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Tour auf den Wamperten Schrofen Liesl Karlstadt auf der Ehrwalder Alm

Es gibt Berge, die sind nahezu unbekannt, obwohl sie eigentlich unübersehbar und noch dazu in überaus prominenter Gegend stehen: Der Wamperte Schrofen nahe der Zugspitze ist so ein Berg. In seinem Gipfelbuch birgt er besondere Geschichten.

Von: Georg Bayerle

Stand: 19.04.2024

Wamperter Schrofen: Der wamperte Schrofen versteckt sich | Bild: BR/Georg Bayerle

Ich habe das Gipfelbuch vom Wamperten Schrofen nie vergessen, denn es ist das älteste, das ich jemals auf einem Berg vorgefunden habe. Das war 1987, ich war damals 20. Jetzt führt mich Uwe Pechtl von der Bergwacht Biberwier in eine kleine Kammer der Bergwachthütte. Dort bewahrt er das historische Gipfelbuch auf. Die Einträge beginnen in den 1930er-Jahren, Nazisymbole wurden durchgestrichen. „Lasst die Politik von den Bergen“, lautet ein Kommentar, den jemand hingeschrieben hat. Nur eine Handvoll Namen stehen drin, jedes Jahr zählt nur zwei bis drei Seiten, deswegen konnte das Buch so alt werden.

Im rauen Gelände unter der Biberwierer Scharte

Kaum jemand steigt auf diesen schütteren, weglosen, und auch nicht ungefährlichen Berg namens Wamperter Schrofen. Regina Poberschnigg, Leiterin der Bergrettung Ehrwald, sagt, der Name spreche für sich, der Berg sei gwampert und brüchig. Trotzdem machen wir uns zu dritt auf und wollen die gleiche Route noch einmal gehen, die ich schon 1987 aufgestiegen bin - direkt von der Biberwierer Scharte über das Schartenkar und den Nordostgrat hinauf und durch eine Schuttrinne südseitig wieder hinunter, weglos, nicht einmal Steinmandln stehen da, und gleich nach der Scharte ist es eine reine Viecherei im steilen Geröll.

Eine erste Steilstufe legt sich in den Weg, die wir vorsichtig durch brüchigen Fels überklettern. Es ist der legendäre zweite Schwierigkeitsgrad, in dem wir noch nicht sichern müssen, uns aber trotzdem im Absturzgelände bewegen. Bergsteigen in wilder Urform und nur für Geübte! Ein Eiertanz durch Gesteinswirrnisse, bei dem sich die Landschaft immer großartiger entfaltet. Vor allem die Pyramide der benachbarten Sonnenspitze steht elegant geschnitten vor dem blauen Himmel wie aus keiner anderen Perspektive. Wir konzentrieren uns aber auf jeden Griff und Tritt bis zum höchsten Punkt.

Uwe Pechtl beim Aufstieg

Das Gipfelbuch ist jetzt neu, es wurde ausgetauscht, als auf dem Wamperten Schrofen ein Kreuz aufgestellt wurde. Der Abstieg führt durch die leichtere, aber sehr steinschlaggefährdete Südrinne, die Uwe Pechtl bestens kennt. Mindestens einmal im Jahr steigt er hier zum Bergfeuer zur Sommersonnenwende herauf.

Liesl Karlstadt auf den Bergen

Ein Eintrag im alten Gipfelbuch lässt aufhorchen: Liesl Karlstadt hat sich am 23. September 1943 mit eigener Hand eingetragen. Die Volksschauspielerin, die vor allem im kongenialen Duett mit Karl Valentin bekannt ist, verbrachte damals den Sommer wie schon zwei Jahre zuvor auf der Ehrwalder Alm bei einem Trupp Gebirgsjäger. Originalfotos in Schwarzweiß dokumentieren die kuriose Geschichte: Liesl Karlstadt steckt in Soldatentracht unter Soldaten, die hier auf der Ehrwalder Alm für den Kriegseinsatz vorbereitet wurden. Die Gebirgsjäger mit ihren Mulis und der Volksschauspielerin lebten hier wie in einem Biotop mitten im Zweiten Weltkrieg.

Liesl Karlstadt als Gefreiter Gustav auf der Ehrwalder Alm

1941 hatte sich Liesl Karlstadt aus der totalen Erschöpfung der Theaterauftritte und Kriegssituation nach Ehrwald gerettet, um sich im Gebirge zu erholen. Dabei hatte sie die Soldaten kennengelernt. Zwei Jahre später kam sie wieder, dabei muss es auch zur Besteigung des Wamperten Schrofens gekommen sein. Um das zu überprüfen, schlägt Sabine Rinberger, die Leiterin des Valentin-Karlstadt-Musäums in München, die digitale Kopie des Bergtagebuchs auf, das Liesl Karlstadt in den 1920er-Jahren begann. Sie war auf dem Hochvogel, auf der Wildspitze, auf dem Wiesbachhorn, Großglockner und auf der Birkkarspitze. Der Wamperte Schrofen war ihre Abschlusstour in diesem vogelfreien Bergsommer 1943 auf der Ehrwalder Alm. In diesen kriegsdunklen Jahren waren die Berge für alle Beteiligten noch viel mehr Freiraum als für uns heute. Mit dem Wamperten Schrofen, diesem rauen und wenig bekannten Berg, verbinden sich viel mehr Geschichten als man denken würde. Vermutlich gerade deshalb, weil er so ein abweisender, widerborstiger Gipfel ist.

Fernseh-Tipp

Die alpine Spurensuche auf den Wamperten Schrofen hat auch ein Filmteam von Bergauf-Bergab begleitet. Der Film läuft am Sonntag, 21. April, um 18:45 im BR-Fernsehen und steht auch in der ARD-Mediathek zum Abrufen bereit.

Buch-Tipp

Wenn Sie mehr über Liesl Karlstadt und ihre Erlebnisse als Gefreiter Gustav auf der Ehrwalder Alm wissen wollen: Die Leiterin des Valentin-Karlstadt-Musäums Sabine Rinberger hat ein Buch herausgegeben: „Liesl Karlstadt. Schwere Jahre.“, erschienen im Kunstmann Verlag, München 2019.


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