Bayern 2 - Zündfunk

Meinung Warum der Yoga-Boom zeigt, dass in der Gesellschaft etwas falsch läuft

Eine Zündfunk-Sendung über die Yogamatte hat für viel Kritik gesorgt. Vor allem Yoga-Fans fühlten sich angegriffen. Ein Hörer behauptet nun, ChatGPT hätte eine bessere Sendung gemacht als die Redaktion. Stimmt das?

Von: Ferdinand Meyen

Stand: 05.10.2023

Menschen machen Yoga während dem "World Culture Festival" in Washtington D.C. | Bild: picture alliance / ZUMAPRESS.com | Probal Rashid

Sie haben Post. Dieses Mal von jemandem, der meint, ChatGPT könne besse recherchieren als der Zündfunk. Anlass war eine Wiederholung aus der Reihe „Die Sache ist die ...“, Thema: “Was hat eine Yogamatte mit Selbstoptimierung zu tun?” Seit sie im März veröffentlicht worden ist, erregt diese Episode die Gemüter. Zahlreiche Mails haben mich in den vergangenen Monaten erreicht, die sich beklagen, dass die Sportart Yoga durch die von mir dargestellte Recherche zu schlecht wegkomme. Auch, weil Yoga von mir in Teilen als Teil eines neoliberalen Mindsets kritisiert wird. Ich weiß, wer von “Mindset” spricht, hat den Verstand verloren. Aber in Sachen Yoga-Boom passt dieser Wahnsinn ja manchmal auch wie der Buddha auf die Matte.

Ein Sport im Flow

Zunächst: Immer mehr Menschen machen Yoga, das ist Fakt. Auch ich habe für die erwähnte Sendung Yoga gemacht, einen Nachmittag, insgesamt 2,5 Stunden in mehreren Sessions. Ein Personal Training und einen „Inside Flow“, der Körper und Geist in Einklang bringen sollte. In dem Studio, das ich besucht habe, ging es vor allem um sportliche und gesundheitliche Aspekte, nicht so sehr um das Spirituelle: Rückenschmerzen bekämpfen, Muskelaufbau, Kondition und Mobilität fördern. Das ist aber nur eine Facette von Yoga. Durch Mediation steht bei vielen Yoga-Spielarten auch das Zu-sich-selbst-finden im Mittelpunkt. Selbst die von mir vorgestellte Yoga-Lehrerin wies darauf hin, dass eine starke Auseinandersetzung mit sich selbst beim Yoga dabei helfen könne, mit angestauten Problemen und Krisen besser klarzukommen. Einatmen, Ausatmen, Loslassen.

Hätte ChatGPT eine bessere Sendung geschrieben als Bayern2?

Dieser Punkt wird auch in der neuesten Hörer-Mail, also in der mit ChatGPT, herausgearbeitet. Die KI hätte recherchiert: „Yoga ist eine ganzheitliche Praxis, die nicht nur den Körper, sondern auch den Geist und die Seele anspricht.“ Der Vorteil davon, so heißt es weiter: „Yoga bietet einen Weg zur Selbsterkenntnis, persönlichen Wachstum und innerem Frieden. Es geht nicht nur um Fitness, sondern auch um spirituelle Entwicklung.“

Natürlich ist das nicht problematisch. Im Gegenteil: Die indische Philosophie, auf der das basiert, ist mit Frieden, Gewaltlosigkeit, innerer Ruhe und Gelassenheit verbunden. Das weiß auch ChatGPT. Davon könnte sich die Gesellschaft ruhig eine Scheibe abschneiden. Habe ich also wirklich schlampig recherchiert, wurde der Podcast zu schnell produziert? Hätte ich besser ChatGPT befragen sollen und keine Gesellschaftswissenschaftlerin (in dem Fall die Buchautorin und Professorin Catherine Liu, die das Yoga-Mindset im Interview kritisiert)?

