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"Menschen im BR": Cutterin Corinna Sekatzek-Gütlein "Der Film entsteht im Schneideraum"

Bilder und Töne alleine erzählen selten eine Geschichte. Erst die Arbeit der Cutter zaubert aus dem Rohmaterial einen "echten" Film. Corinna Sekatzek-Gütlein beherrscht diese Zauberkunst seit zwanzig Jahren - auch wenn sie immer wieder dazulernen musste.

Von: Michael Peer, Unternehmenskommunikation

Stand: 24.08.2021 | Archiv

Corinna Sekatzek-Gütlein | Bild: BR / Michael Peer

Frau Sekatzek-Gütlein, wie sind Sie am Anfang Ihrer Karriere auf die Idee gekommen, Cutterin zu werden?

Ich habe schon in der Schule viel fotografiert und meine Klassenkameraden damit genervt. Damals habe ich auch schon mit dem VHS-Rekorder oder Mini-DV Sachen zusammengeschnitten und nebenbei von der Stereoanlage Musik dazu abgespielt - total umständlich. Eigentlich wollte ich Kamerafrau werden und habe auch die Ausbildung zur Mediengestalterin für Bild und Ton begonnen, aber schnell gemerkt, dass mir Schnitt viel mehr liegt. Ich habe als Cutterin einfach viel mehr Möglichkeiten einen Film zu gestalten.

Zur Person

Corinnna Sekatzek-Gütlein ist seit 20 Jahren Cutterin im BR. Aktuell ist sie für Formate wie quer, plusminus oder Report zuständig. Ihre Schneideräume liegen auf dem Campus München-Freimann. In ihrer Freizeit singt sie in der Band "Gretes Töchter" und spielt dort auch Schlagzeug.

Sie sehen also durchaus einige Freiräume für die eigene Gestaltung im Zusammenspiel mit der Autorin oder dem Autor …

Ja, ich habe festgestellt, dass viele Autoren geradezu froh sind, dass man die eigene Meinung einbringt und das auch erwarten. Zum Beispiel, wenn man Vorschläge zur Musik macht, oder wenn man etwas ausprobieren möchte, vielleicht mal eine Farbveränderung oder einen Toneffekt. Je mehr man dabei selbst im Fundus hat, desto größer sind die Chancen für den Film, gut zu werden.

Was sind grob Ihre Aufgaben als Cutterin?

Zunächst kommt der Autor oder die Autorin in den Schneideraum und wir quatschen erstmal, wo es hingehen soll. Dann schauen wir uns gemeinsam das Material und die Protagonisten an, dann Extramaterial wie Drohnen oder GoPros. Und wir versuchen gleich zu Beginn, einen roten Faden reinzukriegen. Ich frage dann: Worauf wollen wir hinaus? Dann können wir uns überlegen, wie wir da hinkommen. Arbeiten wir viel mit Musik? Wollen wir einen speziellen Schnittstil? Bekommt vielleicht jeder Protagonist eine eigene Musik oder Geräusche? Das verlangt viel Kommunikation im Schneideraum.

Im Schneideraum kann sich der Film noch in viele Richtungen entwickeln …

Ja, gerade Jüngere denken am Anfang, nach dem Dreh ist das Ding gelaufen. Aber dann merken sie: Der Film entsteht erst im Schneideraum. Es passiert mir öfters mit Neueinsteigern, dass ich anfangs eher als Dienstleiterin gesehen werde. Beim nächsten Mal legen sie dann eine ganz andere Wertschätzung an den Tag.

Wie gehen Sie mit unterschiedlichen Meinungen um?

Viele lassen sich überzeugen, wenn ich ihnen meinen Vorschlag zeige. Oder ich lasse mich überzeugen. Wenn ich nicht überzeugt bin, frage ich die Autorin oder den Autor oft nach dem Grund und wir suchen gemeinsam nach der besten optischen oder akustischen Lösung. Ich will aber nicht gewinnen. Wenn ich merke, die Autorin hat die bessere Lösung, dann bin ich fein damit. Nach zwanzig Jahren kenne und mag ich einfach viele Leute, da kann man gut diskutieren.

