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Babylon an Gehörlosenschulen Recht auf Gebärdensprache – Recht auf Bildung!

Gehörlos – dann wird in Gebärdensprache kommuniziert. Soweit klar. Und an Schulen für Hörbehinderte gebärden Lehrer mit den gehörlosen Kindern – möchte man meinen. Doch oft wird dort nur in lautsprachbegleitenden Gebärden und nicht in Gebärdensprache unterrichtet. Für die gehörlosen Schülerinnen und Schüler ein Problem.

Von: Iris Meinhardt

Stand: 07.11.2019

Sophie wird von zwei Dolmetscherinnen begleitet.

„Früher als ich klein war, hat meine Mama sich gewünscht, dass ich an die Gehörlosenschule komme. … Die Lehrer konnten nicht gebärden. Ich hätte da nichts mitbekommen.“ Die 11-jährige gehörlose Sophie hat sich deswegen gegen den Besuch einer Gehörlosenschule entschieden. Die für sie bessere Alternative ist der Besuch einer Regelschule – mit Gebärdensprachdolmetscher. Die sitzen mit ihr im Unterricht und übersetzen Sophie was ihre Lehrer und Mitschüler sagen.

Hörende bestimmen über Gehörlose – seit 1880

Aber warum musste es so weit kommen? Warum können ausgerechnet Lehrer an Schulen für Hörgeschädigt nicht gebärden? Dafür gibt es viele Gründe. Einer reicht zurück ins Jahr 1880. In Mailand fand in diesen Tagen der „Taubstummenkongress“ statt. Nur hörende Gehörlosenpädagogen waren geladen, gehörlose Pädagogen dagegen nicht. Und so entschieden Hörende über Gehörlose: Die Gebärdensprache sei minderwertig, deswegen muss an Schulen in Lautsprache unterrichtet werden. Seitdem war die Gebärdensprache jahrhundertelang verboten.

Eine mögliche Lösung: Die Lehrerin (li.) unterrichtet in lautsprachbegleitenden Gebärden, eine Dolmetscherin (re.) übersetzt in Gebärdensprache.

Seit 2002 ist die Deutsche Gebärdensprache in Deutschland anerkannt. Aber die meisten Lehrer können entweder gar nicht gebärden oder nur einzelne Worte in Gebärden unterstützen – genannt lautsprachbegleitende Gebärden. Gehörlose Kinder können sie nicht vollständig begreifen und verstehen. Mit der Deutschen Gebärdensprache, die eine eigene Grammatik hat, wäre der Inhalt verständlich. Sie ist visuell und logisch begreifbar. Ohne sie allerdings leidet die Bildung gehörloser Kinder.

UN verankert das Recht auf Bildung in Gebärdensprache

In der UN-Behindertenrechtskonvention ist seit 2009 das Recht auf eine Bildung in Gebärdensprache verankert, allerdings sieht sie eine inklusive Beschulung vor. Das heißt, der Besuch einer Regelschule mit Gebärdensprachdolmetscher wie bei Sophie. Sophie meint, die Kommunikation zu ihren Mitschülern funktioniere, aber den meisten Kontakt habe sie doch zu Gehörlosen. 

Viviane (rechts) besucht eine Gehörlosenschule.

Die achtjährige Viviane dagegen möchte nicht an eine Schule für Hörende. Sie möchte in eine Schule für Gehörlose, damit sie Freunde innerhalb der Schule hat und sich mit ihnen in Gebärdensprache unterhalten kann. Sie hat Glück: seit diesem Jahr wird in ihrer Klasse das bilingual-bimodale Unterrichtskonzept angewendet. Das bedeutet: eine Lehrerin benutzt die Lautsprache und unterstützt sie mit einzelnen Gebärdenwörter, die andere Lehrerin spricht die Deutsche Gebärdensprache. Die Schüler können den Unterricht verstehen und die Unterschiede der beiden Sprachen lernen – ein Konzept, das laut Wissenschaftler am besten funktioniert.

Gehörlosenpädagogik vernachlässigt die Gebärdensprach-Ausbildung

Warum gibt es das Modell nicht an allen entsprechenden Schulen? Es fehlen schlicht die dafür ausgebildeten LehrerInnen. Lisa Dietz studiert in München Gehörlosenpädagogik und ist selbst gehörlos. An der Universität wird ihrer Meinung nach viel zu wenig und zu spät einen Kurs in Deutscher Gebärdensprache angeboten. Ich war echt schockiert, so Lisa. Aus ihrer Gruppe von 20 Leuten könne kaum einer richtig gebärden. Die Folge: Gehörlosenpädagogen, die nicht Gebärdensprachkompetenz haben, unterrichten gehörlose Kinder – und die Kinder verstehen kaum etwas.

19.000 Unterschriften - Petition für bilinguales-bimodales Modell

Weil Eltern gehörloser Kinder das nicht länger hinnehmen wollen, haben sie eine Petition gestartet und 19 000 Unterschriften in ganz Deutschland gesammelt. Sie fordern ein bilingual-bimodales Schulangebot für gehörlose Kinder. In Bayern wurde als erstem Bundesland die Petition offiziell überreicht: Im Juli 2019 nahm der Kultusminister Michael Piazolo sie entgegen.

Sonst könnte es wie in Dresden werden. Dort hat ein Fall für Aufsehen gesorgt. Ein Vater zweier gehörloser Kinder hat im September über das Sozialgericht per Eilbeschluss durchgesetzt, dass sie Gebärdensprachdolmetscher im Unterricht bekommen. Die Kinder besuchen allerdings eine spezielle Förderschule für Gehörlose, können ihre Lehrer aber nicht verstehen, weil sie der Gebärdensprache nicht mächtig sind. Das steht im krassen Widerspruch für das, was die Schule sein soll: eine Schule für Hörbehinderte, bei dem die Kommunikation eigentlich einwandfrei funktionieren sollte.


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