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Impfen gegen COVID-19 Die Hürden für Gehörlose

Während in anderen Ländern wie zum Beispiel Großbritannien schon jede dritte Person mit der ersten Impfung versorgt wurde, sind es in Deutschland gerade einmal fünf Prozent. Die Ursachen sind verschieden: Zu wenig Impfstoff, zu späte Lieferungen, Vorbehalte gegen einzelne Impfstoffe, wenig digitalisierte Abläufe und Probleme bei der Verwaltung der Termine. Wer über 80 Jahre ist, gehört zur 1. Gruppe der zu impfenden Personen, hat also oberste Priorität. Doch wer glaubt, dass dies sich so leicht umsetzen lässt, hat sich getäuscht. Vor allem wenn es um Gehörlose geht.

Von: Holger Ruppert (Filmbeitrag), Steffi Wolf (Online)

Stand: 13.03.2021

Helga Sailer ist 84 Jahre alt und lebt in Schwabach, südlich von Nürnberg. Im Januar erhielt Sie das Schreiben, dass sie sich für die Impfung anmelden kann – online oder telefonisch. Helga Sailer hat aber weder einen Internetzugang oder ein internetfähiges Handy, noch kann sie als Gehörlose telefonieren. Und es gibt noch ein Problem:

"Ich fühle mich nicht hundertprozentig darüber informiert, ob die Impfung gut oder schlecht ist. Die einen sagen, ich soll 'bloß nicht' und die anderen sagen, dass es gut wäre. Ich bin also immer noch hin- und hergerissen."

Helga Sailer

Mit Schreiben der Ämter überfordert

So wie Helga Sailer geht es vielen Gehörlosen, sie sind mit den Schreiben der Ämter und der Anmeldung überfordert. So leicht und schnell ist der Impftermin also nicht gemacht. Nicht nur der Deutsche Gehörlosen-Bund fordert hier Nachbesserungen, auch andere Verbände kämpfen für eine bessere Situation, so auch die Geschäftsführerin vom Gehörlosenverband München und Umland, Cornelia von Pappenheim. Sie ist auch Mitglied im Behindertenbeirat der Stadt München und kritisiert die Situation:

Cornelia von Pappenheim

"Wir haben die entsprechenden Stellen darauf aufmerksam gemacht. Ihre Antwort, dies könnten ja andere Personen für die Betroffenen erledigen." – So gehe das nicht, meint Cornelia von Pappenheim. Gleichzeitig würden die Inhalte der amtlichen Briefe in andere Sprachen wie Russisch oder Italienisch übersetzt – nicht aber in Gebärdensprache.

Keine Antwort auf eine hilfreiche Idee

Cornelia von Pappenheim hat der Stadt München und den zuständigen Ämtern angeboten, Impfungen für gehörlose Seniorinnen und Senioren im eigenen Gehörlosenzentrum durchzuführen. Die Räume, die Koordination der Termine und Dolmetschenden hätte der GMU zur Verfügung gestellt. Eine Antwort hat sie bis heute nicht bekommen. 

Gehörlosen-Bund sieht dringenden Handlungsbedarf

Der Deutsche Gehörlosen-Bund e.V. hat in seiner Stellungnahme vom 1. Februar 2021 auf die besondere Situation von hörbehinderten Menschen hingewiesen: Die Aufklärungsmaterialien zur COVID-19 Impfung müssten auch barrierefrei in Deutscher Gebärdensprache und mit Untertiteln gestaltet werden. Darüber hinaus müssten insbesondere die Impfungen – verbunden mit der Anmeldung und der Durchführung – für Hörbehinderte oder auch Taubblinde komplikationslos und unbürokratisch sichergestellt werden.