So viele Menschlichkeiten und Befindlichkeiten, da braucht man sicher ein gutes Gespür …

Der Arbeitsplatz von Corinna-Sekatzek-Gütlein: der Avid-Schnittmonitor. Hier ein Stück für "Schwaben und Altbayern".

Unsere damalige Ausbilderin hat am ersten Tag gesagt: Cutter sind zur Hälfte Psychologen. Damals haben wir alle gelacht. Zwanzig Jahre später weiß ich: Das stimmt. Man sitzt ja teilweise über Wochen von morgens bis abends nebeneinander, da kommen oft Emotionen hoch.

Da kriegt man viel mit …

Absolut. Da läutet auch immer wieder das Telefon, zum Beispiel von der Exfrau, die schimpft. Manchmal braucht es auch Trost oder erstmal einen Kaffee vor dem Start.

Was sind für Sie die Kriterien für einen gut geschnittenen Film?

Auf jeden Fall ein stimmiger Schnittrhythmus. Er muss mich packen und darf nicht vorhersehbar sein. Und wenn Musik an den passenden Stellen eingesetzt wird. Gut finde ich auch, wenn es einen ausgeglichenen Wechsel gibt zwischen Strecken die mich geistig fordern und Strecken, wo ich mich entspannen und es einfach schön finden kann.

Wie wichtig ist dabei die Vorarbeit durch die Kamerafrau bzw. den Kameramann?

In ihrer Freizeit singt Corinna Sekatzek-Gütlein in ihrer Band "Gretes Töchter" - und spielt dort auch Cajón.

Sehr wichtig. Oft sitze ich im Schnitt und freue mich einfach, dass das Material so gut ist und dass ich es bin, die es schneiden darf. Manchmal fehlt einem aber auch das richtige Bild. Dann muss man kreativ werden und ein anderes Bild zum Beispiel als Symbol verwenden, das ist oft eine Spurensuche und Puzzle-Arbeit.

Was fasziniert Sie an Ihrem Job besonders?

Dass es mir möglich ist, durch meine Arbeit Emotionen zu kreieren und Menschen in eine andere Welt zu entführen. Und dass ich es in der Hand habe, dass der Zuschauer oder die Zuschauerin etwas spannend findet oder gerührt ist. Manchmal bin ich selbst ergriffen von dem Material. 

Welche Entwicklungen oder Trends beobachten Sie in den letzten Jahren?

Es wurde in letzter Zeit viel mehr Arbeit in kürzerer Zeit. Im Schnitt müssen wir viel mehr zusätzliche Dinge erledigen, z.B. was Fotos oder Audios oder eine Untertitelung für Online oder Hörfunk angeht. Das ist nix für Trödler!

Und wie hat sich die Ästhetik geändert?

Früher gab es ganz klare Regeln, zum Beispiel, dass eine Bewegung zu Ende sein muss, bevor die nächste beginnt. Jetzt ist viel mehr erlaubt, eigentlich alles, was gefällt. Der Einfluss des Internets ist hier recht deutlich.

Erkennt man ihre Filme trotzdem an einem bestimmten Stil?

Das kann man nicht allgemein sagen. Aber mein Mann, der auch Cutter ist, hat kürzlich was von mir gesehen und schon erkannt, dass es von mir ist.

Wenn der Mann auch Cutter ist, haben Sie ihn im Schneideraum kennengelernt?

Fast. An der Kaffeemaschine haben wir uns kennengelernt und haben zunächst festgestellt, dass wir beide Franken sind.

Eine gute Basis …

Ja, wir haben auch oft ähnliche Themen. Aber natürlich auch genügend andere. Wir haben zwei Kinder, da geht es eigentlich immer um anderes (lacht).