Bayern 2 - radioWissen


0

Anfang vom Ende der Demokratie Glossar

Stand: 17.03.2014 | Archiv

PersonenWerdegang
Hoffmann, Johannes
(1867-193O)
Der Lehrer und engagierte Sozialdemokrat zieht 1912 erstmals als Abgeordneter in den Reichstag ein und bleibt bis in die Weimarer Zeit Mitglied des Parlaments. Nach der Novemberrevolution holt ihn Ministerpräsident Kurt Eisner als Kultusminister in die bayerische Regierung. Eine der ersten Maßnahmen Hoffmanns ist im Januar 1919 die Abschaffung der geistlichen Schulaufsicht (Kontrolle der Volksschulen durch die Bischöfe, vertreten von den jeweiligen Ortspfarrern). Nach der Ermordung Eisners im Februar übernimmt Hoffmann das Amt des Ministerpräsidenten und setzt sich während der Räterepublik nach Bamberg ab. Während des Kapp-Lüttwitz-Putsches im März 1920 nötigen der Regierungspräsident von Oberbayern, Gustav von Kahr, der Münchner Polizeipräsidenten Ernst Pöhner und Reichwehroffiziere um den General von Möhl den Ministerpräsidenten Hoffmann zum Rücktritt. Kahr tritt an seine Stelle und beginnt mit der Errichtung der "Ordnungszelle" Bayern.
Kahr, Gustav von
(1862-1934)
Kahr, ein Karrierebeamter im bayerischen Verwaltungsapparat, steigt 1917 zum Regierungspräsidenten von Oberbayern auf. Er ist Monarchist, Antisemit und glühender Verfechter der Eigenstaatlichkeit Bayerns. Während des Kapp-Lüttwitz-Putsches im März 1920 wird er Nachfolger des zum Rücktritt gedrängten Ministerpräsidenten Hoffmann. Als bayerischer Regierungschef (bis September 1921) fühlt er sich eher als Statthalter des bayerischen Kronprinzen Rupprecht. Mit obrigkeitsstaatlichen Maßnahmen errichtet er die "Ordnungszelle" Bayern und macht München zum Sammelbecken für republikfeindliche Kräfte. Kahrs Zusammenarbeit mit der Reichsregierung in Berlin grenzt zuweilen an offene Sabotage, etwa als er sich weigert, gesuchte Rechtsterroristen wie den Freikorpsführer Hermann Ehrhardt (1881-1971) an das Reich auszuliefern. Nach der Verhängung des Ausnahmezustands in Bayern wird Kahr im September 1923 zum Generalstaatskommissar und Inhaber der Exekutivgewalt ernannt. Hitler sieht während seines Umsturzversuchs am 8./9. November Kahr als Verbündeten, doch dieser lässt den Putsch von Reichswehr und Polizei niederschlagen. Von 1924 bis 1927 ist Kahr Präsident des bayerischen Verwaltungsgerichtshofes. Während der Säuberungen im Zuge des so genannten "Röhm-Putsches" kommt für die NS-Führung im Juni 1934 die Stunde der Rache. SS-Männer entführen und ermorden Kahr. Seine durch Spitzhacken verstümmelte Leiche wird im Dachauer Moor gefunden.
Lossow, Otto von
(1868-1938)
Der Infanterieoffizier arbeitet während der Kaiserzeit als Armeeberater und Militärattaché in der Türkei. Nach dem Ersten Weltkrieg wird er in die Reichswehr übernommen, erhält verschiedene Kommandos in Bayern und wird 1921 Befehlshaber des Wehrkreises VII. Lossow kooperiert eng mit Gustav von Kahr und gilt als Sympathisant der NSDAP. Während im Reich und in Bayern im Herbst 1923 der Ausnahmezustand verhängt ist, befiehlt der Chef der Heeresleitung, General Hans von Seeckt, seinem Untergebenen Lossow Hitlers Parteiorgan, den "Völkischen Beobachter", zu verbieten. Kahr fordert Lossow zur Befehlsverweigerung auf - schließlich sei der Naziführer "einer der besten deutschen Patrioten". Als Lossow am 20. Oktober seines Kommandos enthoben wird, erklärt Kahr, der General bleibe auf seinem Posten. Die Reichswehreinheiten in Bayern werden auf die bayerische Regierung vereidigt. Am 9. November hilft Lossow Hitlers Bürgerbräuputsch niederzuschlagen. Anfang 1924 lässt sich Generalleutnant Otto von Lossow in den Ruhestand versetzen.
