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Blutsbrüderschaft nach Noten "Look & Listen"-Preisträger Martin Böttcher im Gespräch

"Winnetou"-Filme – undenkbar ohne die einprägsame Musik von Martin Böttcher. Podiumstalk mit ihm zum Jubiläum von "Cinema – Kino für die Ohren".

Stand: 21.06.2021

Jim Sampson, Matthias Keller und Martin Böttcher | Bild: BR

"Die Melodie zu Winnetou kam wie eine Explosion. Ich hab mir keine Gedanken gemacht, mir nur, eine einsame, wunderschöne Landschaft vorgestellt, mit Mundharmonika & Abendstimmung. Bei den Indianerangriffen hat’s dann aber schon auch gerumpelt im Karton."

Martin Böttcher

Seit fast 70 Jahren macht er Musik und keiner hat die deutsche Filmmusik so geprägt wie der 1927 geborene Musiker, Filmkomponist, Arrangeur und Orchesterleiter Martin Böttcher. Am Vorabend noch im Zirkus Krone mit dem "Look & Listen" – Telepool BR Music Award 2013 ausgezeichnet, sitzt der 86-jährige am nächsten Tag gutgelaunt im Studio 1 und erzählt von seiner spannenden Laufbahn, die dem Publikum schlussendlich unvergessene Melodien wie das Old Shatterhand Thema aus Winnetou oder die Titelmelodie der Pater Brown Krimis beschert hat. Als sein Berufstraum Pilot zu werden, 1944 ernüchtert in der Kriegsgefangenschaft geendet hatte, brachte er sich dort das Gitarre spielen bei und es dauerte nur wenige Jahre, bis der blutjunge Künstler eine feste Größe im deutschen Filmbusiness war. "Komponieren mit dem Kopf – und mit dem Bauch", das ist seine Stärke, die ihn bis nach Hollywood gebracht hätte, wäre er damals nicht gerade mit Frau und kleinen Kindern in die Schweiz umgezogen gewesen.  Und so bliebt er in der Schweiz, vertonte 57 Spielfilme, Hunderte TV-Produktionen und denkt nicht ans Aufhören. "Arbeiten macht ja Spaß. Die Arbeit an sich ist gleich geblieben, aber das Geld fehlt, daher ist die Besetzung heute extrem klein. Und um die finanzielle Beschränkung auszugleichen, muss man sich eben als Komponist einfach mehr einfallen lassen." Wenn das immer so einfach wäre …

Viel mehr als Winnetous musikalisches Alter Ego

Keine Frage, er gehört zur A-Liga deutscher Film- und Fernsehkomponisten: Martin Böttcher, Jahrgang 1927 und "Vater" zahlreicher Soundtracks zu Kinofilmen, die Geschichte schrieben. Die Wirtschaftswunder-Jahre und die 60er Jahre mit den Karl May-, Pfarrer Braun- und Edgar Wallace-Verfilmungen gehören musikalisch ihm. Erfolge hat er jedoch in vielen Sparten des Musikbetriebs. Als Komponist ebenso wie als Arrangeur und Jazzer, der er auch im Herzen immer geblieben ist. Seine Erfolgsbilanz: Die Musik zu über 50 Kinofilmen und 300 Fernsehproduktionen stammt aus seiner Feder.

Die musikalische Heimat des gebürtigen Berliners und Urenkel eines Weimarer Hofkapellmeisters ist der Jazz. Sein erster Weg führte ihn nach den Kriegsjahren geradewegs in die Big-Band-Musik, zum Tanz- und Unterhaltungsorchester des damaligen Nordwestdeutschen Rundfunks, auf das sogar das Big-Band-verwöhnte England mit Hochachtung blickte. Mit dabei: Hans – später "James" – Last. Klavierunterricht hatte Martin Böttcher schon als Junge bekommen, das Gitarrenspielen hatte er sich selber beigebracht, das Handwerk zum Arrangeur, Komponisten und Dirigenten erlernte er bei Kurt Wege und Generalmusikdirektor Richard Richter.

