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Buchtipps Die schönsten Romane von der Frankfurter Buchmesse 2023

Auf der 75. Frankfurter Buchmesse wurden wieder hunderte neue Bücher vorgestellt. Unsere Buchexpertin Sabine Abel hat sich im wahrsten Sinne "durchgelesen" und vier wunderbare Geschichten für Sie ausgewählt. Sie handeln von ganz unterschiedlichen Menschen, die lieben, scheitern oder sich Neuem gegenüber öffnen müssen. Eines haben alle Bücher gemeinsam: Sie gehen ans Herz und zaubern immer wieder ein Lächeln aufs Gesicht.

Stand: 12.12.2023

Ein aufgeschlagenes Buch, dessen Seiten ein Herz bilden | Bild: BR / Theresa Högner

Ben Aitken: The Marmalade Diaries

London 2020: Ben ist Mitte dreißig und sucht händeringend eine Wohnung. Winnie ist Mitte achtzig und braucht jemanden, der ihr in ihrem großen Haus zur Hand geht und potenzielle Einbrecher abschreckt. Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft? Hoffentlich, denn bald muss das ungleiche Paar ungeahnt eng zusammenrücken. Was folgt, ist ein Jahr, in dem Ben viel über das Leben lernt. Ob bei Toast mit selbstgemachter Orangenmarmelade, der täglichen Lektüre der Times oder beim gemeinsamen Schauen der Serie "The Crown": Die eigenwillige und einnehmende Winnie schöpft aus den Erfahrungen eines langen Lebens und hat so einige Weisheiten für Ben parat.

Sabine Abel: "Die Geschichte ist sehr warmherzig, witzig und klug erzählt. Der junge Mann, der als Untermieter bei einer alten Dame landet und wegen der Corona-Pandemie zwangsläufig mit ihr zusammenhängt, freundet sich immer mehr mit ihr an. Ben sieht, welch Bereicherung es ist, sich auf jemanden einzulassen und beide lernen voneinander. Die ältere Winnie ist taffer als er im ersten Moment dachte. Sie ging schon in jungen Jahren unbeirrbar ihren eigenen Weg und hat sich nicht von anderen beeinflussen lassen. Eine tolle Frauenfigur, die spannend von früher erzählt.
Bei diesem Buch habe ich mich sehr amüsiert und obendrein ein großartiges Rezept für meine Lieblingsmarmelade bekommen."

Deborah Levy: Augustblau

Elsa ist eine berühmte Konzertpianistin. Doch als sie in Wien Rachmaninoffs Klavierkonzert Nr. 2 spielen soll, vermasselt sie es. Sie verlässt die Bühne, und ihre Identität als Wunderkind ist auf einen Schlag dahin. Drei Wochen später beobachtet sie auf einem Flohmarkt in Athen eine Frau, die zwei mechanische Tanzpferde kauft. Elsa fühlt sich auf sonderbare Weise mit der Unbekannten verbunden und hält sie für ihre Doppelgängerin. Sie beginnt die Frau zu suchen, mit ihr in Gedanken zu kommunizieren. Doch die Frau, nicht gewillt, sich widerstandslos zum Alter Ego machen zu lassen, läuft Elsa in den Straßen von Paris davon. Und so versucht Elsa mithilfe ihres Doubles, ihres Adoptivvaters, der auch ihr Klavierlehrer ist, ihrer Liebsten und ihrer Schüler ein neues Ich zu komponieren und ihre eigene Geschichte zu spinnen.

Sabine Abel: "Elsa bildet sich ein, dass die Pferdefiguren auf dem Trödelmarkt für sie bestimmt waren und die unbekannte Frau sie ihr weggeschnappt hat. Sie denkt sich immer mehr in die Fremde hinein und der Leser weiß nicht, existiert diese wirklich oder nicht? Unbewusst ist Elsa auf der Suche nach ihrer leiblichen Mutter, an die sie keine Erinnerung mehr hat, allerdings gesteht sie sich das nicht ein, denn es passt nicht zu ihrem Lebenskonstrukt, immer nach vorne zu schauen. Doch die Vergangenheit holt sie ein. Die talentierte Pianistin, die ihr Seelenheil in der Musik gesucht und gefunden hat, muss sich nach ihrem Karriereknacks mit sich selbst beschäftigen und alte Themen bewältigen. Eine großartige, tapfere weibliche Hauptfigur, die den Leser mit auf ihre Reise durch die Welt nimmt.
Das Buch erzählt sehr stimmungsvoll vom Leben und der Musik. Es ist dabei wunderbar poetisch und großartig geschrieben. Beim Lesen hatte ich die klassische Musik förmlich im Ohr und habe mir danach alle beschriebenen Klavierstücke nochmal bewusst angehört."