Ludendorff, Erich
(1865-1937)
Ludendorff, der Sohn eines Kaufmanns und Gutsbesitzers, tritt ins kaiserliche Heer ein und wird zum Generalstabsoffizier ausgebildet. 1908 leitet er die Aufmarschabteilung im Großen Generalstab, die unter anderem Pläne zu einem Angriff auf Belgien ausarbeitet. 1914 erlangt Ludendorff durch die handstreichartige Einnahme Lüttichs Ruhm und wird zum Chef des Generalstabs der 8. Armee ernannt. An den Siegen über die russische Armee bei Tannenberg und in Masuren hat Ludendorff entscheidenden Anteil. Als Erster Generalquartiermeister und engster Mitarbeiter des Feldmarschalls Paul von Hindenburg ist General Ludendorff im Zeitraum 1916 bis 1918 faktisch Leiter der deutschen Kriegsführung, bis er Ende Oktober 1918 auf Drängen des Reichskanzlers Prinz Max von Baden entlassen wird. Nach kurzem Aufenthalt in Schweden, den er nutzt, um seine Kriegserinnerungen zu schreiben, lässt er sich 1919 in München nieder und engagiert sich in der völkischen Bewegung. 1923 beteiligt er sich am Putschversuch Hitlers und sitzt von 1924 bis 1928 für die NSDAP im Reichstag. Unter dem Einfluss seiner zweiten Frau Mathilde von Kemnitz (1877-1966) gründet Ludendorff 1926 den "Tannenbergbund" und gibt Schriften heraus, die sich gegen "überstaatliche Mächte" (Juden, Freimaurer, Marxisten, Jesuiten) richten. Ende der 1920er Jahre überwirft er sich mit Hitler, 1933 warnt er den Reichspräsidenten vor dem Chef der NSDAP. Er prophezeit, dass Hitler das deutsche Volk in eine nie dagewesene Katastrophe führen werde. Am 20. Dezember 1937 stirbt er in Tutzing und erhält ein Staatsbegräbnis.
Seißer, Hans von
(1874-1973)
Als Absolvent einer Kadettenschule tritt Seißer in die bayerische Armee ein, wird Offizier und erhält während des Ersten Weltkriegs hohe Auszeichnungen. 1920 wechselt er zur Landespolizei über. Am 8. November 1923 wird er zusammen mit Kahr und Lossow von Hitler im Münchner Bürgerbräukeller "gekidnapped". Hitler bietet ihm den Posten des Polizeiministers in seiner provisorischen Regierung an. Kaum hat Oberst von Seißer seine Handlungsfreiheit wieder erlangt, gibt er mit Kahr und Lossow eine amtliche Mitteilung heraus: "Lehnen Hitler-Putsch ab. Mit Waffengewalt erpresste Stellungnahme in Bürgerbräuversammlung ungültig. Vorsicht gegen Missbrauch obiger Namen geboten!" Seißer lässt die Münchner Innenstadt von seinen Polizisten abriegeln. Vor der Feldherrnhalle endet Hitlers Umsturzversuch. Seißer, seit 1930 im Ruhestand, überlebt trotz KZ-Haft in Dachau das "Dritte Reich".
BegriffErklärung
KampfbundDer Kampfbund ist ein Zusammenschluss der völkischen Gruppierungen Bund Oberland, Reichsflagge und NSDAP. Im September 1923 beansprucht Adolf Hitler die Führung des Kampfbundes für sich.
Kapp-Lüttwitz-PutschIm März 1920 kommt es in Berlin zum rechtsradikalen Kapp-Lüttwitz-Putsch. Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp (1858-1922) und General Walther von Lüttwitz (1859-1942), denen eine Wiederherstellung der politischen Ordnung vor 1914 vorschwebt, lassen durch Bewaffnete das Regierungsviertel besetzen. Reichskanzler Gustav Bauer (SPD) flieht nach Stuttgart. Die Reichswehr unter General von Seeckt weigert sich einzuschreiten und lässt die Regierung im Stich (Seeckt: "Truppe schießt nicht auf Truppe"). Als SPD und Gewerkschaften einen Generalstreik ausrufen, bricht der Putsch zusammen. Die Münchner Vatiante des Kapp-Lüttwitz-Putsches ist, wie die Absetzung des Ministerpräsidenten Hoffmann zeigt, dagegen erfolgreich. Als Antwort auf den Kapp-Putsch kommt es in Sachsen, Thüringen und im Rheinland zu linksradikalen Aufständen. Nun lässt sich die Reichswehrführung nicht zweimal bitten und schickt unverzüglich Truppen. Kapp setzt sich nach Schweden ab, stellt sich aber bald den deutschen Behörden und stirbt 1922 in Untersuchungshaft. Lüttwitz flieht ebenfalls, 1925 wird er amnestiert.
