Ein leerer Spielplatz im Leipziger Stadtteil Grünau.
Bildrechte: dpa-Bildfunk/Jan Woitas
Audiobeitrag

Erhöhung der Leistungen für armutsgefährdete Kinder

Audiobeitrag
>

Kindergrundsicherung: Bleiben arme Kinder trotzdem arm?

Kindergrundsicherung: Bleiben arme Kinder trotzdem arm?

Mit der Kindergrundsicherung sollen Kinder besser vor Armut geschützt werden und leichter finanzielle Hilfen bekommen. Der BR hat eine Familie mit fünf Kindern befragt, die in Armut lebt. Es zeigt sich: Mehr Geld ist wichtig, aber es geht um Würde.

Über dieses Thema berichtet: Politik und Hintergrund am .

"Das ist das Einzige, woran man denkt: Geld. Und ich denke mir noch: Wie kann ich meiner Mutter irgendwie helfen, mehr Geld zu verdienen?", sagt Prisla. Sie ist 13 Jahre alt und arm, so wie jedes fünfte Kind in Deutschland. Alleinerziehende wie ihre Mutter bräuchten mehr finanzielle Hilfe. Aber weniger bürokratische Formulare, weniger Fallstricke, keine Scham mehr, fordert Prisla, der es peinlich ist, auch in der Schule als bedürftig dargestellt zu werden.

  • Zum Artikel: Kindergrundsicherung-FAQ: Was bringt sie wem und wie viel?

Familienministerin kündigt Bürokratieabbau an

Mit der Kindergrundsicherung habe die Bundesregierung eine Antwort auf Kinderarmut gefunden, sagt Familienministerin Lisa Paus. Die Kindergrundsicherung soll ab 2025 verschiedene Hilfen bündeln: das Kindergeld, Leistungen aus dem Bürgergeld und den Kinderzuschlag. Damit sollen Bürokratie abgebaut und finanzielle Hilfen zugänglicher für arme Familien gemacht werden.

Die Kindergrundsicherung besteht dann aus zwei zentralen Teilen: einem für alle Familien gleich hohen Garantiebetrag, der jetzt das Kindergeld ist, und einem einkommensabhängigen Zusatzbetrag. 2,4 Milliarden Euro sind bisher dafür eingeplant. Kindern wie Prisla sollen so bessere Bildungschancen eröffnet werden, auch berufliche Chancen und gesellschaftliche Teilhabe. Kann das die von der Bundesregierung geplante Kindergrundsicherung leisten?

Zwei Jobs und trotzdem Aufstocker

Prislas Mutter Abigail arbeitet in zwei Jobs: vormittags als Schulbegleiterin, nachmittags betreut sie Kinder in einem Hort. Insgesamt verdient sie rund 1.700 Euro. Ihr Einkommen stockt sie mit Bürgergeld auf. Allein für Lebensmittel für ihre sechsköpfige Familie zahlt die Alleinerziehende knapp 500 Euro im Monat. Ihren Nachnamen will die Familie für sich behalten.

Die letzten zwei Monatsmieten über 1.500 Euro hat Abigail nur anteilig bezahlt, weil die Anträge für Kinderzuschlag und Wohngeld noch laufen. Generell verbringt die Mutter viel Zeit damit, Anträge auszufüllen: Leistungen vom Jobcenter, Unterhaltsvorschuss, Wohngeld, Kinderzuschlag, Anträge bei Vereinen, die arme Familien unterstützen. Es sei gut, dass die Kindergrundsicherung nun einen Teil der Hilfen bündeln soll, findet sie, aber am Ende des Monats fehle ihr trotzdem das Geld, um ihre Familie zu versorgen.

Bürgergeld schmälert Ausbildungsgehalt einer Tochter

"Es ist alles so teuer geworden. Man kann mit 50 Euro oder 100 Euro, gerade wie wir als Großfamilie, nicht einkaufen gehen." Abigail, alleinerziehende Mutter

Abigail ist aus Ghana nach Deutschland gekommen und hat hier ihren Mittelschulabschluss und eine Ausbildung als Altenpflegerin absolviert. Die 13-jährige Prisla macht die mittlere Reife und will Politikerin werden. "Weil ich vieles verändern möchte und weil ich sehe, dass viele Leute Hilfe brauchen", sagt sie.

Ihre große Schwester hat gerade ihre Ausbildung als Medizinische Fachangestellte angefangen. Weil die Familie Bürgergeld bezieht, muss sie einen Teil ihres Ausbildungsgehaltes abgeben. Deswegen will Mutter Abigail unabhängig vom Jobcenter werden. "Arme Kinder bleiben immer arm. Die kommen da nicht richtig raus", sagt sie.

Gibt es den Ausweg aus der Armutsfalle?

Kinder im SGB-II-System, die also Bürgergeld beziehen, blieben auch einen Großteil ihrer Kindheit und danach in der Armut gefangen, bestätigt Dagmar Müller. Sie ist wissenschaftliche Referentin für Familienpolitik und Familienförderung am Deutschen Jugendinstitut. Besonders betroffen seien Großfamilien wie die von Prisla. Durch die zeitintensive Care-Arbeit können Mütter oft Familie und Beruf nicht vereinbaren.

"Ich denke, im Moment fehlt immer noch der politische Wille, das Thema wirklich anzugehen. Die Berechnungen zeigen ja, dass man bis zu 20 Milliarden Euro pro Jahr in die Hand nehmen muss, wenn man Kinderarmut reduzieren will", sagt Müller. Die Kindergrundsicherung sei also nur der erste Schritt auf einem sehr langen Weg.

Dieser Artikel ist erstmals am 17. September 2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Darüber spricht Bayern": Der neue BR24-Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!