Franken - Buchtipps


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Matthias Nawrat, Fritz Stiegler & Ursula Kaiser-Biburger "Reise nach Maine" sowie "Heiner" und "Jean-Philippe Baratier"

Der in Bamberg aufgewachsene Autor Matthias Nawrat hat mit "Reise nach Maine" einen Roman über eine komplexe Mutter-Sohn-Beziehung geschrieben. Dem Fürther Fritz Stiegler ist mit "Heiner" ein berührender Roman gelungen und Ursula Kaiser-Biburger stellt uns das Schwabacher Wunderkind Jean Philippe Baratier vor.

Von: Dirk Kruse, Julia Hofmann

Stand: 16.12.2021 | Archiv

Buchtipps: Matthias Nawrat, Fritz Stiegler und Ursula Kaiser-Biburger | Bild: BR / Dirk Kruse

Drei Bücher fränkischer Herkunft sind unsere Buch- und Lesetipps zu Weihnachten: Der viel gelobte und in Cadolzburg spielende Roman "Heiner" des Fürther Autoren Heiner Stiegler. Die Biografie des kaum bekannten Schwabacher Wunderkindes Jean Philippe Baratier, geschrieben von Ursula Kaiser-Biburger. Und der neue Roman "Reise nach Maine" des in Bamberg aufgewachsenen Autors Matthias Nawrat.

Matthias Nawrat: "Reise nach Maine"

Mit bislang fünf Romanen, von denen schon welche für den Leipziger und den Deutschen Buchpreis nominiert waren, zählt Matthias Nawrat zu den interessantesten Autoren der mittleren Generation. Der 1979 im polnischen Oppeln geborene Nawrat, wuchs in Bamberg auf, wo er Deutsch lernte und seine Mutter noch heute lebt. Mit ihr, seiner polnisch-fränkischen Mutter, reiste er nach Amerika.

"Im Sommer 2018 brach ich mit meiner Mutter zu einer Reise in die USA auf. Es war Juli, wir hatten vor, eine Woche in New York zu verbringen, wo ich ihr ein paar meiner Lieblingsorte zeigen würde, danach würden wir mit einem Mietauto an der Küste entlang Richtung Norden fahren. Meine Mutter hatte mich allerdings ausgetrickst."

Zitat aus dem Roman 'Reise nach Maine'

So beginnt, in einer Art Chronikstil, Matthias Nawrats Roman "Reise nach Maine". Ursprünglich wollte der Erzähler, ein 40-jähriger Schriftsteller, nur eine Woche mit seiner Mutter in New York verbringen. Die zweite Woche wollte er allein nach Maine fahren, während seine Mutter einen Besuch bei einem Freund in Texas plante, ehe man gemeinsam zurückfliegen wollte. Doch nachdem die New York-Tickets gekauft waren, entschied sich die Mutter auf ihren Abstecher zu verzichten und die komplette Reise mit ihrem Sohn zu machen. Nicht ganz spannungsfrei verläuft folglich die Anreise nach New York. Beim Betreten ihrer Unterkunft in Brooklyn, stolpert die Mutter plötzlich und fällt ungebremst mit dem Gesicht voran auf einen Couchtisch.

"Ich stand über sie gebeugt und fragte immer wieder, was genau los war. Dann standen wir im Bad, und der Wasserhahn lief. Ich sah mich selbst wie von außen, wie ich Blut vom Rand des Waschbeckens wischte. Ich wischte Blut vom Boden. Dann wischte ich Blut aus der Badewanne. Dann war auch auf der Klobrille Blut."

Zitat aus dem Roman 'Reise nach Maine'

Die Nase der Mutter ist gebrochen, das Gesicht geschwollen. Danach erleben Mutter und Sohn kafkaeske Szenen im Krankenhaus, wo die Frau schließlich ambulant versorgt wird. Die Mutter spielt ihren Unfall vor ihrem Sohn herunter und besteht auf die geplanten Sightseeing-Trips nach Manhattan. Doch im Sohn brodelt eine merkwürdige Emotionslage, erklärt Autor Matthias Nawrat.

