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Haruki Murakami - Archivbild von 2005

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Murakamis neuer Pageturner "Die Ermordung des Commendatore"

In Band 2 von Haruki Murakamis "Die Ermordung des Commendatore" geht es weiter um den Porträtmaler und die Beziehung zu seinem 13-jährigen Modell. Bestseller-Autor Murakami in Bestform: irritierend, kunstvoll-lakonisch, spannend! Von Helmut Petzold

Über dieses Thema berichtet: Diwan - Das Büchermagazin am .

Blicken wir zurück: Im ersten Teil des vergangenen Sommer erschienenen Romans machte ein irritierendes Bild Geschichte: Murakamis namenloser Ich-Erzähler, ein erfolgreicher Porträtmaler, wird von seiner Frau verlassen; er reist ein halbes Jahr ziellos durch Japan, um schließlich in ein einsam gelegenes Haus zu ziehen. Es gehört einem berühmten Maler, mit dessen Sohn der Erzähler befreundet ist. Der Erzähler bekommt den Auftrag, einen reichen, etwas seltsamen Mann zu porträtieren, und er findet auf dem Dachboden des Hauses ein Gemälde, das denselben Titel trägt wie der Roman: "Die Ermordung des Commendatore".

Dieses Bild löst eine Reihe unerklärlicher Ereignisse aus: Unter anderem sitzt eines Nachts der jenem Gemälde entstiegene Commendatore auf dem Sofa und erklärt, dass er eine Idee sei und jede Gestalt annehmen könne, also auch die des Commendatore. Gleichzeitig entwickelt der Erzähler einen neuen, eigenen Malstil und beginnt mit der Arbeit an dem Porträt eines 13-jährigen Mädchens, die ihm immer Sonntags Modell sitzt. Dann endet der erste Band, mit dem vielversprechenden Satz:

"Der Sonntag stand bevor. An ihm würde vieles geschehen. Es sollte ein sehr aufregender Sonntag werden." aus: 'Die Ermordung des Commendatore, Band 1'

Eine Krise – und schon wird die Realität durchlässig

Der zweite Band schließt nun unmittelbar an diesen Satz an: Es geschieht tatsächlich viel, auch viel Aufregendes: Murakami löst alles ein, was er im ersten Band versprochen hat – und was Murakami-Leser von einem Murakami-Roman erwarten dürfen. Im Kern erzählt "Die Ermordung des Commendatore" wieder die Geschichte eines mittelalten Mannes in einer Lebenskrise. Der Erzähler erfährt – wie andere Murakami-Figuren vor ihm – dass die Beschränkung des "Lebens auf Raum, Zeit und Wahrscheinlichkeit" aufgehoben werden kann. Er nimmt einen "Riss zwischen zwei Welten" wahr und erlebt, wie die "Grenze zwischen Realität und Illusion" durchlässig wird. Der Traum kann die Realität beeinflussen, die Realität kann zeitweise sogar ganz außer Kraft gesetzt werden. Auch die Zeit verläuft nicht immer gleichmäßig, und nicht immer nur in eine Richtung.  

Und auch dieser Erzähler gerät wieder in eine dieser für Murakami typischen Parallelwelten, in ein "Reich der Metapher", in dem er von einem gesichtslosen Mann über einen reißenden Fluß gerudert wird, der durch die "Schlucht zwischen Sein und Nichtsein" fließt; er landet in einer dunklen Höhle, kriecht durch einen immer enger werdenden Gang, während er von etwas Kaltem, Schleimigen, Tentakeligen verfolgt wird.

"Alles an diesem Ort war ein Produkt von Zusammenhängen. Es gab hier kein Absolutes. Sogar der Schmerz war eine Metapher. Ebenso wie dieser Tentakel. Alles war relativ. Licht war Schatten, Schatten war Licht." aus: 'Die Ermordung des Commendatore, Band 2'

Der Erzähler muss sich an diesem Ort seinen Ängsten stellen. Es wird eine lange Reise durch eine andere Welt, eine Reise, die zu einer Erkundung der Finsternis und der Dunkelheit gerät, auch der Dunkelheit des eigenen Unbewussten, der inneren Abgründe. Was nicht ungefährlich ist:

"In der Unterwelt herrschten unbestreitbare Gefahren und absoluter Schrecken. Die absurdesten Dinge konnten dort geschehen, ohne dass es verwunderlich war." aus: 'Die Ermordung des Commendatore, Band 2'

Typischer Murakami-Sound – unlogisch und stimmig zugleich

Natürlich entzieht sich das Geschehen über weite Strecken jeder Logik und jeder Erklärung, weswegen Murakami nicht einmal den Anschein einer Erklärung versucht. Dafür beschreibt er diese "andere Welt" bildkräftig, in einer nüchternen, täuschend einfachen Sprache, eben diesem unverkennbaren, immer leicht melancholisch grundierten Murakami-Sound. Und obwohl alles absolut unlogisch ist, ist alles absolut stimmig.

Murakamis neues Werk ist ein fantastischer philosophischer Roman über Ideen und Metaphern. Ein Künstlerroman, der viel über Schaffensprozesse verrät. Und ein Pageturner, der einen von der ersten Seite an nicht loslässt. Letzlich gilt für den Roman "Die Ermordung des Commendatore" das, was der Ich-Erzähler über das Gemälde "Die Ermordung des Commendatore" sagt:

"Dieses Gemälde war zur besten Metapher geworden und hatte der Welt eine andere neue Wirklichkeit geschenkt, ebenso wie es die Worte eines herausragenden Dichters taten." aus: 'Die Ermordung des Commendatore, Band 2'

Haruki Murakamis Roman "Die Ermordung des Commendatore, Band 2: Eine Metapher wandelt sich" erscheint in der Übersetzung von Ursula Gräfe am 16. April bei Dumont.