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Hochgefühle in den Ötztaler Alpen 150 Jahre Gepatschhaus und eine Familientour auf die Weißseespitze

Mit der Gründung des Deutschen Alpenvereins 1869 begann ein Aufbruch in die Berge. Die Sektionen erhielten Aufgabengebiete, um dort Wege und Hütten zu bauen. Frankfurt beispielsweise bekam das Kaunertal in Tirol als Zielgebiet. Und dort feiert jetzt das Gepatschhaus seinen 150. Geburtstag.

Von: Georg Bayerle

Stand: 25.08.2023

Gepatsch und Weißseespitze: Rauhekopf und Weißseespitze aus der Ferne | Bild: BR/Georg Bayerle

1869, also vor 154 Jahren wurde der Deutsche Alpenverein in München gegründet und sofort startete ein allgemeiner Aufbruch in die Berge. Die Sektionen, die als unabhängige örtliche Gruppierungen entstanden, erhielten Aufgabengebiete, um dort Wege und Hütten zu bauen. Frankfurt beispielsweise bekam das Kaunertal in Tirol als Zielgebiet. Und dort feiert jetzt das Gepatschhaus seinen 150. Geburtstag. Diese Hütte der Sektion Frankfurt gilt als älteste noch bestehende Alpenvereinshütte in Österreich. Zwar führt seit 1932 eine öffentliche Buslinie zum Gepatschhaus und heute die Kaunertaler Gletscherstraße direkt vorbei – trotzdem hat der Platz seine besondere Atmosphäre erhalten.

Die Kapelle "Maria vom Schnee"

Morgens um 9 Uhr kommt Oma Fini Tschögele mit strammem Schritt und einem schweren Metallschlüssel in der Hand vom Holzbau der Kapelle zum Gepatschhaus gelaufen: Durch den Frühstückstress hatte sie heute vergessen, das anmutige Gotteshaus neben der Alpenvereinshütte aufzusperren. So geht das in der Hochsaison, wenn die Hütte voll ist und tatendurstige Gäste nach Kaffee und Tee verlangen. Aber jetzt sind alle weg und Fini hat Zeit für einen genaueren Blick auf das gotische Zierwerk in den hohen Fenstern und den reich verzierten Hochaltar. Einmal im September ist die Kapelle „Maria vom Schnee“ das Ziel der Südtiroler Wallfahrer, die aus dem Langtauferer Tal herüber pilgern.

Stockbetten hinter dem Hochaltar

Schlafstube im Kapellenbau

Einige Jahre nach dem Gepatschhaus wurde diese stimmungsvolle Andachtshütte auf einer Ecke des Felsbuckels gebaut, den die Gletscherzunge des Gepatschferners hier einst abgehobelt hat. Die größte Besonderheit befindet sich aber hinter dem Altar: holzgetäfelte Bergsteigerzimmer, so wie die Kapelle selbst aus dem Holz von Zirben, die hier überall, oft jahrhundertealt, wachsen. Sie geben dem Platz auf 1900 Meter Höhe seinen besonderen Charakter und liefern Fini Tschögele den Rohstoff für lokale Köstlichkeiten wie Zirbenschnaps und Zirbenlimo.

Drei-Generationen-Haushalt

Die junge Hüttenwirtin Lena

Es ist keine alltägliche Hauswirtschaft hier oben, die von der Familie Tschögele aus dem nahegelegenen Fließ im Inntal betrieben wird. Treibende Kraft ist Enkelin Lena, die im Juni, gerade zur Saisoneröffnung, ihr Abitur geschafft hat. Lena schleppt und stapelt gerade Getränkekisten. Auch ihr gefällt der Platz auf dem Felsbuckel, den die Erbauer des Gepatschhauses vor 150 Jahren klug gewählt haben: sicher vor Muren, Hochwasser und Lawinen, aber mitten zwischen den Naturgewalten. Ein Gewittersturm im Juli hat allerdings reihenweise 250 Jahre alte Zirben um die Hütte herum entwurzelt. Glücklicherweise ist nichts passiert - und es sind auch genug Zirben stehen geblieben, so dass der Platz seine außergewöhnliche Naturschönheit bewahrt hat.

Die „Goaß“ vom Kaunertal

Wie schon vor knapp 100 Jahren kommt zweimal am Tag der Bus herauf. Es ist die schönste Art der Anreise für echte Alpentouren in diesem Gebiet, das die Hüttenwirtin trotz ihres jungen Alters bestens kennt. Mit gerade einmal drei Jahren hatte sie schon der Onkel am Seil für eine erste Bergtour am Gepatschferner. Seitdem sagen sie in der Familie „die Goaß“ zu ihr. Um ihre Berg-Goaß-Natur auszuleben, muss sich Lena noch bis zum 20. September gedulden, denn bis dahin hat das Gepatschhaus geöffnet. Einstweilen berät sie die Gäste bei der Tourenwahl.

Gletscherklassiker Weißseespitze

Die Familie ist bereit zur Tour

Die Weißseespitze mit ihrer noch vorhandenen weißen Firnkuppe ist der große Blickfang am Talschluss des Kaunertals. Mit 3518 Metern Höhe ist sie ein echter Klotz, aber alpinistisch unschwierig, sofern die notwendigen Fertigkeiten für eine Gletscherüberquerung mit Seil vorhanden sind - und das sind sie bei Andreas, der mit Anja und der 10-jährigen Ronja hinauf will, allerdings nicht in einem Zug. Am Vortag sind die drei vom Gepatschhaus zur Rauhekopfhütte aufgestiegen. Das verkürzt den rund sechsstündigen Aufstieg um die Hälfte.

Sonnenschutz und Gletscherseil

Jetzt stehen sie da, mit dick aufgetragener Sonnencreme im Gesicht und angelegtem Klettergurt. Denn von der Rauhekopfhütte sind es nur noch 20 Minuten Aufstieg, dann beginnt die weite Fläche des Gepatschferners. Es vermittelt durchaus ein arktisches Gefühl, die kilometerlange Schnee- und Eisfläche zu betreten - ein ausgemachter Gletscherhatscher, wie man es alpinistisch so schön nennt.

Minigebirge im Firnfeld

Das kann ziemlich ermüden, aber nicht, wenn das Auge ständig neue Besonderheiten entdeckt: Einen Eis-Hai nennt Ronja die flossenartig ausgeformte Schneewelle. Meerhörner ragen aus dem gleißenden Weiß auf. Auch wenn die Route auf die Weißseespitze anders als die Tour zum Brandenburger Haus nicht allzu spaltengefährdet ist, ist Anseilen Pflicht. Rund drei Stunden ist man unterwegs. Zuletzt geht es noch etwas steiler auf den Gipfel, und dann stehen Weißkugel, Wildspitze und Watzespitze um einen herum - lauter klingende Namen und große, formschöne Berggestalten.

Vergänglichkeit der Gletscherwelt

Die Tour auf die Weißseespitze ist Hochgebirge pur und bietet eine spezielle Erfahrung: Die Gletscherberge rücken nahe, auch wenn dabei deren Vergänglichkeit spürbar wird. Schon ab den Vormittagsstunden strömen Schmelzwasserbäche durch das Gletschereis, versickern in schneckenartigen Eisgullys oder vereinen sich zu oberflächlichen Rinnsalen. Ein Flachstück auf dem Weg wird seinem Namen jetzt richtig gerecht: der „Sumpf“ - ein aufgeweichtes Flachstück mit Schnee und Wasserpfützen.


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