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Anwalt der Macht Das Thema

Opportunismus, Verstellung, Wort- und Treuebruch - das sind keine Eigenschaften, die einen Menschen besonders auszeichnen, sie nutzen aber der Herrschaftssicherung, schrieb Niccolò Machiavelli 1513 in seinem Buch "Il principe". Und weil mit dem Macht- der Selbsterhalt verknüpft ist, muss er das vordringliche Ziel jedes Fürsten sein. So klar und im Grunde ehrlich die Analyse klingt, so revolutionär war sie für die Menschen der Renaissance.

Stand: 17.02.2014 | Archiv

Stadtpanorama Florenz mit Dom | Bild: picture-alliance/dpa

Denn sie stellte nicht nur den Fortschrittsglauben und das positive Menschenbild der Epoche in Frage, sie entledigte sich auch Teilen des christlichen Wertekatalogs. Machiavelli - der Antichrist? Manchen Zeitgenossen muss es so vorgekommen sein. Dabei erscheint im Rückblick gerade dies als besonderer Verdienst Machiavellis: dass er politisches Denken wieder säkularisiert. Die Antike ist Vorbild, der Mensch bildet den Ausgangspunkt der politischen Ordnung, nicht Gott. Wie aber ist Niccolò Machiavelli zu seinen Überzeugungen gelangt? Welche Begegnungen und Erfahrungen haben seinen Lebenslauf bestimmt?

Biographie mit Brüchen

Cesare Borgia: charismatischer Machtmensch und Idol Machiavellis

Eine politische Karriere war Machiavelli nicht unbedingt in die Wiege gelegt. Zwar genoss seine Familie Ansehen, doch galt sie nicht als wohlhabend. Dennoch bekam der junge Machiavelli eine gute humanistische Ausbildung, die ihn für den Staatsdienst qualifizierte. Im Juni 1498 wird er als Sekretär der "Zweiten Kanzlei" und kurze Zeit später auch des "Rates der Zehn" gewählt und steht mit knapp 30 Jahren im Zentrum der Macht in Florenz. Zu seinen Aufgaben gehört die Organisation des militärisch ausgetragenen Konflikts gegen Pisa und die Versorgung des Söldnerheers.

Daneben beginnt Machiavellis diplomatische Laufbahn: Seine erste Mission führt ihn zu der raffinierten Catarina Sforza, die ihm Lektionen im diplomatischen Taktieren erteilt. Eine andere wichtige Begegnung ist die mit Cesare Borgia. Der charismatische Sohn von Papst Alexander VI. regierte kurzfristig über Nord- und Mittelitalien und galt selbst als Papstanwärter, bevor er sich dem noch skrupelloseren Julius II. beugen musste. Eine Enttäuschung für Machiavelli, der dem bewunderten Cesare Borgia dennoch zehn Jahre später in seinem Werk "Il principe" ein Denkmal setzt.

In Borgia sieht Machiavelli die zwei Fundamentalkräfte der Geschichte wirken: virtù und fortuna, Tatendrang und Machtwille und demgegenüber Schicksal und Zufall. Einen ganz anderen Herrschertypus stellt Maximilian I. dar, den Machiavelli in Tirol aufsucht: launisch, leutselig, ehrlich. Auch vom Kaiser entwirft er eine Charakterstudie und liefert in dem "Bericht über Deutschland" ein präzises Porträt deutscher Mentalität. Nur ein Jahr später, 1509, erlebt Machiavelli mit der Unterwerfung Pisas unter die von ihm selbst aufgestellte Florentiner Bürgermiliz seinen größten politischen Erfolg.

Die Medici kommen - Machiavelli muss gehen

Papst Leo X., ein Medici-Spross

Währenddessen steuert Florenz auf eine innenpolitische Krise zu. Die Medici gewinnen 1512 die Macht über die Republik zurück, und die neu zusammengesetzte Stadtregierung entlässt ihren Spitzenbeamten Machiavelli. Alle Versuche, wieder in ein Amt zu kommen, bleiben erfolglos, die 15 Jahre, die er auf das "Studium der Staatskunst" verwendet hat, zählen ebenso wenig wie der Umstand, dass er "auf fremde Kosten reich an Erfahrung" geworden ist. Als mit Leo X. ein Medici-Kardinal zum Papst gewählt wird, ist die Herrschaft der Familie wiederhergestellt, und auf Machiavelli fällt der Verdacht, an einer Verschwörung beteiligt gewesen zu sein. Nach kurzer Haft und Folter wird er auf freien Fuß gesetzt und auf ein ärmliches Landgut vor den Toren von Florenz abgeschoben. Die folgenden Jahre verbringt der Verbannte vor allem mit Kartenspielen und Schreiben – es entstehen "Il principe" und die "Discorsi", die erst posthum als Bücher erscheinen, und einige historische Abhandlungen. Im Jahr 1526 kann Machiavelli nochmals ein politisches Amt bekleiden, bevor er mit dem Vorwurf, ein Medici-Gefolgsmann zu sein, erneut politisch geächtet wird. Am 22. Juni 1527 stirbt der 58-jährige Machiavelli vermutlich an einer Bauchfellentzündung.

