Bayern 2 - Zündfunk

Max Czollek über Friedrich Merz "Ein weiterer Stein, der aus dieser Mauer gegen die neue völkische Position in Deutschland genommen worden ist"

Die Brandmauer gegen die AfD könnte auf kommunaler Ebene durchlässiger werden. So zumindest könnte man die letzte Aussage von Friedrich Merz im ZDF Sommerinterview deuten. Dafür hat er viel Widerstand bekommen, auch aus den eigenen Reihen. Für den Publizisten und Lyriker Max Czollek wirkt diese Aussage kalkuliert, trotzdem oder gerade deswegen machen sie ihm aber auch große Sorgen.

Von: Oliver Buschek

Stand: 24.07.2023

CDU-Chef Merz | Bild: Bayerischer Rundfunk 2023

Wie sollen wir als Gesellschaft mit einer immer stärker werdenden AfD umgehen? Friedrich Merz hat dafür scheinbar einen Weg gefunden. Im ZDF Sommerinterview sagt er, dass „wenn […] ein Landrat, ein Bürgermeister gewählt wird, der der AfD angehört, ist es selbstverständlich, dass man nach Wegen sucht, wie man dann in dieser Stadt weiter arbeiten kann“. Für viele bedeutet das, dass die für die CDU so oft beschworene „Brandmauer gegen die AfD“ zumindest auf kommunaler Ebene fallen könnte. Selbst wenn Merz noch am selben Tag zurückrudert.

Max Czollek ist Lyriker und Publizist, der bei Fragen über den Umgang mit der AfD immer wieder seine Stimme erhebt. Unter anderem auch, um den Kampf seines Großvaters Walter Czollek, einem jüdischen Kommunisten und Widerstandskämpfer gegen die Nationalsozialisten, weiterzuführen. Wir haben mit ihm über die Aussage von Friedrich Merz gesprochen.  

Zündfunk: Wie sind die jüngsten Äußerungen von Friedrich Merz bei Ihnen angekommen? 

Max Czollek: Die hat auf mich gewirkt wie ein weiterer Schritt oder vielleicht ein weiterer Stein, der aus dieser Mauer gegen die neue völkische Position in Deutschland genommen worden ist. 

Dieses Bröckeln der Steine haben viele sofort kritisiert. So viele, dass er gleich darauf wieder verlauten lassen hat, dass weiterhin eine Abgrenzung zu der AfD gilt. Hat er das dann nur falsch formuliert, oder wie wirkt das auf Sie? 

Nein, ich glaube nicht an einen Zufall, zumal Merz ja erst vor ein paar Tagen gesagt hat, die CDU ist eine "Alternative für Deutschland mit Substanz". Ich glaube, da ist eine systematische Arbeit am Werk, vielleicht ein bisschen wie mit Kemmerich und der FDP in Thüringen. Man probiert ein bisschen aus, wie weit man gehen kann. Und jetzt stellt sich heraus, das war ein kleiner Schritt zu weit. Ich finde das eine sehr besorgniserregende Entwicklung. Ich finde die Erklärungen dafür, die jetzt angeboten werden, hochgradig unglaubwürdig. Schon allein diese vermeintlich natürliche Idee, dass man auf kommunaler Ebene mit der AfD zusammenarbeiten müsste. So als könnte man Schaukeln oder Spielplätze oder Kindergärten nicht auch mit den Stimmen anderer demokratischer Parteien durchsetzen, selbst wenn die nicht an der Regierung sind. 

Aber wenn der AfD einen sinnvollen Vorschlag macht, zum Beispiel eine verkehrsberuhigte Zone vor der Schule, dann kann man schlecht ablehnen, nur weil die AfD diesen Vorschlag gemacht hat, oder? 

Ich bin mir nicht sicher. Das ist doch eine Sache, die auch auf Bundesebene die ganze Zeit gemacht wird. Die AfD bringt den Vorschlag ein, eine andere Partei bringt einen ganz ähnlichen Vorschlag ein und dem stimmt man dann zu. Da gibt es einfach auch symbolische Handlungen, die wichtig sind. Also Abgrenzungsverhandlungen, bei der man sagt, mit so einer Partei arbeiten wir nicht zusammen. 

Glauben Sie, dass Friedrich Merz trotz des gewaltigen Widerstands - von Kai Wegner in Berlin bis Markus Söder in Bayern - etwas zur Überwindung der Brandmauer vorbereiten will? 

