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Strauß - der Provokateur Politik als Übertreibung

Von Bismarck - mit dem Strauß' Fans ihn gern vergleichen - heißt es, er habe ein Fistelstimmchen gehabt. Strauß hatte alles andere als das. Strauß dröhnte - sein Echo auch: zwei Gründe, weshalb er kein zweiter Bismarck wurde.

Von: Michael Kubitza

Stand: 04.08.2015

Franz Josef Strauß während seiner Rede auf dem Kleinen Parteitag der CSU am 5. Februar 1983 in München | Bild: picture-alliance/dpa

Strauß über seine Gegner

"Arschloch, paranoides (über Rudolf Augstein). Filzpantoffel-Politiker (Helmut Kohl). Gehirnprothesenträger (Studenten). Handlanger Moskaus (die Regierung Brandt). Kryptokommunisten (Bayern-SPD). Mini-Napoleon der Publizistik (wieder Augstein). Pseudoliterarische Subkultur. Ratten und Schmeißfliegen (Schriftsteller). Verhetzte Kreaturen (Demonstranten)."

"Warum hast Du ein so großes Maul?" fragt das Rotkäppchen seine Großmutter. Die liegt im Bett, die schwarzen Wolfstatzen auf der Bettdecke, und erinnert verdächtig an Franz Josef Strauß. Zu bewundern ist die Szene 1979 an einer Scheunenwand in der Nähe des fränkischen Städtchens Aurach.

Dem Landwirt, dem die Scheune gehörte, brachte seine Abbildung eine Menge Ärger ins Haus. Die Staatsanwaltschaft schaltete sich ein, im Landtag wurden Anfragen gestellt, die Leserbriefspalten drohten zu platzen. Am Ende wurde das Verfahren sang- und klanglos eingestellt - "eine Justizkomödie, die zu den dramatischten Bearbeitungen des jahrhundertealten Märchenstoffs gehört", so der Autor und Rotkäppchen-Experte Hans Ritz.

Die Episode sagt viel aus über Franz Josef Strauß, den Mann, der Maßkrüge zum Schäumen bringen konnte, aber auch für unzählige Stürme im Wasserglas verantwortlich war. Zu provozieren war eine seiner Leidenschaften; sich provozieren zu lassen eine Schwäche, die ihn, vielleicht mehr als seine polarisierenden Überzeugungen, am Ende um seinen Lebenstraum gebracht hat - Kanzler zu werden. Bis heute füllen Strauß-Zitate Lehrbücher über Rhetorik und über Presserecht.

Dickfellig: Der Angreifer

Bis zu vier Stunden dauerten Strauß-Reden auf dem Politischen Aschermittwoch in Passau. Aus heutiger Sicht erstaunlich: Strauß redete nicht seine Zuhörer aus dem Saal, sondern die der Konkurrenz aus ihrem. Von der Bayernpartei, die die Veranstaltung begründet hatte, blieb wenig übrig, von den Gegenrednern der SPD ist nur noch Hans-Jochen Vogel in Erinnerung.

Strauß' Stärken: die freie Rede, ein markanter Rhythmus, Witz, plastische Sprachbilder. Wenn Strauß sich als Bewohner der "Leberkäs-Etage" gegen die "Kaviar-Etage" positionierte, blieb das länger im Gedächtnis als Strauß-Fotos vom Wiener Opernball.

"Erfolgreichen Rednern haftet grundsätzlich etwas Mystisches und Geheimnisvolles an."

Franz Josef Strauß, Die Erinnerungen

Das geneigte Publikum ließ sich - in Passau wie andernorts - hinreißen. Strauß auch. Viele Aussagen sorgten jenseits der eigenen Gemeinde für vehementen Widerspruch. Stand das Publikum nicht auf Strauß' Seite, mündete das schnell in wechselseitige Beleidigungsorgien. "Hitler, du bist fett geworden" riefen linke Demonstranten - für Strauß "die besten Schüler von Doktor Goebbels".

Strauß fürchtete die Macht der Straße. Seine Gegner fürchteten die Macht von Strauß. Manches, was im Rückblick belustigt, wirkte damals beängstigend.

"Strauß liebt das offene Wort - aber nicht so sehr bei anderen."

Peter Boenisch, Bild-Journalist und Sprecher der Regierung Kohl 1987 in der 'Bild am Sonntag'

Dünnhäutig: Der Angegriffene

Kein anderer Politiker bemühte die Gerichte so oft wie Strauß. Oft ging es gegen den Spiegel, oft gegen andere - mit und ohne Scheunenwand. Ja, man darf Strauß ungestraft einen "Zwangsdemokraten" nennen - bescheinigte am Ende des Instanzenzugs das Verfassungsgericht dem Publizisten Ralph Giordano.

"... und wenn wir hinkommen und räumen so auf, dass bis zum Rest dieses Jahrhunderts von diesen Banditen keiner mehr wagt das Maul aufzumachen ..."

Strauß 1974 auf einer Tagung der CSU-Landesgruppe in Sonthofen

1979 klagte Franz Josef Strauß erfolgreich dagegen, dass die Zeitschrift "Metall" obiges Zitat auf ihrer Titelseite dem "Kanzlerkandidat der Unionsparteien" zuschrieb. Der Medienrechtsprofessor Udo Branahl referiert die Begründung: Das Cover erwecke den Eindruck, Strauß habe die Aussage als Kandidat über die politische Konkurrenz geäußert, obwohl sie auf politische Terrorgruppen gemünzt gewesen sei. Strauß' Problem: Allzu viele hätten ihm ein solches "Aufräumen" beim Gegner zugetraut. "Dieser Mann ist gefährlich", urteilte Rudolf Augstein schon 1957. "Dieser Mann darf niemals Kanzler werden."

Von Augstein bis Schlötterer: viel' Feind', viel Ehr'?

Ein "Leitwolf", erschöpft von der Jagd auf "Ratten"

War Strauß gefährlich? Konservative wie der Historiker Horst Möller geben darauf eine andere Antwort als Menschen, die 1986 am Bauzaun der Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf (welche Strauß als "ungefährlich wie eine Fahrradspeichenfabrik" bezeichnete) Reizgas einatmen mussten.

Fest steht: anders als Bismarck folgte Strauß keiner ausbalancierten Strategie, sondern spontanen Impulsen. Und anders als der Preuße agierte der Bayer in einer gereiften Republik, die ihn nicht wirklich gefährlich werden ließ. Er selbst trug dazu ebenso viel bei wie seine Gegner. Strauß' Leidenschaften, der Mangel an Skrupeln und seine - nicht nur verbale - Unberechenbarkeit machten ihn groß, sorgten aber auch dafür, dass er nie in jenes Amt kam, das Angela Merkel seit zehn Jahren kühl kalkulierend, moderat moderierend und etwas langweilig ausübt.

Was Strauß nie einzusehen vermochte: dass auch ein ebenso brillanter wie breitstirniger Kopf Schaden nimmt, wenn er zu oft gegen zu viele Wände rennt.


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