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Nadine Schneider "Wohin ich immer gehe"

Eine junge Autorin aus Franken ist die 1990 in Nürnberg geborene und dort aufgewachsene Nadine Schneider. Von ihr ist nun der zweite Roman erschienen: "Wohin ich immer gehe". Und wie ihr erster Roman zieht er uns in das Rumänien der Ceaușescu-Diktatur.

Von: Dirk Kruse

Stand: 06.09.2021 | Archiv

Buch: Roman "Wohin ich immer gehe" von Nadine Schneider | Bild: BR / Dirk Kruse

Die in Nürnberg geborene Autorin Nadine Schneider hat vor zwei Jahren ihren ersten Roman "Drei Kilometer" vorgelegt, der zahlreiche Preise und Stipendien bekommen hat. Darin geht es um eine Deutschrumänin aus dem Banat, die im Sommer 1989 vor die Wahl gestellt ist, ob sie vor dem Ceaușescu-Regime flüchten soll. Soeben ist Nadine Schneiders zweiter Roman "Wohin ich immer gehe"“ erschienen. Und auch der führt uns in das Rumänien der kommunistischen Diktatur und beschreibt die Flucht eines Deutschrumänen nach Nürnberg.

Es ist der Sommer 1987 und Johannes will weg aus dem kommunistischen Rumänien unter dem Diktator Ceausescu. Eines nachts wagt er die Flucht. Am sogenannten "Eisernen Tor" schwimmt er durch die von Patrouillenbooten bewachte Donau.

"Wie eine Hand packte ihn die Strömung und zog ihn ruckartig nach links, in die Richtung, aus der das Boot kommen würde. Er begann, dagegen anzuschwimmen, und Wasser schlug ihm ins Gesicht. Er presste die Lippen zusammen, doch mit der nächsten Welle drang es ihm in Nase und Augen. Er hustete und spuckte. Bunte Punkte flimmerten in der Dunkelheit. (…) Sein Herz raste."

Zitat aus dem Roman 'Wohin ich immer gehe', von Nadine Schneider

Die lebensgefährliche Flucht ans rettende Ufer in Jugoslawien gelingt. Von dort geht es für den jungen Deutschrumänen aus dem Banat weiter nach Nürnberg, wo er sesshaft wird und eine Lehre zum Hörgeräteakustiker macht. Sechs Jahre lang hat Johannes keinen Kontakt mehr zu seiner Familie. Doch dann erreicht ihn die Nachricht vom Tod seines gewalttätigen Vaters.

"In Familien lebt man eine Weile, fühlt sich aufgehoben oder nicht. Man erträgt Einiges und überhört Vieles, man steht selten einfach auf und geht. (…) Man liebt, obwohl man nicht will, und verachtet noch leidenschaftlicher. In Familien stirbt man. Selbst wenn man einmal einfach aufgestanden und gegangen ist, selbst wenn man sich entfremdet und abgewandt hat, ist der Tod wie ein Magnet, der noch einmal alle um eine Mitte versammelt."

Zitat aus dem Roman 'Wohin ich immer gehe', von Nadine Schneider

Johannes reist zur Beerdigung zurück in das Dorf seiner Kindheit. Was er dort Traumatisches erlebt hat und was aus seinem Freund David wurde, mit dem er gemeinsam fliehen wollte, das erfährt der Leser in zahlreichen Rückblicken. Es ist erstaunlich, dass sich die 1990 in Nürnberg geborene Autorin Nadine Schneider auch in ihrem zweiten Roman "Wohin ich immer gehe" nach "Drei Kilometer" erneut mit der Diktatur in Rumänien beschäftigt. Einem für sie ja historischen Stoff.

"Was mich immer sehr interessiert hat, obwohl ich nicht in dieser Zeit geboren bin und was ich nur aus Erzählungen imaginieren und Recherchen ziehen kann, ist diese Tatsache, wie es sein muss das ganze Leben über in so einem lebensfeindlichen System zu leben. Also in einem System, das einem keine Zukunftsoptionen bietet, das enorm stark in die Privatsphäre und in die Gestaltung des Lebens eingreift. Und wie es sein muss, nicht zu wissen, wann dies ein Ende haben könnte. Und dann bleibt eben als letzter Ausweg eine Flucht, oder wenn man Glück hat, eine Ausreise."

Nadine Schneider im Interview

Die Affinität zum Thema ist für die Autorin auch familienbedingt. Ihre beiden Eltern stammen aus dem Banat und durften nach Deutschland übersiedeln. Bereits als Jugendliche begann sich Nadine Schneider für diese eigene Familiengeschichte zu interessieren.

"Ich war ein paar Mal in Rumänien. Als Jugendliche mit 14, 15 wollte ich zum ersten Mal dorthin. Ich habe dann meine Eltern ein bisschen gepiesackt und überredet. Später kamen dann mehrere Urlaube dazu. Und dann habe ich nochmal eine Reise gemacht, die dezidiert eine Recherchereise im Rahmen von 'Drei Kilometer' sein sollte. Ich habe gefilmt und bin durch das Dorf von meinem Vater gefahren, weil ich Entfernungen abschätzen wollte. Ich war für den neuen Roman aber nicht am Eisernen Tor. Da hat mir Corona einen Strich durch die Rechnung gemacht. Ich hatte eine Recherchereise für März 2020 dorthin geplant, und habe mich dann nicht getraut."

Nadine Schneider im Interview

Auch ohne die letzte Recherchereise erzählt Nadine Schneiders neuer Roman sehr anschaulich vom Aufbrechen und Ankommen, vom sich fremd fühlen und langsam heimisch werden, von Freundschaft und Liebe, Verlust und Verrat und von schwer abschüttelbaren Familienbanden. Geschrieben in einer makellos-schönen, ruhig dahinfließenden Prosa.

"Ich denke in Bildern und versuche das, was ich sehr genau vor Augen habe, auch möglichst genau wiederzugeben. Und vielleicht durch den Versuch möglichst konkret in der Beschreibung zu sein, und den Blick auf bestimmte Dinge ganz gezielt zu richten, also reinzuzoomen auf bestimmte kleine Bewegungen und so, führt das dann zu einer Entschleunigung. Auch bei Szenen, die eigentlich spannend sind, und wo man vielleicht erwarten würde, dass da mehr Tempo reinkommt."

Nadine Schneider im Interview

Info & Bewertung

Wertung: 5 Frankenrechen von 5 | Bild: BR

Nadine Schneider: "Wohin ich immer gehe", Salzburg 2021, Jung und Jung Verlag, 240 Seiten, 22,00 Euro, ISBN 978-3-99027-256-5

"Wohin ich immer gehe" ist ein bemerkenswert reifes Buch mit melancholischem Grundton und einem hoffnungsvollen Ende. Ein politischer Roman, ein Familienroman, ein moderner Heimatroman.

Wer die Autorin in der Region bei einer Lesung erleben möchte, kann das am 13. Oktober tun. Da stellt sie ihren Roman im Literaturhaus Nürnberg vor.


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