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Der Ausgangspunkt des Denkens Das Thema

Stand: 26.11.2008 | Archiv

Fichte feiert 2012 seinen 250. Geburtstag. Diese Medaille wurde anlässlich seines 200. Geburtstages herausgegeben. | Bild: picture-alliance/dpa

Am Anfang der Philosophie steht das sich selbst setzende Subjekt, eine Tathandlung, mit der das Ich sein eigenes Sein setzt. Indem das Ich sich selbst denkt, erzeugt es Vernunft: "Das Ich setzt sich selbst, und es ist, vermöge dieses bloßen Setzens durch sich selbst; und umgekehrt: Das Ich ist, und es setzt sein Sein, vermöge seines bloßen Seins. - Es ist zugleich das Handelnde, und das Produkt der Handlung; das Tätige, und das, was durch die Tätigkeit hervorgebracht wird; Handlung, und Tat sind Eins und dasselbe; und daher ist das Ich bin, Ausdruck einer Tathandlung." Dieser zunächst etwas verwirrend wirkende und bei näherem Hinsehen ungeheuerliche Gedankengang stammt von Johann Gottlieb Fichte, einem der bedeutendsten Denker des Deutschen Idealismus.

Die ersten Jahre

In ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen ermöglichte ein Gönner dem 1762 geborenen eine Schulbildung in Schulpforta, einem bis heute angesehenen Gymnasium und Internat, und das Studium in Jena und Leipzig. Nach dem Tode dieses Gönners blieb allerdings weitere Unterstützung aus, sodass er mehr schlecht als recht als Hauslehrer versuchte, seinen Unterhalt zu verdienen. Nachdem er unter anderem zwei Jahre in Zürich verbracht hatte, kehrte er nach Jena zurück. Hier wandte er sich durch einen Zufall angeregt dem Studium der Kantschen Philosophie zu. Das war der entscheidende geistige Wendepunkt in seinem Leben. Trotz erheblichster finanzieller Not, so bekannte er noch nach Jahren, sei er zu dieser Zeit der glücklichste Mensch auf der Erde gewesen. Er musste Kant treffen.

Versuch der Kritik aller Offenbarung

Nachdem dieser ihn aber zunächst abweisend behandelte, schrieb Fichte innerhalb von 30 Tagen seinen "Versuch der Kritik aller Offenbarung", um das Interesse des großen Philosophen zu erregen. Tatsächlich war Kant davon so angetan, dass er die Veröffentlichung der Schrift ermöglichte. Aus Vorsicht vor den Zensurbehörden erschien die Schrift anonym und wurde vom Publikum zunächst als Werk Kants identifiziert:

"Jeder, der nur die kleinsten derjenigen Schriften gelesen, durch welche der Philosoph von Königsberg sich unsterbliche Verdienste um die Menschheit erworben hat, wird sogleich den erhabenen Verfasser jenes Werkes erkennen."

Allgemeine Literatur-Zeitung, Jena

Kant korrigierte diese Zuschreibung unmittelbar und verwies auf den wahren Verfasser. Über Nacht war Fichte berühmt geworden. Bald übernahm er einen Lehrstuhl an der Universität von Jena.

Der preußische Beamte

Hier geriet er jedoch in solch starke Konflikte, besonders wegen seiner Schrift "Über den Grund unseres Glaubens an eine göttliche Weltregierung", die ihm den Vorwurf des Atheismus eintrug, dass er Stadt und Universität verlassen musste. In Berlin fand er aber eine neue Wirkungsstätte. Nachdem er nach der preußischen Niederlage gegen das napoleonische Frankreich von 1806 mit dem preußischen König nach Königsberg und Kopenhagen ins Exil gegangen war, kehrte er 1807 ins französisch besetzte Berlin zurück. Mit seinen berühmten "Reden an die deutsche Nation" rief er im nächsten Winter das deutsche Volk zu sittlicher Erneuerung auf. Hatte er die Französische Revolution zunächst vehement verteidigt, so erschien ihm nun Napoleon als Inbegriff des Bösen. In seinen Reden rief er zum Widerstand gegen ihn auf. Den Befreiungskrieg unterstützte er. Seine im Lazarett als Krankenpflegerin tätige Frau infizierte sich mit Typhus, sie selbst überstand die Erkrankung, steckte aber ihren Mann an, der infolge dieser Erkrankung 1814 verstarb.

Das absolute Ich

Fichte war kein Philosoph, der sich allein mit spekulativer Durchdringung der Welt begnügte, er war besonders auch ein Mann der Tat. Seinen Ausgangspunkt nimmt sein Denken in der Kantschen Überlegung, dass das Wesen des Menschen in der Freiheit liege. Ebenso wie bei Kant ist bei ihm das Wesen der Freiheit die sittliche Entscheidung. Auch sein Gedankengang, dass wir uns unsere Wirklichkeit selbst konstruieren, ähnelt dem Denken Kants stark. An diesem Punkt aber setzt er sich auch von seinem Lehrmeister entscheidend ab. Geht Kant von einem "Ding an sich" aus, also durchaus von einer Welt, die außerhalb von uns eigenständig existiert, wenngleich wir sie nur in unserer Wahrnehmung ergreifen können, so erscheint dies für Fichte mit der menschlichen Freiheit unvereinbar. Für ihn kann es Freiheit nur dann geben, wenn alles, was mit dem Ich geschieht, dessen eigene Tat ist. Das Ich bildet sich seine Welt selbst und zwar schon bevor es sich dessen bewusst ist. Er nennt dieses vorbewusste Ich das "absolute Ich", es hat schon vor allem Bewusstsein davon Freiheit.

