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Stephan Anpalagan "Dass wir in der Mitte der Gesellschaft Extremismus hätten, würde ich nicht sagen"

In seinem Buch "Kampf und Sehnsucht in der Mitte der Gesellschaft" analysiert Journalist und Theologe Stephan Anpalagan den Zustand unserer Gesellschaft. Nach den Wahlen in Hessen und Bayern haben wir ihn gefragt, wo denn jetzt die gesellschaftliche Mitte zu verorten ist.

Von: Bärbel Wossagk

Stand: 09.10.2023

Journalist und Theologe Stephan Anpalagan | Bild: Boris Breuer

Die Mitte der Gesellschaft sei dort, wo die Menschen sich, im weitesten Sinne, zu einem pluralen, freiheitlich demokratischen Deutschland bekennen. So der Journalist und Theologe Stephan Anpalagan in seinem Buch "Kampf und Sehnsucht in der Mitte der Gesellschaft", in dem der Autor über Heimat, Liebe und Liebeskummer schreibt. Nach der Wahl in Bayern und Hessen und dem offensichtlichen Rechtsruck haben wir ihn gefragt, wo denn jetzt die Mitte tatsächlich ist.

Stephan Anpalagan: Es gibt tatsächlich eine interessante Beobachtung, dass es bei gesellschaftlichen Krisen immer die Angst gibt, dass auch Menschen aus der Mitte nach Rechts umkippen. Es gibt nie die Angst, dass sie nach Links umkippen. Ob es jetzt die Corona-Krise ist, der Einmarsch der Russen in die Ukraine, die Energiekrise oder große Arbeitslosigkeit. Es gibt immer die große Angst, dass Menschen aus der Mitte der Gesellschaft beispielsweise mit Neonazis mitmarschieren, aber nie eben auf der linken Seite des politischen Spektrums landen. Und ich glaube, es gibt eine gewisse Affinität, was die Anschlussfähigkeit von rechtem Gedankengut an die gesellschaftliche Mitte angeht. Und da sehe ich die konservativen Parteien in erster Linie in einer großen Verantwortung, sich da abzugrenzen. So weit gehen und zu sagen, dass wir in der Mitte Extremismus hätten, würde ich nicht. Aber ich glaube, es gibt eine gewisse Anfälligkeit, und denen muss man gegenüber sehr wachsam sein.

Aber was sind die Gründe dafür? Warum ist die extreme Rechte so stark?

Die einfachste Antwort ist, dass Rechte und extreme Rechte einen großen Vorteil haben, wenn es um politische Kommunikation geht: Sie können immer die einfachst mögliche Antwort liefern, egal, worum es geht. Ob die Infrastruktur für die Gesundheitspolitik, die Wohnungspolitik, die Sozialpolitik, Arbeitsmarkt, egal, was ist. Das ist im Kern recht einfach: Immer sind die Ausländer Schuld. Und das fällt natürlich denjenigen, die sich komplex zu den Lagen der Welt äußern, viel, viel schwerer. Und das Zweite ist, muss man auch sagen, bedienen diese Leute eine gewisse Sehnsucht nach der eigenen Identität und sie bedienen die Sehnsucht zu und nach einer Zeit, die es in dieser Form noch nie gegeben hat. Und dort, wo Leute verunsichert sind, wo sie materielle Verlustängste haben, wo sie das Gefühl haben, dass die Politik - berechtigt oder nicht berechtigt - die Qualität der Lebenslage nicht verbessert, dort können Rechtsradikale, Rechtsextreme wie mit so einem Speer hineinstoßen und Geländegewinne und Punktgewinne machen. Und das sind zwei von vielen Gründen, warum der rechte Radikalismus auch in Deutschland auf dem Vormarsch ist.

Skepsis gegenüber Migration oder möglicherweise teilweise ungeregelter Migration und Rassismus. Wo sind da die Grenzen, wenn man weit nach Rechts schaut? Gibt es da überhaupt eine?

