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Buckeln für Toleranz: "Der Glöckner von Notre Dame" in München

Der Roman von Victor Hugo wurde mehrfach verfilmt, zuletzt 1996 vom Disney-Konzern als Zeichentrick-Version. Daraus entstand ein Musical, das allerdings nur in Berlin ankam. Nach langer Pause ist es jetzt auf Tournee. Nachtkritik von Peter Jungblut.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Selbst der Walt-Disney-Konzern kennt offenbar seine Grenzen, und vielleicht macht gerade das seinen Erfolg aus: Die Musicalfassung vom "Glöckner von Notre Dame" (Uraufführung 1999 in Berlin) schaffte es nie an den Broadway. Es blieb bei ein paar experimentellen Vorstellungen in San Diego und New Jersey, also in der amerikanischen Unterhaltungsprovinz. Letztes Jahr versuchte es ein besonders wagemutiger Produzent im kalifornischen Sacramento sogar mit einem Taubstummen in der Titelrolle, was die Zuschauer allerdings auch nicht so recht überzeugte: Dass Glockenläuten den Ohren schadet, wussten sie wohl vorher.

"Nicht die stärkste Stunde" von Alan Menken

In Berlin dagegen füllte das Musical immerhin drei Jahre das riesige Theater am Potsdamer Platz und ist jetzt, nach langer Pause, auch wieder mit einigem Erfolg auf Tournee. Was also haben die Amerikaner gegen diese Bühnenfassung, die doch hierzulande leidlich ankommt? Zu düster, zu tragisch sei der "Glöckner" für das US-Publikum heißt es oft, aber tatsächlich ist das Musical miserabel komponiert. Der mehrfache Oscar-Preisträger Alan Menken hatte wirklich nicht seine stärkste Stunde, als er diese Filmmusik zu Papier brachte und später für die Bühne bearbeitete.

Pathetische Hymnen, dröhnende Choräle

Nun scheiden sich an den Disney-Produktionen ohnehin die Geister: Was die einen für seicht, kitschtriefend und verlogen halten, finden nicht wenige aufwühlend, romantisch und befreiend. Doch was bei "Arielle, der Meerjungfrau", bei der "Schönen und dem Biest" oder "Pocahontas" funktioniert - alles preisgekrönte Kompositionen von Alan Menken - wirkt beim "Glöckner von Notre Dame" unbeholfen, unentschlossen und oberflächlich. Menken schrieb überhaupt nur pathetische Hymnen und dröhnende Choräle für dieses Musical, was über knapp drei Stunden eher ermüdend als unterhaltsam ist.

Auf Überwältigung getrimmt

Keine einzige Nummer bleibt länger im Gedächtnis, alles plätschert in derselben Pseudo-Gregorianik vorbei. Einzige Abwechslung ist die Instrumentation: Mal darf eine Gitarre verwegene Atmosphäre andeuten, wobei die "Zigeuner" hier tatsächlich noch so heißen, mal klimpert ein Klavier, wenn eine etwas elegischere Stimmung aufkommen soll. Kurz und gut: Dieses Projekt ist musikalisch gescheitert - und trotzdem sehenswert! Denn natürlich hat der deutsche Produzent, die bekannte Stage Entertainment aus Hamburg, die Sänger wieder sorgsam gecastet, eine fulminante Bühne gebaut und den "Glöckner" auf größtmögliche Überwältigung getrimmt.

Licht, Ton und Technik stimmen

Gerade eben war die Produktion ein paar Monate in Berlin zu sehen, gastiert jetzt bis Anfang Januar in München und im Februar in Stuttgart. Und Musicalfans wollen natürlich gerade jetzt, in der Vorweihnachtszeit, wissen, ob sich die vergleichsweise teuren Karten zum Beispiel als Geschenk auch lohnen, ob also Licht, Ton und Bühnentechnik stimmen, ob die Mitwirkenden Format haben, kurz: Ob sich das Hingehen lohnt. Nach dem gestrigen Premierenpublikum zu urteilen, war die Stimmung sehr freundlich, aber keineswegs enthusiastisch. Ja, es gab einen großen Schauwert, und der Cast kann sich wirklich sehen und hören lassen: Allen voran Felix Martin als fulminanter Bösewicht Frollo, der kein gutes Ende nimmt. David Jakobs als Glöckner Quasimodo schnallte sich am Ende demonstrativ den künstlichen Buckel ab, den er sich anfangs ebenfalls auf offener Bühne angelegt hatte - soviel Verfremdungseffekt durfte gerade noch sein.

"Unterkühlte Esmeralda"

Sarah Bowden als Esmeralda wirkte schauspielerisch wie stimmlich leider arg unterkühlt, war mehr Schönheitsmodell als Femme Fatal. Aber echte Sinnlichkeit lässt die klinische Disney-Ästhetik eh nicht zu. Hoch anzurechnen ist der Produktion (Tour-Regie: Dustin Peters), dass sie deutlich, ja überdeutlich, die aktuelle Flüchtlingsdiskussion anspricht - nicht gerade üblich im Musicalgeschäft. Da war beim hasserfüllten Erzdiakon Frollo von "offenen Grenzen" die Rede, von einer "Überflutung" durch Ausländer, von allerlei angeblich zwielichtigen Elementen. Ein klares Signal für Toleranz, gegen diese so offensiv zur Schau gestellte Engstirnigkeit. Dirigent Bernhard Volk durfte sich über eine leidlich professionelle, angemessene Tonanlage freuen, was in München leider zu selten der Fall ist. Akustisch blieben keine Wünsche offen, was die Musik selbstredend nicht interessanter machte. Von Amerika ist es halt doch ein sehr weiter Weg bis zum Mittelalter.


Bis 7. Januar in München.