Sein Debüt

Böttchers Debüt als Filmkomponist: die Militärsatire "Der Hauptmann und sein Held" 1955. Ersten Ruhm brachte ein Jahr später das Jugenddrama "Die Halbstarken" mit Horst Buchholz in der Hauptrolle. Mit Musikgrößen aus der Jazzszene, wie eben Hans Last, Fatty George und Ernst Mosch, hatte Böttcher die Filmmusik einstudiert und sich einen Namen in der Branche gemacht. Er schrieb Lieder für Filmstar Hans Albers und die Musik zu Filmen, die heute Klassiker sind wie "Max, der Taschendieb" mit Heinz Rühmann.   

Auch die Amerikaner wurden auf den jungen Komponisten aufmerksam: Vor allem seine Arrangements und Einspielungen zu Weltmelodien wie "Theme from A Summer Place" und "Tara’s Theme" brachten ihm die Ehrenmitgliedschaft in der "Max Steiner Society" ein. Und in Deutschland stürmten seine Melodien inzwischen die Charts, das "Old Shatterhand"-Thema von 1962 stand 17 Wochen lang an der Spitze und wurde mehr als 100.000 Mal verkauft – damals ein Novum auf dem Markt. Zu zehn Karl May-Kinofilmen lieferte Martin Böttcher den unverkennbaren Soundtrack. Später jedoch verlegte er sich jedoch auf das Komponieren für die  Fernsehbranche. So erklang der typische Martin-Böttcher-Sound u. a. zu Episoden der Krimiserien "Sonderdezernat K1", "Der Alte" und "Derrick" sowie zu TV-Serien wie "Kara Ben Nemsi Effendi", "Es muss nicht immer Kaviar sein" oder "Forsthaus Falkenau". In seinen neueren Werken untermalt er musikalisch die Krimireihe "Pfarrer Braun" mit Ottfried Fischer in der Titelrolle.

Martin Böttcher, der mittlerweile im Tessin lebt, schrieb Filmgeschichte. Viele seiner Kompositionen, auch die berühmte "Old Shatterhand-Melodie", entstanden auf seinem Flügel. Heute steht das geschichtsträchtige Piano in einem Viersternehotel im sächsischem Radebeul, dem letzten Wohnort Karl Mays.

Vielseitiger Journalist und Musiker

Die Schallplattensammlung seiner Eltern erweckte bei ihm die Liebe zur klassischen Musik – heute ist Matthias Keller (*1956 in Bremen) Redakteur für Filmmusik und verantwortlich für die Sendung CINEMA auf BR-Klassik. Um, wie er sagt, Menschen die Musik in Wort und Ton näherbringen zu können. Matthias Keller blickt selbst auf eine musikalische Laufbahn: Er studierte Klavier, Musikpädagogik und Kirchenmusik u. a. an der Staatlichen Hochschule für Musik in München und war lange Zeit Chorleiter und Organist.

Als Produzent und Autor war er auch für den Hessischen Rundfunk und Norddeutschen Rundfunk tätig, und als Musikjournalist für die Süddeutsche Zeitung. Seit 1981 widmet sich der Musik-Experte zusätzlich der Filmmusik und brachte die Filmmusik-Reihe "Sounds of Cinema" heraus. Zwei Jahre lang arbeitete Matthias Keller als Musikberater beim BR, bevor er 2000 hier Redakteur wurde und heute das Kinomagazin "Cinema" auf BR-KLASSIK moderiert. Darüber hinaus ist er Mitarbeiter des Lexikons "Komponisten der Gegenwart" und Jurymitglied beim Preis der Deutschen Schallplattenkritik für die Sparte Filmmusik. 2004 organisierte Matthias Keller das Deutschland-Debüt von Ennio Morricone in der Münchner Philharmonie. Außerdem ist er als Arrangeur und Komponist tätig und arbeitete mit zahlreichen Musikern und Ensembles zusammen, darunter das Dallas Chamber Orchestra, die Münchner Symphoniker und das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin.

Gast

Martin Böttcher | Komponist

Moderation

Matthias Keller | BR-KLASSIK, BR


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