Wolf Haas: Eigentum

"Ich war angefressen. Mein ganzes Leben lang hat mir meine Mutter weisgemacht, dass es ihr schlecht ging. Drei Tage vor dem Tod kam sie mit der Neuigkeit daher, dass es ihr gut ging. Es musste ein Irrtum vorliegen." Mit liebevoll grimmigem Witz erzählt Wolf Haas die heillose Geschichte seiner Mutter, die, fast fünfundneunzigjährig, im Sterben liegt. 1923 geboren, hat sie erlebt, was Eigentum bedeutet, wenn man es nicht hat. "Dann ist die Inflation gekommen und das Geld war hin." Für sie bedeutete das schon als Kind: Armut, Arbeit und Sparen, Sparen, Sparen.

Sabine Abel: "Wolf Haas, Autor der Brenner-Krimis, beschreibt in einem wunderbaren Stil die Lebensgeschichte seiner Mutter, für die Besitz ein zentrales Lebensthema war. Ein eigenes Haus oder eine eigene Wohnung waren das große Ziel, das nie in Erfüllung gegangen ist. Die Geschichte ist ein Hin und Her zwischen Erinnerungen, die Haas an seine Mutter hat, und Erlebnissen, die sie ihm erzählt hat. Seine Mutter ist eine hochspannende Figur, die beispielsweise als junge Frau zu Fuß von Österreich in die Schweiz marschiert ist, um dort in einem Hotel zu arbeiten. Sie beherrschte sehr gut Englisch und war nach dem Krieg bei den Amerikanern, mit denen sie skurrile und witzige Szenen erlebt hat, begehrt.
Auf den ersten Blick sind die Ausgangssituation der sterbenden Mutter und die schwierigen Zeiten, die sie durchgemacht hat, nicht erbaulich. Haas schafft es aber, den Leser immer wieder zu berühren und zum Lächeln zu bringen. Das Buch ist mit spitzer Feder und gleichzeitig sehr liebevoll geschrieben. Mit jedem Satz habe ich seine Mutter vor mir sitzen gesehen und reden gehört. Und ich habe gespürt: das Verhältnis von Mutter und Sohn war schwierig, aber er hatte sie unglaublich gern."

Tommy Jaud: Man müsste mal - Nix gemacht und trotzdem happy

Warum unternehmen alle anderen immer mehr als man selbst? Hat die künstliche Intelligenz eine Chance gegen die natürliche Dummheit? Und wo ist der rote Aufreißfaden der Prinzenrolle hin? Da müsste man doch mal ... Tommy Jaud stellt sich dem täglichen »Man müsste mal«: Er kämpft um Paybackpunkte, Rückenmuskulatur, Spülmaschinen-Ästhetik und geistige Gesundheit. Und zeigt mit tatkräftiger Hilfe von Ehefrau Nina, Nachbar Oski und den Britisch-Kurzhaar-Kätzchen Fanny und Coucou: Verzetteln ist menschlich, und nix machen macht auch nix.

Sabine Abel: "Nach seinen ersten ‚Gute Laune-Storys' kommt hier das zweite Buch von Tommy Jaud mit noch mehr ‚Gute Laune-Storys', die auf superlustige Weise unseren Alltag unter die Lupe nehmen. Die Hauptfigur, er selbst, meistert die großen und kleinen Schikanen des Alltags - gemeinsam mit Frau Nina, seinen zwei Katzen und dem Nachbarn. Was passiert, wenn der Geschirrspüler nicht richtig eingeräumt wird? Warum ist alles blöd, nur weil der Rücken weh tut?
Die Erzählungen stehen für sich, greifen aber immer wieder ineinander, und zeigen, dass es unnötig ist, sich von den Alltagsproblemen aus der Ruhe bringen zu lassen. Alle anderen sind besser organisiert als man selbst? Das ist nur eine subjektive Empfindung, Verzetteln ist völlig okay! Dieses Buch können Sie in Häppchen genießen, und wenn Sie Stress oder Ärger hatten: danach haben Sie bestimmt gute Laune und ein Lächeln im Gesicht. Die Geschichten sind sehr witzig geschrieben, und es ist zu spüren, dass Jaud Drehbuchautor ist, denn die Geschichten erzeugen sofort Bilder im Kopf. Ich liebe diesen satirischen, schwarzhumoriger Blick auf unsere Mitmenschen."

Viel Freude beim Lesen wünschen Sabine Abel und "Wir in Bayern"!


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