Bayern 2 - Zündfunk

Angehörige von Entführten der Hamas “Die Hölle ist über meinen Kibbuz hereingebrochen und wirklich keiner hat das kommen sehen.”

Beim Überfall der Hamas auf Israel gab es neben den zahlreichen Todesopfern auch viele Entführungen. Ilans Eltern wurden dabei aus einem Kibbuz direkt an der Grenze verschleppt. Julia Fritzsche hat mit ihr über die Entführung, das Leben im Kibbuz und was sie sich am meisten wünscht, gesprochen.

Von: Julia Fritzsche

Stand: 27.10.2023

Steckbriefe einiger jüdischer Opfer, die am 07. Oktober 2023 von der islamistischen Terrororganisation Hamas entführt worden sind. | Bild: picture alliance / Eibner-Pressefoto | Weber/ Eibner-Pressefoto

Über 220 Personen soll die Hamas bei ihrem Überfall auf Israel entführt haben. Eine Zahl, die das israelische Militär erst kürzlich erneut nach oben korrigiert hat. Zwei davon sind die Eltern von Ilan. Sie ist in einem Kibbuz an der Grenze zu Gaza aufgewachsen und eben dort lebten Ilans Eltern, bis sie von der Hamas verschleppt worden sind. Julia Fritzsche hat mit ihr telefoniert.  

Zündfunk: Wie geht es dir gerade? 

Ilan: Wir haben Momente der Hoffnung, aber auch Momente der Verzweiflung, aber aktuell bleiben wir optimistisch, dass wir meine Eltern irgendwann wiedersehen werden.  

Was genau ist deiner Familie am 7. Oktober passiert? 

Um 7 Uhr morgens sind wir von der Nachricht geweckt geworden, dass meine Eltern im Keller ihres Hauses eingesperrt sind und dass Menschen aus ihrem Kibbuz ihnen gesagt haben, dass sie im Haus bleiben und sich still verhalten sollen. Ein paar Stunden konnten wir sie dann noch erreichen und sie haben gesagt, dass alles okay ist. Aber dann haben wir mehrere Stunden nichts gehört. Wir wussten zu dem Zeitpunkt noch nicht, dass es sich um einen Terroranschlag handelt und dass die Hamas Menschen tötet und Häuser niederbrennt. Wir haben nur warten können und am nächsten Tag haben wir dann von einer Person aus dem Kibbuz erfahren, dass die Hamas meine Eltern mitgenommen haben. Das war das letzte Mal, dass sie jemand gesehen hat. 

Weißt du denn mittlerweile, wie es deinen Eltern aktuell geht? 

Wir wissen jetzt offiziell von der Regierung und der Armee, dass meine Eltern Geiseln der Hamas sind. Aber mehr wissen wir noch nicht. Seitdem sind drei Wochen vergangen mit einfach nur hoffen, hoffen, hoffen. Dass wir sie sehen können und dass sie gesund und in einer guten Verfassung wieder zurückkommen. 

Wie war dein Leben im Kibbuz vor dem Anschlag? Als ich vor wenigen Jahren in einem Kibbuz in der Nähe war, hatte ich den Eindruck, dass die Menschen dort sehr offen, sehr liberal bis links sind, weil die ursprüngliche Idee der Kibbuzim eine sozialistische Idee von Landwirtschaftskooperativen war. 

Ich würde sagen, das Kibbuz war die meiste Zeit ein Ort, der sehr friedlich ist und wo die Menschen viel Gutes zusammen erlebt haben. Die Menschen dort betreiben Landwirtschaft, kümmern sich um die israelische Kultur und glauben wirklich an einen Frieden zwischen allen Menschen weltweit. Ich will nicht für jeden sprechen, aber ich bin dort mit Blick auf die Gebäude in Gaza aufgewachsen und ich konnte mir niemals vorstellen, dass so etwas mal passieren würde. Selbst in Zeiten, in denen das Verhältnis zwischen Israel und Gaza sehr schlecht war und die Raketen kamen. Und jetzt ist die Hölle über meinen Kibbuz hereingebrochen und wirklich keiner hat das kommen sehen.  

Wie war deine Sicht auf die Menschen in Gaza und hat sich die in den letzten Wochen nun geändert? 

Ich glaube, es gibt gute Menschen und weniger gute Menschen in jedem Staat, in jedem Land und jeder Stadt auf dieser Welt.  

Wenn du deine Eltern hoffentlich irgendwann wieder im Kibbuz besuchst, worauf wirst du dich am meisten freuen? 

Einfach wieder durch die Straßen dort zu gehen, die ich liebe. Den wunderschönen Sonnenuntergang von der Terrasse meiner Eltern wieder anzuschauen, Erdbeeren zu pflücken und ein ganz normales Leben zu führen.

Auf die Frage, ob sie eine Bodenoffensive für sinnvoll hält, um ihre Eltern sicher zurückzubringen, hat Ilan geantwortet, sie sei keine Diplomatin, fordere nur die Regierungen der Welt auf, sich für die Freilassung der Geiseln einzusetzen.