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Emanzipation Sind Körperhaare politisch?

Haare auf dem Kopf sind sehr erwünscht und wenn sie dort fehlen, stürzt das manche Menschen in eine tiefe Krise, wiederum an anderen Stellen haben die Haare keine Lobby. Besonders für Frauen sind Haare längst nicht mehr ein Thema, das sie aus rein kosmetischen Gründen betrifft. Haare können eine Gesellschaft spalten.

Von: Sandra Limoncini

Stand: 11.05.2023

Ein Festivalbesucher hat sich ein Herz in sein Brusthaar rasiert. | Bild: picture alliance / Felix Kästle/dpa | Felix Kästle

Bevor wir angefangen haben, uns über unsere vorhandene und fehlende Behaarung Gedanken zu machen, waren Haare streng genommen unser Fell und damit eigentlich sinnvoller Schutz vor Kälte und Hitze und - ein Sinnesorgan. Heute haben wir keinerlei Verwendung mehr für diesen Pelz: Dafür gibt es Kleidung.

Eine Soziologie der Haare

Die Soziologin Paula-Irene Villa hat ein Buch über Körperkulturen geschrieben, "Schön normal". Sie sagt, dass wilder Haarwuchs oder Körperhaare im 18. Jahrhundert gesellschaftlich als unzivilisiert galten. Deshalb fingen Menschen in Europa damals an, sich von ihrem natürlichen Fell zu trennen.

Paula-Irene Villa erklärt: "So wurden die Haare auch im Kontext von Kolonisierungs- und Rassifizierungs-Prozessen zum Zeichen für eine ungezähmte wilde Natürlichkeit und deswegen zu etwas Negativem – zumindest insbesondere für die weiße europäische Menschheit, Menschen aber eigentlich weltweit. Vor allem Haare am Körper stehen für etwas, was unkultiviert, unzivilisiert, ungezähmt, wild ist. Und das ist, glaube ich, würde ich sagen, historisch."

Die Natur zähmen

Schon die alten Ägypter haben sich rasiert. Auf Wandmalereien, Bildern oder Vasen aus dieser Zeit, 4.000 vor Christus, kann man gut erkennen, dass die meisten Körper haarlos sind. Nicht nur im Intimbereich, auch Augenbrauen sind abrasiert oder gezupft. Dahinter steckt aber auch noch ein anderer Grund, sagt Villa:

"Unsere körperliche Natur ist es, unsere Körper zu gestalten. Es gibt keinen, für Menschen jedenfalls, natürlichen Zustand, der nicht auch kulturell gestaltet wäre, in Bezug auf unsere Körper. Und ob die alten Ägypter sich geschminkt oder rasiert haben oder irgendwelche Gruppen in den Tälern und den Bergen Papua-Neuguineas oder wir hier heute in München, ist erstmal egal. Alle Menschen zu allen Zeiten müssen und haben auch die Freiheit, ihre Körper zu gestalten, auch in Bezug auf die Haare.

Den Körper kultivieren

Behaarte Körperzonen müssen gestaltet werden – was oft bedeutet, die Haare müssen weg. Wie, ist egal. Die Techniken haben sich nicht groß verändert. Es gab in der Antike schon Rasiermesser aus Bronze, aber auch Pinzetten. Und auch eine Technik wie Waxing gab es damals auch schon. Männer und Frauen haben sich mit teilweise extrem schmerzhaften Prozeduren einer gesellschaftlich verordneten Haarlosigkeit unterworfen und tun das heute noch.

Meine Kollegin Franziska Timmer hat sich mit dem Thema Körperbehaarung im Zuge einer großen Recherche befasst: "Es gibt Zahlen von 2018 bis 2021, welche Rasur, Methoden, Frauen und Männer verwenden. Umfragen aus dem Jahr 2018 ergaben, dass rund ein Drittel der Frauen sich nicht rasieren. 2021 ging aber der Trend runter auf 21 Prozent."

Wer lässt wachsen, wer lässt waxen?

Sich nicht überall zu rasieren, ist wiederum für viele Männer völlig normal. Die würden nicht im Traum darauf kommen, sich unter den Armen oder im Intimbereich zu rasieren. Haben aber interessanterweise eine recht dezidierte Haltung zu den Frauen, sagt Franziska Timmer: "Ich finde es schon krass, dass Körperbehaarung bei Frauen als etwas Ekliges empfunden wird, als etwas Wildes, nicht Normales, Unhygienisches. Und daneben hast du männliche, behaarte Beine und denkst dir, was ist hier los? Was ist da der Unterschied?"

Behaarung kann auch ein politisches Statement sein: In den 60 Jahren ließen viele ihre Haare als politisches Statement wachsen, sagt die Soziologin Paula-Irena Villa: Die langen Haare wurden bei Männern aber auch als Anzeichen von Verwahrlosung und Verweichlichung kritisiert. Heute sind lange Haare bei Männern keine Provokation mehr, sondern eher ein Zeichen für Modebewusstsein.

Villa wünscht sich, dass wir als Gesellschaft toleranter mit dem Thema Haare umgehen: "Wir sollten nicht in jedem Haar eine politische oder ideologische Form sehen. Haare können Unterschiedliches bedeuten." Nur eines ist sicher: Wir kommen mit sehr wenigen Haaren auf die Welt und verlassen sie auch fast genauso. Insofern, könnte man sich im Mittelteil auch ein bisschen entspannen.