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"All Of Us Strangers" Dieses queere Liebesdrama ist nichts für sensible Herzen

Eine ungewöhnliche Zeitreise, queere Liebe und starkes Schauspiel von Paul Mescal und Andrew Scott. "All of Us Strangers" des britischen Regisseurs Andrew Haigh bringt all das auf die Leinwand. Doch die Umsetzung gestaltet sich dabei überraschend düster.

Von: Sarah Sliwa

Stand: 13.02.2024

Die Schauspieler Andrew Scott und Paul Mescal im Film "All of Us Strangers". | Bild: picture-alliance/dpa

Ganz viel Himmel, Wolken, warmes Licht – das zeigt die erste Szene des Films „All of Us Strangers“. Ganz viel Himmel und ganz wenig Skyline von London. London, das ist wo Adam lebt, in einem Hochhausapartment, allein. Mitte Vierzig ist er und wird gespielt von Andrew Scott. Adam wirkt schüchtern, zurückgezogen und irgendwie bedrückt. Das passt erstmal gar nicht so richtig zu den satten Farben, zu den starken Rot- und Blau-Tönen auf der Kinoleinwand. Doch dann erfahren wir: Adams Eltern sind gestorben, da war er noch nicht mal zwölf.

„All of Us Strangers“: Surreale Reise in die Vergangenheit

Heute ist Adam Drehbuchautor und will über seine Eltern schreiben. Dafür besucht er seinen alten Heimatort, streift dort durch den Park – und hier wird es surreal: Er begegnet ihnen wieder, seinen Eltern. Hier beginnt eine Geistergeschichte. Der erwachsene Adam trifft seine Eltern wieder – und er lernt sie neu kennen. Und zugegeben, ja, erst wirkt das alles gewöhnungsbedürftig: Adam als Erwachsener in Kinderpyjamas. Oder Claire Foy, als Adams Mutter, die den erwachsenen Mann bittet, seine nassen Klamotten auszuziehen.

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All of Us Strangers | Official Trailer | Searchlight Pictures | Bild: SearchlightPictures (via YouTube)

All of Us Strangers | Official Trailer | Searchlight Pictures

Anfangs ist das komisch, ziemlich irritierend. Aber durch die krasse Schauspielleistung kann man sich fallen lassen, fühlt sich beinahe selbst wieder als Kind. Die mütterliche Liebe, die Claire Foy spielt, ist so echt, gefühlvoll und zart, man fühlt sich als Publikum wie umarmt. Adam holt sein Coming Out nach, lässt seine Eltern einblicken in sein Inneres. Und die: Sind neugierig, leben aber eben in den Achtziger Jahren und verarbeiten nur langsam, was ihr Sohn ihnen da erzählt. Dabei zuzusehen ist amüsant – trotz der schweren Thematik muss man viel Schmunzeln und lachen. Adam öffnet sich seinen Eltern in der Geisterwelt, was er in der realen Welt nicht konnte, weil sie es nicht mehr erlebt haben. In der realen Welt erleben wir mit, wie er Harry kennenlernt, gespielt von Paul Mescal.

Unerwartet düstere Romanze

Harry ist jünger als Adam, weniger verkrampft, geht scheinbar entspannter um mit seiner Sexualität. Vor allem ist Harry aber: liebevoll. Er flirtet gern, hat ein krasses Gespür für die Traurigkeit, die Adam immer wieder umhüllt. Zwischen den beiden entwickelt sich mehr – ganz langsam, in einem Tempo, das man von Kino gar nicht mehr gewohnt ist. Ganz sanft und vorsichtig wird Harry Teil von Adams Leben. Wir sehen eine queere Romanze – und die stellt der selbst schwule Filmemacher Andrew Haigh nicht verkitscht oder stelzig dar, sondern: So berührend zärtlich, dass einem beim Zusehen ein klein bisschen die Luft wegbleibt. Aber die Geisterwelt packt Adam immer mehr. Seinen Eltern wieder so nah zu sein, das bringt Erinnerungen, lässt seine Verlustangst neu aufleben.

Immer mehr wird einem beim Zuschauen bewusst: Das hier ist kein lockerer Film, der „einfach“ eine ergreifende Liebesgeschichte zeigt. Sondern: Das ist ein Film, der ganz düstere Seiten und Wunden sichtbar macht. Das kann Angst machen. Bei vielen Stellen muss man die Stirn runzeln, will vielleicht sogar weggucken – weil sie nicht so richtig erklärbar sind. Der Film vermittelt, wie wertvoll Zeit mit unseren Lieben ist. Wie zerbrechlich das Leben ist und dass wir irgendwann Abschied nehmen müssen. Und er lässt sein Publikum schockiert und beklemmt zurück, weil er zeigt, wie tief die Päckchen sitzen können, die wir mit uns rumtragen – das ist nichts für sensible Herzen. Und nichts für Menschen, die sich auf eine süße Romanze eingestellt haben. „All of Us Strangers“ klingt nach, bleibt im Kopf. Das, was die Kinoleinwand zeigt, ist mitreißend, emotional, schmerzhaft. Und auch am Ende zeigt der Film wieder: Ganz viel Himmel, der ganz viel Raum für Interpretation lässt.

„All of Us Strangers" (2023). Regie: Andrew Haigh. Ab dem 8.02.2024 in den deutschen Kinos.