"Das verändert extrem viel in deren Beziehung. Denn angefangen hat es ja mit einer Genervtheit und dem Gefühl mal wieder ausgetrickst worden zu sein. Aber jetzt plötzlich kommen auch die Sorge um die Mutter und die Liebe für die Mutter dazu. Und auch das ist natürlich in ihm ein Konflikt, der auf dieser Reise eine Rolle spielt und wo er anfängt diese Mutter plötzlich ganz anders zu sehen. Er fragt sich, was ist mein Verhältnis zu dieser Person? Und was ist sie für ein Mensch jenseits dieser Mutterrolle?"

Matthias Nawrat im Interview

Nach dem großen Knall gleich zu Beginn des Romans, baut sich im Laufe der Reise wieder zunehmend eine Spannung zwischen Mutter und Sohn auf. Denn die redselige Mutter hat ein gewisses Nervpotenzial und der innerlich kochende Sohn schweigt lieber.

"Wir waren eine Weile gefahren, da sagte meine Mutter, dass ich doch auch mal was von mir erzählen solle.
Was soll ich denn erzählen?, sagte ich.
Ich weiß nicht, irgendetwas, was dich beschäftigt, sagte meine Mutter.
Mich beschäftigt eigentlich gerade nichts Besonderes, sagte ich.
Wir müssen nicht immer machen, was ich will, sagte meine Mutter. Vielleicht sagst du mir auch mal, worauf du Lust hast.
Ich bin zufrieden mit dem, was wir machen.
Warum bist du dann so schlecht gelaunt?, sagte meine Mutter.
Bin ich gar nicht. Ich bin gut gelaunt.
Du wirkst aber nicht so, sagte meine Mutter. Du wirkst beschwert."

Zitat aus dem Roman 'Reise nach Maine'

Herrliche Dialoge von der absurd-höflichen Komik eines Loriots finden sich einige in der "Reise nach Maine". Doch der sich ankündigende Eklat bleibt aus. Der kunstvoll komponierte Mutter-Sohn-Roman plätschert scheinbar so dahin. Dabei lebt er gerade von den Leerstellen, dem Ausgesparten, dem Nichtgesagten.

Matthias Nawrat, der wie der Erzähler in Polen geboren wurde und in Bamberg aufgewachsen ist, hat auch der Mutter im Roman Züge seiner eigenen Mutter verliehen. Die war in Polen Lehrerin gewesen. Doch ihr Studium wurde in Franken nicht anerkannt.

"Die Mutter musste wieder von vorne anfangen und musste anfangs in Armut leben. Sie hat sich dann hochgearbeitet von einer Putzfrau und Altenpflegerin zu einer Physiotherapeutin. Und diese Erfahrung, das kenne ich auch aus meiner eigenen Familiengeschichte, hat eine extreme Sparsamkeit zur Folge. Wenn ich zum Beispiel zu meiner Mutter sagen würde, nun lass uns doch mal zwei Zimmer mieten. Das würde auf gar keinen Fall gehen. Sie würde sagen: Nein, das geht nicht. Das ist viel zu teuer. Hast du was gegen mich. Es ist immer dieses Spiel zwischen emotionaler Nähe und emotionaler Distanz."

Matthias Nawrat im Interview

Ausgerechnet im Land der unbegrenzten Möglichkeiten auf engem Raum einander ausgeliefert zu sein und sich sogar ein Doppelbett teilen zu müssen, hat etwas Grotesk-Komisches. Matthias Nawrat ist mit "Reise nach Maine" ein ebenso brodelnder wie zärtlicher Roman über eine diffizile Mutter-Sohn-Beziehung gelungen. Ein Buch, das nicht durch eine dramatische Handlung auftrumpft, sondern durch sensible Helden, präzise Beobachtungen und entlarvend-humorvolle Dialoge.
Große Literatur, die auf leisen Sohlen daherkommt.

