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Gletscherschmelze, Hitzewellen und Trockenperioden Die Ötztaler Alpen im Klima-Fokus

Eine massive Hängebrücke überspannt die Schlucht der Gurgler Ache, wo einst der Weg flach über die Gletscherzunge geführt hat. Das Hochwildehaus oberhalb des Gurgler Ferners ist geschlossen: Risse ziehen durch die Wand, denn der Untergrund bewegt sich. Der Klimawandel ist im Bergsport angekommen.

Von: Georg Bayerle

Stand: 08.07.2023

Der Blick von der Langtalereckhütte dorthin, wo auf älteren Karten noch der Gurgler Ferner eingezeichnet ist, führt ins Leere einer trichterförmigen Schlucht mit nackten Felswänden.

Nackte Felslandschaft unter der Langtalereckhütte

Geschätzt über einen Kilometer hat sich der Gletscher in den 50 Jahren, die Sigi Gufler die Hütte bewirtschaftet, zurückgezogen. Auf dem Weg weiter in Richtung Talschluss und Gurgler Ferner geht es auch zum Hochwildehaus, das seit 2016 allerdings geschlossen ist. Der Untergrund ist instabil, in den Wänden gibt es Risse. Die alte Hütte wurde als Fidelitas-Hütte auf Vordermann gebracht und dient als Selbstversorgerhütte. Die Zukunft des Hochwildehauses aber ist unsicher, die Sektion Karlsruhe muss jetzt prüfen, ob sich der traditionsreiche Stützpunkt erhalten lässt.

Langtalereckhütte

Mit dem Gletscher ist auch die alte Route von der Langtalereck-Hütte zum 3006 Meter hoch gelegenen Ramolhaus verschwunden. Wo es früher relativ eben über den Gletscher ging, liegen jetzt 200 Höhenmeter Ab- und Aufstieg, über die unter dem Gletscher zu Tage getretene Schlucht führt eine massive Hängebrücke auf die andere Seite. 600.000 Euro hat sich der Tourismus im Ötztal den Übergang kosten lassen und damit auch gleich eine neue Touristenattraktion geschaffen, über die der DAV nicht so glücklich ist. Für den Alpenverein geht es hier ans Eingemachte und um die Kernfrage, ob man die Natur auch mal Natur sein lassen darf. Werden die natürlichen Folgen des Klimawandels mit technischer Infrastruktur bewältigt oder aber passt sich der Alpinismus an? Das würde am Beispiel dieses beliebten Verbindungswegs heißen, dass Wanderer und Bergsteiger einen ziemlichen Umweg durch unangenehmes Gelände zurücklegen müssten. Die Hütten würden möglicherweise Besucher verlieren und könnten unrentabel werden.

In einem speziellen Projekt versucht der DAV die Klimafolgen für seine 320 Hütten und 30.000 Kilometer Wege abzuschätzen und die Richtung zu bestimmen. Tatsache ist: Das Risiko wird deutlich spürbarer, ganz neue Hindernisse treten auf. Ein Kriterium stellen die ehemaligen Gletscherübergänge dar wie beispielsweise das Gepatschjoch am Fluchtkogel. Nach der Ausaperung zerbröselt hier der Fels, es droht Steinschlag auch aus den Bergflanken. Solche Übergänge zu erhalten, bedeutet einen immensen Aufwand. Doch aufhalten lässt sich diese Entwicklung nicht - im Gegenteil, der große Felsabbruch vor kurzem am Fluchthorn in der Silvretta zeigt, dass Felsstürze und Steinschlag zunehmen werden. Das gilt nicht nur in der derzeit besonders heiklen Permafrostzone, also oberhalb von ca. 2800 Metern, wo auch der Fels früher durchgehend gefroren war und sich er eisige „Kleber“ jetzt auflöst.

Wachsames Murmeltier

In den bayerischen Bergen und in den Nördlichen Kalkalpen machen sich Extremwetter immer mehr bemerkbar. Ein Beispiel sind Passagen wie der Sperrbachtobel auf der E-5-Alpenüberquerung hoch zur Kemptener Hütte. Wer hier schon einmal ein Unwetter erlebt hat, der weiß, wie sich die Felswände links und rechts plötzlich zu Wasserfällen und Schlammbahnen verwandeln und die Steine fliegen. Schon in der Vorbereitung und Tourenplanung ist es darum wichtig, die Gefahrenstellen zu kennen und den Wetterbericht genau zu verfolgen. Planung und Vorbereitung bekommen somit einen neuen Stellenwert, auch weil sich die Tourenbedingungen rasch ändern können. Dadurch erhält der Alpinismus einen neuen Risikofaktor, mit dem alle umzugehen lernen müssen. Wo sich Wege dauernd verändern und bald nicht mehr gut erhalten werden können, entsteht eine neue Wildnis. Das Gelände richtig einzuschätzen, Orientierungssinn und bergsteigerische Erfahrung werden in Zukunft noch wichtiger werden als bisher schon.


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