Max Czollek, Lyriker und Publizist aus Berlin

Ein Kollege von mir, Nils Kumkar, hat auf den sozialen Netzwerken gesagt: “Na ja, also Friedrich Merz kann ja erwarten, dass er dafür Haue bekommt. Entweder er will diese Haue haben oder hat die Regionalverbände nicht mehr unter Kontrolle.” Die Frage ist ja schon, warum macht Merz das jetzt innerhalb von anderthalb Wochen mehrfach? Erleben wir gerade eine Art Good-Cop-Bad-Cop-Spiel? Also Merz prescht vor, andere pfeifen Ihn zurück? Hat er Angst vor irgendwas oder will er diesen Konflikt und diese Machtprobe haben? Ich bin alles andere als klar darin, was dabei eigentlich rauskommen wird - und ich mache mir große Sorgen. 

Sorgen machen muss man sich nicht nur mit Blick auf die CDU, sondern insgesamt als demokratische Gesellschaft. Wenn man sich die momentanen Umfragen anschaut, hatte die AfD zuletzt in einer INSA-Umfrage 22 Prozent. Das sind nur noch 4 Prozentpunkte weniger als die Union. Sind die Umfragen inzwischen in einer Höhe, wo man noch mal anders mit dieser Partei umgehen muss als bisher? 

Ich würde gerne nicht auf die Frage antworten, wie man jetzt als eine Partei darauf reagiert, sondern eher, wie man als Gesellschaft darauf reagieren sollte. Ich sehe mit großer Besorgnis, dass die entscheidenden Fragen angesichts einer AfD, die zwischen einem Fünftel und einem Viertel der Wähler*innen-Stimmen bei Umfragen steht, gar nicht gestellt werden. All diese Dinge, die wir in den letzten Jahrzehnten als Legitimierungs- und Normalisierungs-Argumentation erlebt haben, stehen jetzt in Frage. Und weil man diese Frage ums Verrecken nicht stellen will, fragt man lieber, ob der Bus vielleicht nicht oft genug kommt oder, wie Merz, ob wir vielleicht zu viel gegendert haben. Das ist im klarsten Sinne Gaslighting, also die Ablenkung von der Frage, die jetzt eigentlich auf dem Tisch liegt. 

Und was wäre die Wichtigste dieser richtigen Fragen? 

Dass man anfängt, darüber nachzudenken, was eine plurale Demokratie in der Gegenwart an Schutz, aber auch an Konzepten braucht, die auf Höhe mit der Zeit sind. Auf Höhe mit der radikalen Vielfalt dieser Gesellschaft, die sowohl migrantisch ist, die aber auch eine Sicherheitsbehörde braucht, die in der Lage sind, alle ihre Mitglieder gleichermaßen zu schützen. Ich glaube, der Staat muss selber in eine Art Glaubwürdigkeitsvorleistung gehen. Eine Vorleistung, wo unterschiedliche Teile der Gesellschaft, die heute das Gefühl haben, dass sie gar nicht dazugehören, das Gefühl bekommen, sie sind mitgemeint, wenn es heißt, wir müssen die plurale Demokratie gegen die Völkischen, gegen die neuen Nationalisten verteidigen. 

Wenn Sie von den Teilen der Gesellschaft sprechen, die sich nicht als völlig dazugehörig fühlen: kennen Sie Menschen, die konkret Angst haben angesichts dieser Umfragewerte? 

Oh ja, das ist in meinem Umfeld eine absolut gängige Frage. Schon seit 2017, also seit der Wahl der AfD in den Bundestag. Die Frage, wohin würden wir gehen, wohin werden wir gehen? Das ist eine Frage, die von Michel Friedmann gerade wieder, aus einer jüdischen Perspektive, aufgeworfen ist. Das gilt für postmigrantische Kreise, für diasporisch schwarze Afrodeutsche, Sinti*zze und Rom*nja. Alles Menschen, die schon in den 90er Jahren, den vermeintlich glücklichen Jahren der sogenannten Wiedervereinigung, eine Zeit der Pogrome und der Gewalt erlebt haben. Und das ist nicht zufällig genau die Zeit, in der die Idee der Normalisierung und des “Wiedergutwerdens" Deutschlands fällt. Da muss man sagen, hat man diesen Menschen nie besonders zugehört. Vielleicht ist jetzt endlich der Zeitpunkt, wo eine deutsch-deutsche Gesellschaft zu sich selber kommt. Wo sie versteht, dass die Gefahren, die in den 90er Jahren nur für manche Menschen deutlich und tödlich waren, heute für breitere Teile der Gesellschaft real werden. Deswegen ist es so wichtig, diesen Menschen zuzuhören und Ihnen Raum zu geben in dieser Gesellschaft.