Info & Bewertung

Wertung: 5 Frankenrechen von 5 | Bild: BR

Matthias Nawrat: "Reise nach Maine", Roman, Hamburg 2021, Rowohlt Verlag, 220 Seiten, 22,00 Euro, ISBN 978-3-498-00231-2

Ausgerechnet im Land der unbegrenzten Möglichkeiten auf engem Raum einander ausgeliefert zu sein und sich sogar ein Doppelbett teilen zu müssen, hat etwas Grotesk-Komisches. Matthias Nawrat ist mit „Reise nach Maine“ ein ebenso brodelnder wie zärtlicher Roman über eine diffizile Mutter-Sohn-Beziehung gelungen. Ein Buch, das nicht durch eine dramatische Handlung auftrumpft, sondern durch sensible Helden, präzise Beobachtungen und entlarvend-humorvolle Dialoge. Große Literatur, die auf leisen Sohlen daherkommt.

"Heiner" von Fritz Stiegler

Eigentlich ist Fritz Stiegler Haselnussbauer im Landkreis Fürth. Doch wenn er Zeit hat, widmet er sich der Literatur – und das mit Erfolg. Sein neuester Romah heißt "Heiner", ist nach dem Protagonisten benannt – ein früherer Nachbar und ein Original im Dorf.

Von Heiner hat Fritz Stiegler frühere Briefe gefunden. Und so hat er sich auf die Spurensuche gemacht. Entstanden ist ein Roman, der vom harten Leben der Landbevölkerung zu Zeiten der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus erzählt.

Heiners Leben ist geprägt von harter Arbeit und dem christlichen Glauben. Er ist bettelarm und deshalb als Knecht auf vielen verschiedenen Höfen rund um Cadolzburg in Anstellung. Einer seiner Lebensträume ist es, Bauer zu werden mit einem eigenen kleinen Hof. Heiner bekommt den Hof – so viel sei verraten -  zahlt dafür aber einen hohen Preis.

Info & Bewertung

Wertung: 5 Frankenrechen von 5 | Bild: BR

Fritz Stiegler: "Heiner", Roman, München 2021, Volk Verlag, 336 Seiten, 22,00 Euro, ISBN 978-3-86222-401-2

Fritz Stiegler beschreibt das Leben eines Knechts in Franken ab den 1920er-Jahren, empathisch, lustig und tragisch zugleich und ganz ohne Landlustromantik. “Heiner” erzählt ein Stück deutsche Geschichte zwischen Acker und Kuhstall. Ein großes und berührendes Lesevergnügen.

Ursula Kaiser-Biburger und "Jean Philippe Baratier. Das Schwabacher Wunderkind"

Der Komponist Wolfgang Amadeus Mozart, der Schachweltmeister Bobby Fisher oder die Geigerin Anne Sophie Mutter waren einst berühmte Wunderkinder. Aber wer, außer ein paar Eingeweihten, kennt schon das Schwabacher Wunderkind Jean Philippe Baratier?

Vor 300 Jahren als Kind hugenottischer Flüchtlinge in Schwabach geboren, las und sprach Jean Philippe schon als Vierjähriger Deutsch, Französisch, Latein und Altgriechisch. Der ebenso philosophisch wie naturwissenschaftlich begabte Junge besuchte bereits mit zehn Jahren die Universität, entwickelte eine Methode zur Berechnung der Längengrade und wurde schon als 14-Jähriger in Preußens Königliche Akademie der Wissenschaften aufgenommen. Doch stirbt der häufig kränkelnde Baratier schon mit 19 Jahren an der Tuberkulose.

Info & Bewertung

Wertung: 3 Frankenrechen von 5 | Bild: BR

Ursula Kaiser-Biburger: "Jean Philippe Baratier. Das Schwabacher Wunderkind", Regensburg 2021, Pustet Verlag, Reihe: Kleine bayerische Biographien, 148 Seiten, 14,95 Euro, ISBN 978-3-7917-3281-7

Über das kurze Leben des Schwabacher Wunderkindes ist jetzt im Pustet Verlag eine kleine, feine Biographie erschienen.

Solide und informativ beschreibt die Historikerin Ursula Kaiser-Biburger dieses Gelehrtenleben eines Superhirn-Kindes und bettet es gekonnt in die Zeitläufte ein. Geeigneter Lesestoff für historisch Interessierte.


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