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Timur Vermes Roman "U"

Mit "Er ist wieder da" ist Timur Vermes ein Weltbestseller gelungen. Nun hat der Nürnberger Autor seinen dritten und ganz anderen Roman veröffentlicht: Der Roman "U" nimmt seine Leser und Leserinnen mit auf einen rasanten Ritt durch die Nacht.

Von: Dirk Kruse

Stand: 24.11.2021 | Archiv

Timur Vermes Roman "U" | Bild: BR / Julia Hofmann

Der Nürnberger Autor Timur Vermes stand 2012 mit seinem ersten Roman, der Hitler-Satire "Er ist wieder da", monatelang auf Platz Eins der Spiegelbeststellerliste. Der Roman verkaufte sich über drei Millionen Mal und wurde in 41 Sprachen übersetzt. 2018 erschien dann als zweiter Roman die Politsatire zur Flüchtlingspolitik "Die Hungrigen und die Satten", die nicht an den Erfolg seines Debüts heranreichen konnte. Jetzt ist vor drei Wochen der dritte Roman von Timur Vermes erschienen. Er ist wesentlich dünner als die anderen beiden Bücher und trägt den schlichten Titel "U" und natürlich hat der 1967 in Nürnberg geborene Autor dabei auch die U-Bahn im Sinn, aber eben nicht nur ...

Ausgefallene ICEs und übervolle Ersatzzüge. Eine Frau kommt nach einem endlos langen Reisetag in einer fremden Großstadt an. Jetzt nur noch eine kurze Fahrt mit der U-Bahn und sie ist am Reiseziel. Doch der U-Bahnhof ist eine einzige verwinkelte Baustelle.

"Rollkoffer blockiert alle fünf Schritte.
Dann: an ihm zerren.
Könnte genauso mit einem Vierjährigen reisen.
Rollt fünf weitere Schritte – blockiert.
Wegschmeißen. Längst!
Aber: Umwelt.
Haut: klebrig.
Haare: alter Rasierpinsel.
24-Stunden-Deo. Von wegen."

Auszug aus dem Roman 'U'

Verschwitzt und entnervt findet sie endlich ihre U-Bahn und lässt sich im leeren Abteil erschöpft in den Sitz sinken. Nur fünf Stationen und sie kann sich eine erfrischende Dusche gönnen. Störend ist nur der einzige andere Fahrgast im Wagen, der sich ausgerechnet ihr gegenüber setzt und sie in ein Gespräch verwickelt. Dann startet die U-Bahn endlich. Sie fährt. Und fährt. Und fährt. Aber sie hält nicht und passiert auch keine Haltestellen. Also drücken die beiden schließlich den Notruf.

"'Ich habe Sie jetzt nicht verstanden. Können Sie das wiederholen?'
'Wir haben seit einer Viertelstunde keinen Bahnhof gesehen!'
Stille. Notruf denkt nach.
'Seit 15 Minuten keinen Bahnhof?'
'Ja.'
'Und die U-Bahn fährt, sagen Sie?'
'Volle Kanne.'
'Sagen Sie mal, kann es sein, dass Sie hier volle Kanne sind?'
Das ist doch …
'Glauben Sie, wir rufen zum Spaß an?'
Notruf jetzt supersachlich: 'Ich habe keine Ahnung, weshalb Sie anrufen. Aber diese Leitung ist für Notrufe freizuhalten.'
Notruf over and out. Leitung tot."

Auszug aus dem Roman 'U'

Immer unglaublicher geraten die Erklärungsversuche der beiden U-Bahn-Reisenden. Und immer surrealer wird diese nicht enden wollende Fahrt durch die Nacht. Anders als die beiden umfangreichen Vorgängerromane von Timur Vermes, die Politsatiren sind, changiert dieser Kurzroman gattungsmäßig zwischen Mysterythriller, Horror-genre-Skizze und fantastischer Erzählung.

"Ich hatte die Geschichte vorher in einer Drehbuchform. Ich wusste, was ich erzählen wollte. Aber ich wollte es möglichst nah durch die Dame mit dem Koffer erleben. Und das kann man ja im Drehbuch sehr schön machen. Man hat diesen Dialog, Hinz und Kunz reden und alles, was dazwischen passiert, schreiben Sie einfach rein. Jetzt ist dies zu sehen, jetzt ist das zu sehen, völlig funktional und ganz formlos. Das Problem ist anschließend, wenn Sie ein Buch daraus machen wollen, müssen Sie dafür einen Ersatz finden. Und dann müssen Sie beschreiben: Sie geht dahin, sie schaut das an, usw. Und ich fand, das macht Sachen kaputt, weil der Erzähler zwischen mich und die Dame geschaltet ist."

Timur Vermes im BR-Interview

So nah im Kopf einer Protagonistin ist man selten in einem Roman. Timur Vermes hat den Erzähler völlig weggelassen und lässt uns ihre ganz subjektiven Gedanken und Gefühle wahrnehmen. Ein flotter innerer Monolog, der aus Kurzsätzen, Wortfragmenten und Dialogen besteht.

"Wie denken wir? Keiner von uns formuliert in seinem Kopf Sätze. Sondern wir haben Geschmack, Gerüche oder Bilder vor Augen. Ich kann gar nicht genau beschreiben, was wir beim Denken machen. Ich denke ja nicht: Ich will jetzt eine Apfelsaftschorle bestellen. Sondern was denke ich? Denke ich an das Glas? Denke ich an die Form des Glases? Denke ich an den Moment, wenn ich es trinke? Und so versuche ich mich da anzunähern. Und zwar in einer Form, die der Leser noch versteht."

Timur Vermes im BR-Interview

Vom Schriftbild her sieht der Kurzroman "U" wie ein Langgedicht der visuellen Poesie aus. Denn er beinhaltet auch graphische Schriftelemente wie Sätze in Treppenform, wenn die Frau eine Treppe hochgeht oder schwarze Seiten, wenn das Licht plötzlich ausfällt. Interessant ist, dass Timur Vermes mit den Mitteln der literarischen Avantgarde eine wirklich süffige, spannende, humorvolle und leicht zu verstehende Geschichte erzählt. Denn als ehemaliger Boulevardjournalist, der in seiner Heimatstadt Nürnberg lange bei der Abendzeitung gearbeitet hat, weiß Vermes, wie man Leser bei der Stange hält.

"Ich finde Boulevard eine unglaublich gute Art des Zeitungsmachens, auch eine sehr ehrliche Art des Zeitungsmachens. Einfach, weil du die Geschichten zuspitzt. Es gibt unterschiedliche Varianten. Und du bekennst dich im Boulevard auch eindeutig mit dem Mechanismus, dass du die Leute auch interessieren musst, mit irgendwas. Es muss 'Huch?' sein, oder 'Yeah!' oder 'Oh, nein!'. Das ist der Kern einer Geschichte, dass irgendwas toll ist oder furchtbar oder du greifst dir an den Kopf wie blöd. Das sind die drei Geschichten."

Timur Vermes im BR-Interview

Info & Bewertung

Wertung: 4 Frankenrechen von 5 | Bild: BR

Timur Vermes: "U", München 2021, Piper Verlag, 155 Seiten, 15,00 Euro, ISBN 978-3-492-07104-8

"U" von Timur Vermes ist ganz anders als der Riesenbestseller "Er ist wieder da" – ein Pageturner im wahrsten Sinne des Wortes. Ein rasanter und fantasievoller Leseritt durch die Nacht, der einen gute zwei Stunden völlig in seinen Bann zieht.


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