Ich und Nicht-Ich

Dabei leugnet er das Vorhandensein einer Außenwelt keineswegs, wie manche Interpreten nahe zu legen scheinen. Er zieht allerdings die radikale Konsequenz aus dem Gedanken, dass wir die Außenwelt nur in unserer Wahrnehmung haben. So legt er dar, dass wir, wenn wir uns als Ich erkennen, uns ein Nicht-Ich erscheint. D. h. immer wenn wir uns als Ich wahrnehmen, so erkennen wir auch etwas, was nicht unser Ich ist. Die Frage jedoch ist, ob uns dieses Nicht-Ich von außen zukommt oder ob es vom Ich konstruiert wird. Fichte leugnet nicht, dass es Anstöße von außen gibt. Allerdings, für das Ich existiert das Nicht-Ich nur in der eigenen Wahrnehmung, mithin nur als Aspekt des eigenen Ichs. Der Philosoph Rüdiger Safranski erklärt, wie das zu denken sei, so:

"Jede Wirklichkeit, die auf uns wirkt, ist eingebettet in Möglichkeiten. Empfindungen am eigenen Leib - die uns nächste Außenwelt - drängen sich auf, aber selbst ihnen gegenüber haben wir Spielraum: Wir können mit ihnen umgehen. Je subtiler die Wahrnehmungen werden bis hinauf zum Denken und Phantasieren, desto inniger sind sie verknüpft mit einem ganzen 'Hof' von Möglichkeiten. Was wirklich ist, können wir dann nur herausfinden, indem wir unter den vielen Möglichkeiten, die sich dabei denken lassen, die 'passende' herausfinden. Es gibt nicht einfach das 'Notwendige'; man muss es vielmehr aus den Möglichkeiten herausfinden. Es ist die Freiheit, welche das Notwendige entdeckt. 'Wirklich' nennt Fichte jene Vorstellungen, die vom Gefühl der Notwendigkeit begleitet sind. Dieses Gefühl drängt sich auf, aber nicht alternativlos. Es könnte immer noch anders sein. Freiheit als Möglichkeitssinn bleibt im Spiel, auch bei den sogenannten harten Tatsachen. Auch im Erkennen, nicht nur im Handeln, ist der Mensch ein Wesen, das immer auch anders kann; nicht nur anders handeln, sondern auch die Dinge anders sehen. Der Mensch lebt in Möglichkeiten. Wirklichkeit konstruiert sich in einem Horizont von Möglichkeiten. Das ist Freiheit."

Rüdiger Safranski

In Summa kann gesagt werden, dass für Fichte nur das Geistige im eigentlichen Sinne existiert. Die Wirklichkeit ist die Tathandlung des Ichs, das sich im Handeln und Erkennen seine Welt erschafft. Ein Gedanke, der bis zu den modernen Theorien des Konstruktivismus zurecht immer wieder reflektiert wird.

Einsamkeit des Ichs

Allerdings muss auch bedacht werden: Wenn das Ich so absolut gedacht wird, existiert für dieses Einzel-Ich nichts, dass nicht als Nicht-Ich schon wieder Teil des Einzel-Ichs ist. Andere Menschen, Gott, die Welt an sich und letztlich auch das eigene Ich können Einbildung sein. Fichte hat später dieses Problem selbst gesehen, wenn er sagt:

"Ich weiß überall von keinem Sinn und auch nicht von meinem eigenen. Es ist kein Sinn. - Ich selbst weiß überhaupt nicht und bin nicht. Bilder sind: Sie sind das Einzige, was da ist, und sie wissen von sich nach Weise der Bilder; - Bilder, die vorüberschweben; ohne dass etwas sei, dem sie vorüberschweben; die durch Bilder von den Bildern zusammenhängen, Bilder ohne etwas in ihnen Abgebildetes, ohne Bedeutung und Zweck. Ich selbst bin eins dieser Bilder; ja, ich bin selbst dies nicht, sondern nur ein verworrenes Bild von den Bildern. - Alle Realität verwandelt sich in einen wunderbaren Traum, ohne ein Leben, von welchem geträumt wird, und ohne einen Geist, dem da träumt; in einen Traum, der in einem Traume von sich selbst zusammenhänge."

Johann Gottlieb Fichte

Determinierte Freiheit

Aus diesem Gedankengang folgt eine weiterführende Überlegung: Wenn sich die Freiheit nicht selbst vernichten soll, dann kann sie nicht nur absolut sein, sondern zugleich endlich. Das Ich muss andere Wesen außerhalb seiner selbst voraussetzen. Deshalb ist das Ich sowohl absolut als auch endlich. Aus dem Gedanken der Freiheit muss man schließen, dass es auch andere freie Wesen gibt. Freiheit wird also durch andere freie Wesen, durch Menschen mit denen man in einer Gemeinschaft freier Wesen lebt, beschränkt. Das Ich erfährt aber auch noch von dem Ursprung der Freiheit her eine Begrenzung. Der Ursprung der Freiheit liegt im Gewissen, deshalb ist Freiheit durch tiefere Notwendigkeit bestimmt, da wir von unserer Freiheit keinen beliebigen Gebrauch machen können. Der späte Fichte gibt damit im Grunde den Gedanken der Absolutheit der Freiheit auf: Die Endlichkeit des Ichs denkt er nun mit. Er macht nun die Entdeckung, dass eine solche endliche Freiheit sich nicht selbst hervorgebracht haben könne. Das wahrhaft Absolute sei die Gottheit. Er ersetzt also das absolute Ich durch die absolute Gottheit: "Gott allein ist, und außer ihm ist nichts." Der Mensch selbst sei nichts aus sich selbst, sondern nur als "Dasein und Offenbarung Gottes".


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