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Hörfilm-Audiodeskription Kopfkino

Die Redaktion „Hörfilm-Audiodeskription“ verwandelt Filme und Serien in ein Hörerlebnis für Sehbehinderte. Das BR-Magazin war bei einer Aufnahme dabei.

Von: Michaela Bold

Stand: 13.02.2015

Audiodeskription | Bild: BR/Max Hofstetter

Hinter der Glasscheibe im Studio "Ton Edit 2" steht die Sprecherin Diana Gaul mit Kopfhörern, vor ihr liegt ein dickes Skript, auf einem Monitor läuft Folge 1.450 von "Dahoam is Dahoam". Auf der anderen Seite der Scheibe, im Tonbearbeitungsraum, sitzen Sascha Schulze und Florian Meyhöfer. Auch hier flimmert "Dahoam is Dahoam" über ein Fernsehgerät. Gaul gibt ein Zeichen durch die Scheibe, Meyhöfer hält den Film an. Auf dem Bildschirm wird eine Szene eingefroren, in der Fanny Lechner (Katrin Lux) im Krankenbett liegt und ziemlich lädiert aussieht. "Kurze Nachfrage: Ist das auf Fannys Stirn wirklich eine große Kompresse? Oder ist das nicht eher ein Pflaster?", fragt Diana Gaul.

Florian Meyhöfer

"Unter einem Pflaster stelle ich mir etwas anderes vor, eher einen kleinen Klebestreifen. Was Fanny da auf der Stirn hat, das hat eine große Mullauflage. Ich würde also schon ‚Kompresse’ dazu sagen", antwortet Florian Meyhöfer. "Dann sagen wir einfach nur Kompresse und lassen das ‚groß’ weg", entscheidet Sascha Schulze. Ob es nun eine Kompresse oder ein Pflaster ist, was da auf Fannys Stirn prangt, das ist eigentlich nicht so wichtig, sollte man meinen. Doch in diesem Fall spielt es eine Rolle: Denn hier, in Ton Edit 2, entsteht gerade die Hörfassung der Serie "Dahoam is Dahoam". Hörfilme werden für blinde beziehungsweise sehbehinderte Menschen gemacht. Alle Handlungen, Sets und Personen müssen so beschrieben werden, dass auch diese Zuschauer genau wissen, was gerade passiert, dass der Film nicht nur auf dem Bildschirm abläuft, sondern auch im Kopf. Deswegen ist es wichtig, ob man nun "Pflaster" oder "Kompresse" sagt, denn hört man das Wort "Pflaster", denkt man eher an eine kleine Wunde, mit "Kompresse" verbindet man dagegen eine schwerere Verletzung.

Sascha Schulze

Volles Programm Alle fiktionalen Sendungen, die der BR der ARD zuliefert, weitere ausgewählte Spielfilme für den BR, Spielfilme für ARD-alpha und bayerische Serien werden als Hörfilme produziert. Dazu kommen Spielfilme für den Hessischen Rundfunk und den ORF. Im letzten Jahr entstanden Audio-Deskriptionen von 200 Folgen "Dahoam is Dahoam", dazu von 27 anderen Serien und von 32 Spielfilmen. Haide Völz leitet die Redaktion, dazu kommen zwei blinde Tonregisseure und rund 40 freie Hörfilm-Autoren, zwei Lektoren, vier Toneditoren und zwölf Sprecher. Sie alle arbeiten daran, Bilder im Kopf entstehen zu lassen.

Der lange Weg zum Hörfilm

Als Erstes werden die Sendepläne durchgesehen und festgehalten, welche Serien und welche Filme als Hörfilme umgesetzt werden sollen. Danach machen sich die Autorenteams ans Werk. Zwei sehende und ein blinder Autor "schauen" sich den Film an und schreiben die Deskription, also die Bildbeschreibung. Der berühmte Vorspann des "Tatorts" liest sich dann zum Beispiel so: "Das Augenpaar eines Mannes. Er sieht nach links, nach rechts, geradeaus. Um sein rechtes Auge schließt sich ein Fadenkreuz." Der blinde Autor achtet darauf, dass alles gut und schnell verständlich ist. Wichtig bei der Arbeit ist, dass weder zu viel noch zu wenig beschrieben wird. Zu viele Details lenken vom eigentlichen Geschehen ab, zu wenige Details hinterlassen nur ein Fragezeichen im Kopf des blinden Zuhörers. Oft ist es nicht einfach, die richtige Stelle im Film für die Bildbeschreibungen zu finden, denn die Dialoge der Personen im Film sollen schließlich zu hören sein. Wie aufwendig und schwierig diese Arbeit ist, hängt vom Film ab. Bei "Dahoam is Dahoam" sind immer die gleichen eingespielten Autoren am Werk, die die Serie und ihre Figuren in- und auswendig kennen. Bei Spielfilmen ist die Arbeit oft mühsam, erzählt Elmar Dosch. Er ist gemeinsam mit Haide Völz für die Planung und die Studioproduktion der Hörfilme zuständig. Dosch ist blind: "Einmal mussten wir einen Film von Woody Allen deskribieren. Das war schrecklich: Da wird am laufenden Band gequatscht, und wir wussten gar nicht, wo wir eigentlich mit unseren Beschreibungen noch Platz haben sollen." Es geht aber auch anders herum: "Beim Film ‚Auf der Flucht’ ist Harrison Ford als Dr. Kimble die meiste Zeit alleine unterwegs, da wird also gar nicht gesprochen. Das ist auch nicht so toll für uns, dann müssen wir die ganze Zeit reden", sagt Dosch und lacht. Wenn die Autorenteams ihre Arbeit abgeschlossen haben, wird das Manuskript noch mal in der Schlussredaktion überprüft, dafür ist Dosch mit einem sehenden Kollegen zuständig. Danach geht es ins Studio. Zwölf Sprecherinnen und Sprecher sind regelmäßig gebucht, um den Hörfilmen ihre Erzählstimme zu geben, so wie an diesem Tag Diana Gaul für "Dahoam is Dahoam". Die Sprecherrollen werden so besetzt, dass sie zum Film passen: Manchmal ist ein Sprecher mit bayerischem Akzent am besten geeignet, ein anderes Mal soll es eine Stimme sein, die besonders weiblich klingt. Während der Aufnahme sitzt ein blinder Tonregisseur mit im Studio, bei "Dahoam is Dahoam" übernimmt Sascha Schulze diese Aufgabe. Er hört der Sprecherin zu und lässt sich gleichzeitig über Kopfhörer das Hörfilm-Skript vorlesen, um zu überprüfen, ob Änderungen im Erzähltext nötig sind. Danach macht sich der Tontechniker an die Feinheiten, schneidet und verschiebt die aufgenommene Tonspur, damit alles perfekt klingt und zum Film passt. Am Ende steht ein fertiger Film zum Hören, und Elmar Dosch freut sich, denn "es ist wunderschön, dass sich Blinde und Sehende gemeinsam über das Medium Film austauschen können".


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