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Das Hospiz am Großen Sankt Bernhard Skitouren und Spiritualität

Der Große St.-Bernhard zählt zu den geschichtsträchtigsten und höchsten Alpen-übergängen. Auf 2470 Metern steht das alte Passhospiz. In den Wintermonaten ist die Pass-Straße geschlossen und das Hospiz, das von den Chorherren des Hl. Bernhard betrieben wird, nur zu Fuß erreichbar.

Von: Georg Bayerle

Stand: 30.03.2024

Das Hospiz am Großen Sankt Bernhard | Bild: BR; Georg Bayerle

Aufstieg am Großen Sankt Bernhard

600 Höhenmeter sind es vom nördlichen Tunnel-Eingang bergauf durch das Val d’Entremont, das „Tal zwischen den Bergen“, das sich zwischen dem Montblanc und dem Grand Combin erstreckt. Der Weg ist mit Stangen markiert und führt immer tiefer ins Hochgebirge. Dann stehen in einem schmalen Sattel zwischen den Bergen zwei mächtige pastose Gebäude vor uns, die einst Napoleon als Kasernen bauen ließ. Man muss sich erstmal zurechtfinden in den langen Gängen und Treppenhäusern. Irgendwann aber landet jeder in der Bar und kommt automatisch ins Gespräch: Benediktine steigt mit ihrem Mann mehrmals im Winter herauf. Das Hospiz ist ihre zweite Familie, ihr zweites Heim.

Ein Ort der Begegnung

Benediktine hat schon Freunde mitgebracht, damit sie diesen Ort kennenlernen. Dann sitzt man zusammen, spricht miteinander und spürt die Spiritualität. Die Chorherren lieben dieses Haus und sind gastfreundlich. Es ist eine Atmosphäre, die einen sofort umfängt. Das Walliser Französisch liegt in der Luft, aber Menschen aus aller Welt besuchen das berühmte Hospice du Grand St.-Bernard.  

Morgenandacht in der Kapelle

Eine der Personen, die das Hospiz auf dem Großen Sankt Bernhard mit Leben füllen, ist Anne-Marie. Vor 25 Jahren ist sie auf einer Skitour hierhergekommen und hatte schöne, intensive Begegnungen, die etwas tief in ihr berührt haben. Sie hat sich für ein freiwilliges Jahr verpflichtet, dann für das nächste Jahr - und inzwischen sind es eben 25 geworden. Als geweihte Laiin gehört Annemarie wie zwei weitere Frauen zum Konvent, hat zwar keine Mitspracherechte, steht aber mitten im Betrieb.

Zuhören, Zeit haben

„Was wir hier ganz einfach machen, ist zu lächeln und Hallo sagen“, verrät Anne-Marie das einfache Geheimnis, aus dem heraus Kontakte entstehen: Zeit für den Anderen, zuhören, Anteil nehmen. Je nachdem, was die Ankommenden wollen: „Es kommen Menschen aller Art hierher und das ist nicht auf die Stirn geschrieben, ob jemand zum Skitourengehen kommt oder etwas Spirituelles sucht.“ Es finden Begegnungen statt und man weiß nicht, was im Herzen der Menschen geschieht.

Skitouren und Spiritualität

Ideales Skitourengelände

Das Gebirge ist für Anne-Marie ein Platz der Übungen für das spirituelle Leben: „In der Spiritualität siehst du oft nicht den Weg vor dir. Am Berg gibt es oft keine Sonne, aber Hindernisse - und Menschen, die an deinen Weg gesetzt sind und die dir ermöglichen, weiterzukommen“, so drückt sie es aus. Der offene Treffpunkt des Hospizes auf dem Großen Sankt Bernhard macht noch einmal klarer, wieviel Sinn im Berggehen steckt. Abends kommt Anne-Marie zu jedem der langen Holztische, an dem die Gäste zusammensitzen und verkündet das aktuelle Lawinenbulletin. Und sie bittet alle, aufeinander aufzupassen und Respekt vor den Bergen zu haben. So ist die Skitour am nächsten Tag wie ein Sinnbild für den Lebensweg, den wir gehen.

Die Geschichte des Hospizes

Abends und morgens versammelt sich der Konvent zu den täglichen Gebeten. Oft sind es Psalmen, die mit der Wegsuche zu tun haben, mit dem tieferen Sinn dieses Ortes, dessen Vorgabe ist, dass hier Christus angebetet und ernährt werden möge - ernährt durch Gebete, aber auch in Gestalt der Wanderinnen und Wanderer, die über den Pass kommen. Hier wurden einst im Winter die berühmten Bernhardiner eingesetzt, um nach Neuschneefällen Verirrte und den fest getrampelten Pfad wieder aufzuspüren.  Im Mittelalter vor knapp 1000 Jahren hat Bernard von Menthon das Hospiz als Schutzhaus auf der Passhöhe gegründet. Das Standbild des Schutzpatrons der Alpenbewohner und Bergsteiger thront etwas unterhalb des Hospizes an der heutigen Pass-Straße. Schon die Römer hatten einen Jupitertempel hier.

In Sichtweite des Montblanc

Montblanc und Grandes Jorasses

Ganz profan geht es am nächsten Morgen im Skikeller zu. Einige Leute brechen nach dem Frühstück zur Tour auf. Nur rund 800 Höhenmeter sind es auf den Fast-Dreitausender Mont Fourchon, einen der Klassiker rund um das Hospiz. Die Touren sind mittelschwer und nicht sehr lang, aber eindrucksvoll inmitten der größten Alpengipfel und das Erlebnis des Tages hallt hinterher im Hospiz nach. Nicht nur wegen der prachtvollen Bergwelt spüren wir den Respekt und die Demut gegenüber dem Gebirge noch einmal intensiver, denn die Natur um uns ist viel größer als wir Menschen, die wir nur bescheidene Gäste in einem Schutzhaus sind, das uns die Aufnahme gewährt für eine begrenzte Zeit.


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