Die Organisation der Impfungen sind bundesweit unterschiedlich. Jedes Bundesland ist für die Umsetzung der Impfungen mit den jeweiligen Impfzentren und der Terminkoordination selbst verantwortlich. Auch die Internetplattformen, bei denen man sich registrieren muss, um einen Termin zu bekommen, sind verschieden. Die Frage der Kostenübernahme für Gebärdensprachdolmetschende ist ebenfalls unterschiedlich geregelt. Informieren Sie sich am besten bei ihrem Ministerium, Impfzentrum, Gehörlosen-Landesverband oder Dolmetscherverband. Beispielsweise werden im Bundesland Brandenburg oder in Städten wie Köln und Düsseldorf Dolmetscherinnen und Dolmetscher zugeschaltet, die dann die Kommunikation sicherstellen.

Fragen an einen Virologen – Antworten in Gebärdensprache

Ein Drittel aller Deutschen hat Bedenken oder lehnt eine Impfung gar ab. Hier scheint verständliche Information nötig zu sein. Gibt es wirklich Risiken bei der Impfung oder kann der Impfstoff gar Schäden verursachen und was hat es mit den Mutationen auf sich? – Antworten auf diese Fragen gab Ende Februar 2021 mit Gebärdensprachdolmetscher an seiner Seite Dr. Christoph Spinner, Infektologe und Pandemiebeauftragter des Klinikums Rechts der Isar in München. Im Beitrag von Sehen statt Hören können Sie sich diese ansehen. Zusammenfassend sagt Dr. Spinner:

"Ich kann nur raten, jedem einzelnem – nehmen sie dieses Impfangebot an. Denn jede Impfung ist in jedem Fall besser als keine Impfung. Alle Impfungen, die heute zugelassen sind, schützen wirksam."

Dr. Christoph Spinner, Infektologe und Pandemiebeauftragter des Klinikums Rechts der Isar in München

Personengruppen, die nicht ins System passen?

Das Bundesgesundheitsministerium hatte für den Impfplan je nach Dringlichkeit verschiedene Gruppen und Zeitfenster vorgesehen. Doch gibt es beispielsweise eine Personengruppe, die in dieses System nicht passt. Die Rede ist von behinderten Menschen, die eine besondere Erkrankung, oder eine zusätzliche Behinderung haben, aber zu Hause leben – also nicht in besonderen Einrichtungen.

Der Menschenrechtsaktivist, Raul Krauthausen wirft der Politik vor, diese Gruppe schlichtweg zu vergessen und sie über Monate in Selbstisolation leben zu lassen.

Von Isolation sind auch hörsehbehinderte und taubblinde Menschen betroffen. In Deutschland leben ungefähr 10.000 von ihnen. Eine davon ist Inna Shevchuk:

"Als ich vom Impfen erfuhr, gab es keine Infos für uns. Ich wollte mich unbedingt impfen lassen, aber es ging nicht. Dann hieß es, dass es erst im Sommer möglich sei. Ich konnte aber nicht so lange warten. Ich brauchte sie doch wegen meiner Kommunikationssituation, also dem taktilen Gebärden."

Inna Shevchuk

Für Inna Shevchuk und ihren Taubblindenassistent begann eine Odyssee: Vom Landesgesundheitsamt, zum Bund, der ans RKI verwies. Nach einer Mail an die Ständige Impfkommission hieß es: das sei Ländersache, im Landesministerium für Gesundheit verwies man auf die Kommunen. Letztlich war es ein Oberbürgermeister, der sich persönlich der Sache annahm: Er und dann auch der Leiter des Essener Impfzentrums hatten verstanden, dass Taubblinde aufgrund ihrer Kommunikationssituation, in der Abstand halten unmöglich ist, schnell geimpft werden müssen.

Kostenübernahme für Taubblindenassistentinnen und -Assistenten in NRW

Das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen hat in seinem Erlass auch die Frage der Kostenübernahme für Taubblindenassistentinnen und -Assistenten geregelt.

Diese Informationen werden auch in DGS von Uwe Zelle erklärt.

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Impfungen: Kostenübernahme von Taubblindenassistenz (TBA) | Bild: Deutsche Gesellschaft für Taubblindheit gGmbH (via YouTube)

Impfungen: Kostenübernahme von Taubblindenassistenz (TBA)

Noch mehr Infos

Weitere Informationen zur Corona-Schutzimpfung und den Impfzentren finden Sie auf den folgenden Internetseiten des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege und dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen.


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