Erstens: Wenn sie keine einzige politische Frage, ob Sicherheitspolitik, Arbeitsmarktpolitik, Gesundheit, Bildungspolitik - wenn sie keine einzige dieser Fragen mehr beantworten können, ohne dass die Ausländer Schuld sind, dann ist das schon für mich ein Ausweis davon, dass Rechtsradikalität im Spiel ist - im Übrigen auch Parteiübergreifend. Das Zweite, das darf man auch nicht vergessen: Also selbst bei den CSU-Anhängern war die Frage nach Migration, Einwanderung und illegaler Migration nur 17 Prozent der Menschen wichtig. Jedem fünften bayerischen Wähler war das Thema Migration wichtig. 80 Prozent haben gesagt das ist nicht unser wichtigstes Thema. Unser wichtigstes Thema ist die Frage, wie wir wirtschaftlich vorankommen. Ich glaube, da sind auch die Medien in einer gewissen Verantwortung, auch mal vielleicht eine andere Platte aufzulegen, über die Kernthemen zu berichten, die den Menschen auf der Seele brennen. Und da, glaube ich, sind wir Medienleute auch gefragt, das transparent und komplex darzustellen.

Das wäre die Anschlussfrage: Muss man diese 15 bis 20 Prozent Rechtsaußen hinnehmen? Oder gibt es Strategien, die man jetzt echt nutzen muss, um das noch mal umzubiegen?

Die Auseinandersetzung mit den rechtsradikalen oder rechtsextremen Entwicklungen in Deutschland ist eine gesamtgesellschaftliche und gesamtpolitische Aufgabe. Das Allerwichtigste ist, dass das Menschen das Vertrauen darin haben, dass die Politik in der Lage ist, Probleme zu lösen. Das Politik in der Lage ist, ihre wirtschaftlichen Probleme zu lösen, ihre existenziellen Probleme zu lösen. Und das heißt mit guter, guter Politik gewinnt man Wahlen. Und mit einer fairen Auseinandersetzung und einer respektvollen Zusammenarbeit gewinnt man das Vertrauen der Menschen und schwächt die AfD. In Schleswig-Holstein beispielsweise, wo Daniel Günther oder Nordrhein-Westfalen, wo Hendrik Wüst als moderate CDU-Politiker regieren, haben sie große Erfolge erzielt die gesamte Bevölkerung hinter sich zu vereinen, das Vertrauen in die Politik zu stärken und die rechtsradikalen oder rechtsextremen Kräfte, dazu gehört auch die AfD, zu schwächen. Und überall dort, wo die Leute das Gefühl haben, hey, hier geht es um was, hier wird ernsthaft, seriös und in einer Erwachsenen-Art-und-Weise Politik gemacht, hier geht es nicht um den schnellen Punktgewinn, da kann man ganz schön viel gewinnen. Und das würde ich auch manchem Spitzenpolitiker - auch auf Bundesebene -zurufen wollen, anzuzeigen: Hey, immer nur die Titelzeile zu produzieren, das mag für den kurzfristigen Lustgewinn förderlich sein, das ist aber relativ schlecht für unsere Demokratie.

Also quasi ein Tipp für die CSU in Bayern, auch mal nach Schleswig-Holstein zu schauen?

Es lohnt sich ja immer dort Ideen zu klauen, wo man das Gefühl hat, die machen es besonders gut. Oder die machen das auf eine sehr erfolgreiche Art und Weise. Und bei CSU und CDU befindet man sich ja immer noch in derselben Parteienfamilie. Und das ist ja der große Vorteil, den die Union hat, sich dort der Erfolgskonzepte zu bedienen, wo die Parteifreunde einen guten Job machen. Und ich würde sagen auf jeden Fall: Die CDU in Schleswig-Holstein hat es geschafft, die AfD kleinzuhalten. In NRW schafft man das fantastisch mit den Grünen zusammenzuarbeiten, in vielen anderen Ländern im Übrigen auch. Und ich würde der CSU etwas wünschen, was ich als Nordrhein-Westfale immer bewundert habe: eine gewisse bayerische Gelassenheit und die Konzentration auf das Wesentliche und nicht vergessen, dass das Ganze auch den Leuten Lust und Spaß bereiten muss.

"Kampf und Sehnsucht in der Mitte der Gesellschaft" von Stephan Anpalagan, erschienen bei S. FISCHER, September 2023, 320 Seiten, 24 Euro