RäterepublikAktivisten der äußersten Linken wie Kommunisten und Spartakisten schwebt während der Unruhen in Deutschland 1918/19 vor, die gesetzgebende und vollziehende Gewalt nach russischem Vorbild (Sowjets) von jederzeit abrufbaren Arbeiter- und Soldatenräten ausüben zu lassen. Der Aspekt der Gewaltenteilung wird dabei bewusst ignoriert. In einigen Städten werden Anfang 1919 Räterepubliken ausgerufen, sie scheitern jedoch rasch. In München können sich die Revolutionäre im April/Mai 1919 einige Wochen halten. Im Chaos, das nach der Ermordung des Ministerpräsidenten Kurt Eisner (21. Februar 1919) in der bayerischen Hauptstadt herrscht, entsteht eine Räterepublik, in der abwechselnd Anarchisten, radikale Unabhängige Sozialdemokraten und Kommunisten den Ton angeben. Militärische Freiwilligenverbände, darunter das Freikorps des aus München stammenden ehemaligen Kolonialoffiziers Franz Xaver Ritter von Epp (1868-1946), schlagen die Räterepublik blutig nieder.
RuhrkampfDer Versailler Vertrag (1919/20) beendet formal den Ersten Weltkrieg zwischen Deutschland und den Ententestaaten. Deutschland verpflichtet sich zu beträchtlichen Wiedergutmachungsleistungen. Als das wirtschaftlich gebeutelte Reich in den frühen 1920er Jahren seinen Reparationsverpflichtungen nicht mehr nachkommen kann, drohen die Alliierten mit Sanktionen. Im Januar 1923 besetzen französische und belgische Truppen das Ruhrgebiet. Die Reichsregierung unter dem parteilosen, wirtschaftsnahen Kanzler Wilhelm Cuno ruft, unterstützt von den Gewerkschaften, zum passiven Widerstand und zum Generalstreik auf. Nationalistisch-rechtsradikale Gruppen fordern dagegen einen aktiven Widerstand mit militärischen Mitteln. Die Franzosen reagieren mit Verhaftungen, Beschlagnahmungen und Ausweisungen. Mehrere Menschen kommen bei den Auseinandersetzungen mit der Besatzungsmacht ums Leben. Nach Bombenanschlägen wird der Freikorpskämpfers Leo Schlageter (1894-1923) von einem französischen Militärgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet. Die Nationalsozialisten stilisieren ihn später zum Helden. Frankreich bleibt in der Ruhrfrage hart und für Deutschland entwickelt sich der Generalstreik zum Bumerang. Die Politik wird zunehmend handlungsunfähig, die Reichsfinanzen schwinden dahin. Eine neue Regierung unter Reichskanzler Gustav Stresemann (Deutsche Volkspartei) beendet deshalb am 26. September 1923 den Widerstand und versucht sich mit Frankreich zu arrangieren.
NovemberrevolutionKriegsmüdigkeit bei Soldaten und in der Zivilbevölkerung sowie die Aussicht einer militärischen Niederlage erschüttern im Oktober/November 1918 das politische System des Kaiserreichs. Soziale und politische Unruhen brechen aus, es kommt zu Befehlsverweigerungen, in Kiel und Wilhelmshaven meutern die Matrosen, Arbeiter- und Soldatenräte entstehen. Der Militär- und Polizeiapparat hat der Aufstandsbewegung kaum etwas entgegenzusetzen. Es folgen der Staatsumsturz und die Gründung der Republik. Weil die gewünschten Reformen in Armee, Polizei und in Industriebetrieben ausbleiben, radikalisieren sich 1919 zahlreiche Revolutionäre und bekämpfen die neue Reichsregierung. Diese sichert ihre Autorität mit Hilfe von Einheiten der alten Armee und militärischen Freiwilligenverbänden (Freikorps) - also gewaltbereiten Personen, die die Kriegsniederlage und das Ende der Monarchie nicht akzeptieren wollen.

0