Julia Hülsmann
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Kleines Wunder: Das neue Album der Jazzpianistin Julia Hülsmann

Jazz, so traumwandlerisch wie streng: Julia Hülsmann und ihre Mitspieler erkunden im Album "Not Far From Here" das Missverständnis als Chance und die Reduktion als Gewinn. Das ist nicht nur faszinierend, sondern schlicht und einfach wunderschön.

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Zärtlich und, ja, auch ein bisschen verlegen klingt sie, diese erste Kontaktaufnahme zwischen der Pianistin Julia Hülsmann und dem Saxophonisten Uli Kempendorff. Ein vorsichtiges Abtasten. Flirrig und flirtig: hinsehen, wegsehen, ausweichen, umdrehen, und dann doch: ansehen. Da spielen zwei, die nichts erzwingen. Die sich Zeit lassen, einander zu finden. Die wissen, dass Geduld und Gelingen nah beieinander liegen. Dabei sei sie gar kein gelassener Mensch, sagt Julia Hülsmann: "Aber ich habe inzwischen sehr viel mehr Gelassenheit, als ich früher hatte. Und ich kann einfach weiterlaufen und denken: Ach, das geht schon, ich komm schon an und bin ja auch gar nicht weit weg."

Harmonisches Missverstehen

Nicht weit weg – "Not Far From Here" – das ist Titel und Programm des neuen Albums von Julia Hülsmann. Diesmal mit gleich drei Männern an ihrer Seite: Uli Kempendorff erweitert das schon seit 17 Jahren bestehende Trio um den Bassisten Marc Muelbauer und den Schlagzeuger Heinrich Köbberling. Nicht weit weg – das klingt lapidar, ist aber ziemlich selbstbewusst. Motto einer Künstlerin, die angekommen ist. Die weiß, dass sie keine großen Sprünge machen muss, um den richtigen Ton zu finden. Einfach zuhören – der Rest, der kommt dann schon: "Es kommt vor, dass wir ein Stück spielen und wir denken alle was Anderes. Zum Beispiel: Wir zählen anders. Und trotzdem kommen wir zusammen. Das finde ich manchmal auch erstaunlich, wenn wir uns austauschen und ich sag: Ich denk da eigentlich in Halben. Und dann guckt mich Heinrich am Schlagzeug verwirrt an und meint: Aber das ist doch eigentlich so gemeint… trotzdem kommen wir zusammen, und darum geht’s ja eigentlich."

Provokationen des Unwahrscheinlichen

Das sind die kleinen Wunder, denen man beim Hören immer wieder begegnet: Momente der Überraschung, in denen Unterschiedliches plötzlich eins wird, oder eins sich in vieles aufspaltet. Überhaupt liegt darin die hohe Kunst dieses Quartetts: das Unwahrscheinliche zu provozieren. Wie in einem Teilchenbeschleuniger. Wobei – besser wäre wahrscheinlich: Teilchenentschleuniger. Denn auftrumpfend virtuos ist hier nichts. Im Gegenteil: Selbst dort, wo die vier das Tempo anziehen, bleiben die Töne plastisch, hinterlassen Spuren in der Wahrnehmung. Als hätte man eine Zeitlupe vor den Ohren.

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CD: Not Far From Here, ECM

Hülsmann ist eine Meisterin der Reduktion

Nicht unbedingt das, was man von einer Musikerin erwartet, die sich selbst eine "Getriebene" nennt. Und doch: Hülsmann, die am Klavier eine Hohepriesterin der Langsamkeit ist, ist gleichzeitig enorm produktiv. "Not Far From Here" ist bereits ihr siebtes Album seit 2008, seit sie bei ECM unter Vertrag ist: Das vielleicht einzige Label der Welt, das den Namen eines "Autorenlabels" verdient, so prägend ist der Einfluss des Produzenten Manfred Eicher. Eigentlich sei der wie ein weiterer Musiker, auch wenn er nur zuhöre, erzählt Hülsmann: "Er hat ein untrügliches Gefühl dafür, ob das, was man macht echt ist oder ob das irgendwelche Floskeln sind, Sachen, die man einfach kann und abspult – und das funktioniert nicht, das hört der halt sofort." An anderer Stelle hat die Pianistin es mal etwas drastischer formuliert: Eicher nehme ihr die Hälfte aller Töne weg. Im Nachhinein war sie selbst ein bisschen erschrocken, das als Zitat zu lesen: "Aber es stimmt: Sachen die nicht nötig sind, die kann man auch weglassen. Und für mich ist das tatsächlich genau richtig."

Lyrikerin des Jazz

Als Meisterin der Reduktion wird sie gerne bezeichnet: Und tatsächlich sind Hülsmanns Klangwelten ziemlich spartanisch möbliert – schlanke Akkorde, markant und fragil zugleich. Dazu diese suchenden Melodien, die ihr den Titel einer Lyrikerin des Jazz eingebracht haben. Häufig ergänzt um Label wie: Zuhörerin, oder Kommunikatorin. Klar, dass Hülsmann da hellhörig wird. Immerhin hat sie sich schon in ihrer Diplomarbeit mit dem Selbstverständnis von Jazzpianistinnen beschäftigt: immer noch eine ausgesprochen rare Spezies. Ihr Spiel wird häufig in typische Geschlechterkategorien eingeordnet. Dabei ist das gar nicht zwingend, sagt Hülsmann: "Also, wenn man jetzt Klischees bedienen wollte, stimmt das vielleicht, dass ich durch meine Art, wie ich spiele, voll in das Frauenklischee reinfalle. Aber ich stelle mir schon die Frage, warum das immer bei mir steht – Lyrikerin des Jazz. Und bei Michael Wollny, der das auch ist, steht das halt nie! Könnte man aber genauso schreiben." Könnte man. Genauso wie man für das Spiel von Julia Hülsmann ganz andere Worte finden könnte: "streng" zum Beispiel. Oder "architektonisch". Oder einfach: ultraschön.

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