Die Ideenwelt

Die Erkenntnisse Machiavellis sind die Ergebnisse genauer Beobachtungen. Dabei scheinen manche für den Hausgebrauch formuliert, etwa: "Treue ist eine Tugend für eine Welt voll guter Menschen. Da sie aber schlecht sind und dir die Treue nicht halten würden, brauchst du sie ihnen auch nicht zu halten." Andere weisen weit über die private Nutzbarkeit hinaus. Sie richten sich an die Regierenden und geben ihnen Anweisungen an die Hand, eine Art Handlungs-Register. Wortbruch und Opportunismus zählen dazu, Täuschung und Verrat – wenn es die Situation erfordert.

Auch Strafen sind erlaubt

Zudem rät Machiavelli dem Fürsten zur Strafe, um seine Macht zu erhalten, sozusagen aus pragmatischen Gründen und nur in Maßen: "Gleichwohl darf ein Fürst nur so viel Furcht verbreiten, dass er, wenn er dadurch schon keine Liebe gewinnt, doch keinen Hass auf sich zieht; denn er kann sehr wohl gefürchtet werden, ohne verhasst zu sein; dies wird ihm stets gelingen, wenn er das Eigentum seiner Bürger und Untertanen sowie ihre Frauen respektiert. Und wäre er auch gezwungen, einen hinrichten zu lassen, so tue er dies, wenn dafür eine entsprechende Rechtfertigung und ein offensichtlicher Grund bestehen." Das klingt aus heutiger Sicht zynisch, dürfte aber in den weniger zimperlichen Zeiten der Frühen Neuzeit als vertretbar empfunden worden sein.

Ein weiterer wichtiger Ratschlag

Bußprediger Savonarola - der "Prophet ohne Waffen"

Machiavellis setzt auf Waffengewalt: Ohne sie lässt sich keine Herrschaft sichern, das hat schon das Beispiel des Bußpredigers Savonarola gezeigt, der als "Prophet ohne Waffen" ausschließlich "moralisch" gehandelt hatte. Das aber ist für Machiavelli keine Anforderung an die Politik. Nicht Kategorien wie gut oder böse stehen im Mittelpunkt, sondern taugliche und untaugliche Mittel im stetig wiederkehrenden Ablauf der Geschichte. Es geht dem Begründer der Politikwissenschaft darum, das Typische, das Muster bestimmter Situationen zu erkennen und Regeln zu formulieren, die den Umgang mit ihnen erleichtern. Dabei sah Machiavelli in Italiens Staatskrisen die Chance zum Neubeginn. Das Ziel, die Stabilisierung der Machtverhältnisse in Italien zu erreichen, sollte dem Gemeinwesen und jedem einzelnen Bürger dienen – die Wege, auf denen ein Herrscher dorthin gelangt, sind diesem Ziel jedoch untergeordnet; der Zweck heiligt die Mittel.

Vordenker moderner Demokratien

Die Wirkung, die Machiavellis Schriften erzielt haben und bis heute erzielen, ist enorm – dabei war sein Anspruch, nur das zu notieren, was ist, und nicht eine Utopie zu beschreiben. Während seine Schriften in Deutschland auf Ablehnung stießen und dort nur das Vorurteil vom hinterhältigen Südländer bedienten, fanden Machiavellis Ideen in England und den USA mehr Anerkennung. Der Bürger muss Rechtssicherheit haben, sein Eigentum soll unangetastet bleiben, Aufgabe eines Herrschers muss sein, die Tüchtigen zu fördern und ihnen ruhiges Wirtschaften zu ermöglichen. Jean Jacques Rousseau, der wie Machiavelli im republikanischen Rom das "Musterbild aller Völker" sah, hat diese wenig bekannte Seite so umschrieben: "Unter dem Vorwand, den Königen Lehren zu geben, hat er in Wirklichkeit die Völker gelehrt. 'Der Fürst' von Machiavelli ist in Wahrheit das Buch der Republikaner." Bezieht man die Rezeptionsgeschichte in die Beurteilung der Person Machiavelli mit ein, scheint der Politiker und Schriftsteller ein Opfer des klassischen Autorenkonflikts zu sein: Er wird als Überbringer der schlechten Nachrichten für ihre Inhalte verantwortlich gemacht. Seine Analyse des skrupellosen Menschen fällt auf ihn selbst zurück.


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