Bayern 2 - radioTexte


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Lesung am Feiertag Senecas Luxus-Bashing: "Epistulae morales"

Wie viel Luxus braucht der Mensch? Diese rhetorische Frage ist überhaupt nicht neu: Bereits im ersten Jahrhundert nach Christus kritisierte Seneca das Schwelgen im Konsum, die Gier nach ausgefallenen Gütern. Mit überraschender Vehemenz wirft sich der Stoiker und Dichterphilosoph in den verbalen Ring gegen Prunk, Glanz und Überfluss und schreibt in seinen „Epistulae morales ad Lucilium“ für ein nachhaltiges, der „Natur gemäßes“ Leben. Lesung mit Heiko Ruprecht

Von: Kirsten Böttcher

Stand: 27.04.2020 | Archiv

Büste des römischen Philosophen | Bild: picture-alliance/dpa

"Will man glücklich werden, dann mehre man nicht den Besitz, sondern mindere die Wünsche."

(Seneca) 

Wer könnte besser über die Fragen nach Glück und Erfüllung philosophieren als er, der mit den Höhen und Tiefen des menschlichen Daseins bestens vertraut war? Seneca sowie seine Philosophie sind bis heute an Nero gekettet, an die Taten und vor allem Untaten des Kaisers. Sechs Jahre lang war Seneca Neros Erzieher, acht Jahre diente er als dessen Prätor, Konsul, Berater. Im Jahre 62 dann gab der über 60-Jährige seine Macht ab. In den drei folgenden Jahren, die Seneca noch bis zu seinem „Philosophentod“ bleiben sollten, schrieb er viel, unter anderem die insgesamt 124 brieflichen Lebensratschläge an seinen Freund Lucilius: „Epistulae morales ad Lucilium“.

"Der Körper hat nur bescheidene Wünsche: Kälte soll ferngehalten, mit Nahrung sollen Hunger und Durst vertrieben werden, was man darüber hinaus begehrt, das dient dem Luxus, nicht den Bedürfnissen. Es ist keineswegs nötig, sämtliche Tiefen der Erde zu durchforschen, noch mit einem Hinschlachten von Tieren den Magen zu belasten, noch Muscheln des entlegensten Meeres von unbekannten Küsten heranzuschaffen. … Sie speien, um zu essen, sie essen, um zu speien!… Ist das nicht Wahnnsinn und totale Geistesverwirrung: So wenig kann man nur zu sich nehmen, aber so viel begehrt man!"

(Seneca)

Ein Feldzug gegen Geiz, Gefräßigkeit, Genusssucht

Seneca wettert in seinen Briefen sehr explizit gegen das süße Leben in der römischen Metropole, das nichts mehr mit unserer natürlichen Veranlagung zu tun habe und erst recht nichts mehr mit Vernunft. Anschaulich und gar nicht fern von unserem heutigen Leben wirken die Beispiele, die er wählt: Müssen alle Seeufer mit Luxusvillen zugebaut werden? Muss man Delikatessen vom anderen Ende der Welt auf unsere Tische zerren? Und auf einer viel politischeren Ebene: Müssen wir andere Völker zu den Waffen, ins Elend, zwingen, aus reiner Habgier oder zur Selbstbestätigung?

Auch wer etwas über die römische Gesellschaft erfahren möchte, kommt bei der Lektüre der Briefe auf seine Kosten. Seneca wusste natürlich um die Marotten der römischen High Society und war um Worte nicht verlegen, um deren Alltag - und moralisches Versagen -  pointiert darzustellen.  

"Das ist eine der Ursachen unserer Nöte, dass wir uns nach dem Beispiel der anderen und nicht nach der Vernunft richten, sondern uns von dem, was die Allgemeinheit tut, verleiten lassen. Wenn es nur wenige täten, würden wir es nicht nachmachen. So nimmt uns den Platz des Richtigen der Irrtum ein, sobald er zum Massenwahn geworden ist."

(Seneca)

Von seinem Stil und Geist ließen sich diverse Intellektuelle inspirieren, angefangen bei Dante über Roger Bacon bis Diderot oder Montaigne. Nietzsche allerdings urteilte in der „Fröhlichen Wissenschaft“ Senecas Schriften als „unausstehlich weises Larifari“ ab.

Seneca in aller Kürze

Lucius Annaeus Seneca, auch Seneca der Jüngere genannt, zwischen 4 v. Chr. und 1 n. Chr. Cordova/Cordoba geboren, verstarb im April 65 n. Chr. bei Rom. Er war unter den Kaisern Caligula und Claudius als Anwalt, Quästor und Senator tätig. Im Jahre 41 ins Exil nach Korsika geschickt, wurde er lange acht Jahre später zur Erziehung Neros nach Rom zurückberufen.

Mosaik mit der Darstellung von Theatermasken. Aus der Hadriansvilla (erbaut 126-– 134 n. Chr. für Kaiser Hadrian) in Tivoli.

Als Dichter beschäftigt sich Seneca in „Medea", „Oedipus" und sieben weiteren Tragödien mit Stoffen aus dem griechischen Sagenkreis. Mit „Apocolocyntosis" (Die Verkürbissung des Kaisers Claudius) gelingt ihm ein bissiges und scharfzüngiges Pamphlet gegen Claudius, der ihn ins korsische Exil geschickt hatte. Als Philosoph vertritt er in seinen Briefen "Epistulae morales ad Lucilius" (Briefe an Lucilius über Ethik) sowie in seinen Abhandlungen, beispielsweise "De vita beata" (Vom glücklichen Leben) oder "De tranquillitate animi" (Von der Ausgeglichenheit der Seele) die Lehre der Stoa, die Leben und Tod mit Genügsamkeit, Weisheit und Gleichmütigkeit entgegentritt.

In diesem Geist erscheint auch Senecas Ableben, wie es der Historiker Tacitus in seinen Annalen beschreibt: Seneca wird von Nero, der dem Lehrer zusehends entglitten war, der Teilnahme an der Pisonischen Verschwörung beschuldigt und zum Selbstmord gedrängt – einem Befehl, dem der Philosoph laut Tacitus stoisch Folge leistete.

Seneca: Wie viel Luxus braucht der Mensch? 

Lesung mit Heiko Ruprecht am 1. Mai in den radioTexten am Dienstag um 14.30h auf Bayern2

Das gleichnamige Buch ist im Reclam Verlag erschienen, übersetzt und herausgegeben von der renommierten Altphilologin Marion Giebel. 

Moderation und Redaktion: Antonio Pellegrino

Unsere Lesungen können Sie nachhören: auf dieser Seite im Stream, als Download im Podcast-Center des Bayerischen Rundfunks und überall, wo es Podcasts gibt.


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