nicht um irgendwelche Abbruchwände in den Randbezirken oder dekorative "Verschönerungen" trister Unterführungen mit möglichst viel Farbe: Der Kunstverein "Positive-Propaganda" schafft es immer wieder, große Flächen in zentralen Lagen für die haushohen Arbeiten zu akquirieren. Denn die Werke sollen natürlich von möglichst vielen gesehen werden.

Ziel ist es, gesellschaftlich wichtige Themen im öffentlichen Raum und damit auch im öffentlichen Bewusstsein zu verankern. Gleichzeitig ist die ästhetische Qualität der Arbeiten eine Bereicherung, setzt sie der Flut an platter Werbung doch etwas Gehaltvolles entgegen. Im besten Fall sollen die Kunstwerke überraschen und ein Umdenken provozieren. Natürlich ist das idealistisch, aber an Idealismus fehlt es den Mitarbeitern des Kunstvereins ohnehin nicht. Mehrere Jahre lang arbeiteten alle Beteiligten ehrenamtlich, zahlten Reise-, Material- oder Mietkosten für die Hebebühnen aus eigener Tasche. Seit 2016 fördert der Münchner Stadtrat die gemeinnützige Arbeit des Kunstvereins mit 100.000 Euro im Jahr. Vor allem Josef Schmid von der CSU, zweiter Bürgermeister und Wirtschaftsreferent, ist Feuer und Flamme für das Projekt: "Ich finde, dass München ja im Bereich der Hochkultur glänzt und leuchtet, aber dass es München auch ganz gut ansteht, auch im Bereich der Subkultur, eben gerade im Bereich der Street Art, ein bisschen spannender zu werden, etwas Aufregendes bieten zu können, das steht uns gut zu Gesicht. Wir haben ja jetzt einen BLU, einen Shepard Fairey, einen ESCIF, das sind alles Weltstars der Street Art-Szene, und das passt gut zu München."

Der Verein agiert dabei vollkommen unabhängig. Niemand mischt sich in die Themen oder Motive ein, es gibt keine Sponsoren im Hintergrund, ja nicht einmal seine Hauswand darf man zur Verfügung stellen: Da sich niemand an den Arbeiten bereichern soll, werden ausschließlich öffentliche Flächen genutzt. Denn die Stadt München duldet die Wandbilder mit ihren gesellschaftlich und politisch oft so kritischen Motiven nicht etwa, nein, sie fördert sie und stellt sogar Flächen zur Verfügung. Ein bemerkenswerter Vorgang, der europaweit einzigartig ist.