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Der Urwald vom Tegernsee Auf Fährtensuche im Bergwald

Echte Urwälder gibt es in den Alpen gar nicht so viele. So ist es auch eine Besonderheit, dass in den ansonsten teilweise überlaufenen Tegernseer Bergen einer dieser Urwälder überlebt hat, in denen nie ein Baum gefällt wurde.

Von: Georg Bayerle

Stand: 06.10.2023 14:03 Uhr

Tegernseer Urwald: Abenteuerliche Wege | Bild: BR/Georg Bayerle

Offizielle Wege in den Bergurwald gibt es nicht. Man muss schon ein talentierter Fährtensucher sein oder sich gut auskennen, um den kleinen Steig tief in die Tegernseer Berge zu finden, und es ist immer wieder von Neuem überraschend, dass nur einen Steinwurf von den ausgetretenen Pfaden solche Wege existieren, auf denen kaum je ein Mensch unterwegs ist.

Eine Expedition für trittsichere Geher

Wir sind von der Forststraße abgezweigt, ein paar Kehren durch torfigen Waldboden rauf und jetzt quert die dünne Steigspur steile Grashänge, tief unten die Schlucht mit einem Bach. Abrutschen dürfen wir hier nicht. Und da der Steig nicht viel breiter als ein Bergstiefel ist, muss gut auf dem Fuß stehen, wer hier entlanggeht. Kilian, 17 Jahre alt, findet es mit jedem Schritt spannender, denn es ist eine ganz andere Art zu laufen, da wir uns auf jeden Tritt konzentrieren müssen, viel genauer hinsehen und dadurch auch immer mehr Details wahrnehmen.

Die historische Triftklause

Nach einer knappen Stunde Querung im Steilgelände erreichen wir eine kleine Schwemmebene am Ende der Schlucht. Hier ragen die Reste eines mächtigen Holzdamms aus dem Bachbett. In Zeiten der Glashütte im Weißachtal wurde Brennholz noch aus den entlegensten Winkeln herangeschafft. Wir stehen an einem vorindustriellen Denkmal: Die wuchtigen Balken des Damms wurden im Wasser konserviert. Mit dem Wasserschwall wurden einst die Stämme, die weiter unten in die Schlucht gefällt wurden, ins Tal getriftet.

Der unbetretene Wald

Baumpilze hängen wie balkonartige Kappen an toten Stammrelikten

Wir aber steigen nun am Gegenhang auf und erreichen den Bergwald, in den die Holzknechte wegen seiner Unzugänglichkeit nie vorgedrungen sind. Immer dickere Bäume stehen da, umgestürzte Stämme liegen am Boden, alte Eiben recken sich zum Licht. Kilian, der sich besonders für den Wald und Bäume interessiert, ist jetzt in seinem Element: Baumgiganten stehen da, darunter eine riesengroße Fichte, die Jahrhunderte alt sein muss. Nicht weit von dem Urwaldriesen steht nur noch der Strunk von einem Baum, der wohl seine Altersgrenze erreicht hatte und umgestürzt ist. In der neuen Lichtung sind viele junge Bäume aufgekeimt, die jetzt ihre Chance zum Wachsen suchen.

Werden und Vergehen: hier im Bergurwald erleben wir es unmittelbar, wo alle Bäume so wachsen, wie sie es an ihrem Standort eben können, bis sie ihre Zeit erreicht haben. In Reih und Glied wachsen kleine Fichten auf einem morschen Stamm, Baumpilze hängen wie balkonartige Kappen an toten Stammrelikten. Farne und Moose wachsen an Stämmen und kein Baum gleicht dem anderen. Von der Anwesenheit des Menschen zeugen hier nur einige Insektenfallen, die bayerische Forscher aufgestellt haben. Wir folgen dem Steig auf der anderen Schluchtseite weiter über Bäche, durch die steile Bergflanke, bis es nach einer weiteren Stunde aus dem Wald hinausgeht auf eine Alm. Mit Hütte, Wegen, Menschen - und wir fühlen uns, als kämen wir von einer Zeitreise von einem Urwald, bevor die Menschen kamen. Mit seinen Naturwaldreservaten versucht Bayern überall im Land solchen besonderen Wäldern Lebensraum zu geben.


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