Yoga und Neoliberalismus passen perfekt zusammen

Nein, denn der gesellschaftliche Boden, auf dem der Yoga-Trend gedeiht, bleibt problematisch. Und das ist gar nicht die Schuld von Yoga. Es ist ein Boden, der auf Vereinzelung und Individualismus setzt und auf ein Wirtschaftssystem, dass der Gesellschaft das Gemeinsame entzieht. Das ist das Grundprinzip der neoliberalen Wirtschaftsordnung, und dass Yoga so extrem gehypt wird, hängt mit diesem Grundprinzip zusammen. Leute langweilen sich zum Beispiel in ihren Bullshit-Jobs, tagein tagaus damit beschäftigt, die Rendite ihrer Arbeitgeber zu steigern. Und in dieser stumpfen Welt bleibt ihnen kaum mehr etwas übrig, als sich mit der Selbstoptimierung und der eigenen sportlichen Leistung zu beschäftigen. Dass dies zunehmend durch Yoga oder meinetwegen auch durch Fitness- oder Bodybuilding geschieht, während Sportvereine seit Jahren über Mitgliederschwund klagen, passt zum neoliberalen – sorry – Mindset.

Denn das neoliberale Individuum fragt nicht: Wie kann ein Gemeinschaftsleben so strukturiert werden, dass es für alle besser wird? Vielmehr geht es darum, dass man sich selbst verbessert. Denn, so resümiert Margret Thatcher, die Mutter des Neoliberalismus, bereits im Jahr 1987: „So etwas wie eine Gesellschaft gibt es nicht.“ Die Optimierung des Selbst steht auch beim Yoga im Vordergrund, zumindest, wenn man es übertreibt. Denn dann geht es auch jenseits der Yogamatte um die perfekte Ernährung, die yogische Lebensweise und die Spiritualität. Das Problem: Es geht dabei nicht mehr um gesellschaftliche Verbesserungen für alle. Das neue Mantra lautet: Du bist einzigartig, sollst machen, was dir guttut, aber du bist im Zweifel auch selbst daran schuld, wenn nicht alles glattläuft! Es sind nicht etwa schlechte Arbeitsbedingungen, die dazu führen, dass du unglücklich bist, nein, du hast dich einfach nicht gut genug angestrengt, warst nicht konzentriert genug, weil die Yoga-Stunde einmal zu oft ausgefallen ist. Und dieser Fokus auf das Individuum führt zu noch schwereren Problemen.

Neoliberalismus, Rechtsruck und Yoga

Mario Neumann sieht genau hier einen zentralen Kritikpunkt am Neoliberalismus in einem Rundschreiben der Hilfsorganisation Medico International. Weil die Distanz zu politischen Institutionen und zur Gesellschaft durch Vereinzelung und Individualismus immer größer werden würde, so Neumann, werde der Neoliberalismus zum perfekten Nährboden für die neue Rechte.

Neumanns Beleg: Die Philosophin Hannah Arendt, die absolute Ikone in Sachen Totalitarismus-Forschung. Neumann zitiert Arendt: „Nicht etwa politischer Fanatismus, sondern Egoismus und Weltabgewandtheit schufen die Massenbasis der Nazis.“ Hannah Arendts Analyse, wie die Bürgerlichen Anfang des 20. Jahrhunderts zu Faschisten wurden, sieht die Wurzeln in einem autoritären Liberalismus. Und der sei der neoliberalen Ideologie von heute gar nicht so unähnlich, schließt Neumann seine Analyse. Denn auch vor 100 Jahren verfingen vor allem die Erzählungen gegen die Eliten, gegen „Die da oben“. Und das funktioniert nur, wenn Mensch und Institutionen sich entfremden, wenn das Private wichtiger ist als die Politik.

Kritik an Yoga ist keine Kritik an Yoga, sondern an der Gesellschaft

In dieser Kritik an Yoga ging es also nie darum, die Sportart als solche zu diffamieren, sie als esoterisch abzustempeln oder sich über den spirituellen Ansatz lustig zu machen. Schließlich ist längst nachgewiesen, dass die Kombination aus Mediation und Sport positive Auswirkungen auf Körper und Geist hat.

Es ging darum, was ein Yoga-Boom über unsere Gesellschaft sagt. Die Probleme heißen Klassengesellschaft und Kapitalismus. Und der Yoga-Boom gehört in einigen Facetten dazu. Denn wer nur noch mit spiritueller Entwicklung, Fitness und dem eigenen Mindset beschäftigt ist, läuft Gefahr, gemeinschaftliches Denken zu verlernen.