Die Muse reicht ihm gern die Flasche: Hoffmann, der umjubelte Erfolgs-Schriftsteller, hängt vorzugsweise in Theaterkantinen herum, betrinkt sich dort mal gepflegt, mal diabolisch, ist immer für ein Lied zu haben, liebt Frauen generell nur unglücklich und wartet auf Inspirationen. Ein tragischer, ein sehr deutscher Held! So jedenfalls stellten sich die Franzosen den Romantiker vor, schwer fasziniert von dessen Hang zur Selbstzerstörung. Klar: In Frankreich herrscht die kühle Vernunft, da wird rational debattiert statt emotional gelebt. Am Salzburger Landestheater inszenierte die junge, aus Dortmund stammende Regisseurin Alexandra Liedtke Offenbachs unvollendete Oper als melancholisches Seminar über die Trunkenheit.
Dem Rausch entsprungene Nebelgestalten
Hoffmann, eindrucksvoll und verschattet gespielt von Franz Supper, ist weder ein Draufgänger, noch ein Playboy. Er leidet an sich und der Welt, hadert mit der Kunst und verbrennt am Ende seine Manuskripte. Da hilft keine Aufmunterung, und der Alkohol selbstverständlich auch nicht. Der Autor ist ein Getriebener, gehetzt von den Fans, gedemütigt von den Frauen. Olympia ist ein Automat, Giulietta eine Prostituierte, Antonia eine Todgeweihte: Alles nur Fantasie-Figuren, dem Rausch entsprungene Nebelgestalten. Liebe gibt es hier nicht, nur Enttäuschungen, Frustrationen, Lug und Trug. Die Romantik war ja hingerissen von Träumen und Albträumen.
Tragik des Schreibens
Ausstatter Falko Herold entwarf einen Speisesaal mit dem Charme einer Bahnhofsgaststätte: Triste, nackte Tische, vor sich hin müffelnde Flaschen. Im Hintergrund wabern geschickt zusammengestellte Videoprojektionen - nicht zu konkret, nicht auf-, aber eindringlich. Im Suff sieht sich Hoffmann von bunten Märchen-Gestalten umgeben, die am Ende als graue Gespenster herum spuken. Das alles ist konsequent gedacht, wenig experimentell, nicht übermäßig aktuell, aber sehr unterhaltsam und berührend. Dieser Abend berichtet von der Tragik des Schreibens, von den Untiefen der Kreativität, weniger von den Zumutungen der Liebe. Alle drei Frauen bleiben dem Dichter räumlich und emotional fern. Sogar seine Muse, die ihn auf Schritt und Tritt begleitet, wird nicht wirklich "warm" mit ihm.
Es geht "freudianisch" zu
So düster und kühl wird Offenbach selten inszeniert. Alexandra Liedtke schafft es, nie ins Pathos oder in den schwülen Kitsch abzudriften, was bei "Hoffmanns Erzählungen" allzu leicht geschehen kann. Ihr gelingen unheimlich-beklemmende Bilder, die von den unterbewussten Besessenheiten der Romantik künden. "Freudianisch" geht es auf der Bühne zu, etwa, wenn Peter Schlemihl auftritt, der seinen Schatten verloren hat, oder die mumienhafte Mutter aus dem Jenseits nach ihrer kranken Tochter ruft. Hier wird E.T.A. Hoffmann ernst genommen und nicht als Märchenerzähler oder Anekdoten-Onkel missverstanden.
Vierfacher Bösewicht
Trotz Indisposition bzw. Verletzung gaben Tamara Ivanis (Olympia), Angela Davis (Giulietta) und Anne-Fleur Werner (Antonia) ihr Bestes und waren schauspielerisch rundum überzeugend. Herausragend George Humphreys als vierfacher Bösewicht Lindorf, Coppelius, Dapertutto und Doktor Mirakel. Dirigent Adrian Kelly trumpfte mächtig auf in dem kleinen Haus, mitunter zu forsch, so dass Offenbach bisweilen geradezu martialisch klang. Insgesamt freilich eine überzeugende Produktion, die nach heutigen Maßstäben allen gerecht wird: Der Deutschen Romantik, dem verteufelten Alkohol, dem Dichter E.T.A. Hoffmann und Jacques Offenbach - wobei gar nicht so leicht zu entscheiden ist, ob sich in diesem Fall überhaupt um zwei verschiedene Personen handelt.
Wieder am 2., 7. und 19. November.