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Zum 70. Geburtstag Dr. John alias Mac Rebenack

Er war eines der großen Originale und zugleich einer der großen Pioniere, die aus dem New Orleans der 60er und 70er Jahre hervor gegangen sind, um die Popwelt ihrer Zeit in Verwirrung und in Bewunderung zu versetzen. "A Walk on the Weird Side" nannte die britische Zeitschrift The Wire einst einen Artikel über ihn und versprach damit keineswegs zu viel. Am 21. November 2010 wurde Malcolm John Rebennack, der unter dem Pseudonym Dr. John bekannt wurde, 70 Jahre alt.

Von: Michael Miesbach

Stand: 19.11.2010 | Archiv

Mac Rebenack | Bild: picture-alliance/dpa

1968 war das Jahr, in dem Dr. John die internationale Bühne betrat. Bis dahin hatte es Mac Rebennack unter seinem bürgerlichen Namen zur lokalen Größe im Musikgeschehen seiner Heimatstadt New Orleans gebracht, als frühreifes Talent in Sachen R&B und Rock'n'Roll.

Die Geschichte des späteren Dr. John begann klassisch mit Herumhängen im Studio um die Ecke und Kennenlernen lokaler Größen wie Fats Domino, Professor Longhair oder Huey Piano Smith. Der junge Rebennack erwies sich als Frühstarter: Mit 15 jobbte er bereits als Talent- Scout, Produzent & Songwriter und auch Session Gitarrist beim erfolgreichen ortsansässigen Indie-Label Ace Records. 1959 spielte er den Titelsong zu einer Sci-Fi & Horror-TV-Show namens "Morgus the Magnificent" ein, möglicherweise sogar seine erste Veröffentlichung überhaupt. Von späteren musikalischen Eskapaden war damals noch kaum etwas zu ahnen. 

Neun Jahre sollte es von da an noch dauern, bis im Jahr 1968 das erste eigene Album fertig war, und bis dahin hatte der junge Mac Rebennack noch einiges zu erleben. 1965, gerade 24-jährig, hatte er bereits seinen ersten Heroin-Entzug hinter sich. Verschuldet und auf der Flucht vor der Polizei landete er in Los Angeles. Dort wurde er unter der Obhut eines alten Bekannten aus New Orleans, dem smarten Produzenten Harold Battiste, schnell zum gefragten Studiomusiker und festen Mitglied der Band von Sonny & Cher, die Battiste produzierte. Rebennacks Haupt-instrument war damals noch die Gitarre, obwohl er nach einer Schießerei mit dauerhaft verletztem Finger gehandikappt war und später vor allem am Klavier saß.

1967 gelang es Harold Battiste, Rebenack zusammen mit einem bunten Haufen musizierender Freunde aus New Orleans ins gerade leerstehende Studio von Sonny & Cher zu schmuggeln. Eher beiläufig und ohne ernsthafte Hoffnung auf Veröffentlichung entstand auf diesem Wege das erste Album Mac Rebennacks, das die Musikwelt mit einer komplett neuartigen Mixtur konfrontierte. "Gris Gris" hieß dieses spektakuläre Debut, das unter dem Namen von Rebennacks Alter Ego Dr. John erschien.

Der Name und die Rolle, in die Rebennack von nun an schlüpfte, geht zurück auf eine lokale Legende, einen "root doctor" und Voodoo-Priester aus dem New Orleans Mitte des 19. Jahrhunderts, und auch die traditionelle Mardi Gras-Kostümierung war fortan Teil dieser Kunstfigur. Das ganze Konzept, von Harold Battiste nicht ohne Kalkül mit angeschoben, schien perfekt in die psychedelische Hochphase des Jahres 1968 zu passen.

Dr. John selbst allerdings bestreitet jegliche Spekulation.

"Wir mixten einfach nur die Jazz-Experimente von Ornette Coleman oder Sun Ra mit R&B und New Orleans Roots Music und waren ansonsten komplett abgeschnitten von allem, was in der Rockmusik gerade passierte."

So zu lesen in Mac Rebennacks Autobiographie 'Under a Hoodoo Moon' aus dem Jahr 1994

Egal, ob zufälliger Nebeneffekt oder cleveres Kalkül: Psychedelia und Voodoo vertrugen sich gut, und die gewagte Musik der Dr. John Frühphase traf auf ein Publikum, das für Experimente solcher Art ein offenes Ohr hatte. Noch im Jahr des Debüts, 1968, erschien das zweite Album "Babylon", erneut produziert von Harold Battiste, und erneut sehr frei im Spannungsfeld zwischen Jazz-Improvisation und New Orleans-R&B unterwegs. "How can we market this boogaloo crap", soll Atlantic-Chef Ahmet Ertegun damals gepoltert haben. Trotzdem gelang es Harold Battiste, diese ungewöhnliche Musik bei Atlantic unterzubringen.

Währenddessen begann Dr. John ganz allmählich, sich der R&B- Tradition von New Orleans wieder stärker anzunähern. Das allerdings nach wie vor auf sehr eigenwillige Art. "Remedies" hieß die großartige dritte LP von Dr. John aus dem Jahr 1970, gefolgt vom nicht minder beeindruckenden Album "The Sun, Moon & Herbs" in 1971, das dem Vernehmen nach nur durch tatkräftige Unterstützung der beiden Dr. John-Fans Mick Jagger und Eric Clapton überhaupt zustande kam.

Seine experimentelle Phase hatte Dr. John mit diesen insgesamt vier absolut einzigartigen Alben zwischen 1968 und 71 erstmal abgeschlossen. 1972 überraschte er mit einem beinahe komplett traditionellen New Orleans R&B Album, das als Tribut an lokale Pioniere und zugleich Dr. John-Vorbilder wie Earl King, Professor Longhair und vor allem Huey Piano Smith gedacht war. Letzteren covert er gleich drei mal auf diesem Übergangs-Album namens "Gumbo".

Was dann folgte, ist die vielleicht bekannteste, sicher aber kommerziell erfolgreichste Phase des Dr. John, die Zusammenarbeit mit der Produzenten-Legende Allen Toussaint und den nicht minder legendären Meters als Backing Band, beide, wie Dr. John auch, stilbildende Kräfte im Musikgeschehen von New Orleans. Zwei LPs erschienen in dieser Besetzung, die das anarchische Element früherer Dr. John-Produktionen mit der vertrackten Funk-Präzision der Meters zusammenbrachte. Das erste und besserverkaufende dieser beiden Alben hieß "In the Right Place", Jahrgang 1973, das die Hits "Right Place, wrong Time" und "Such a Night" enthielt.

Dr. John war zu dieser Zeit längst zur etablierten Größe im internationalen Musikgeschäft geworden, nahm sogar 1973 eine der damals gefragten "Supersession"-LPs auf, gemeinsam mit Michael Bloomfield und John Hammond. Seit Anfang der 70er Jahre bereits war sein Name in den Credits unzähliger Alben zu finden, von Künstlern wie etwa Stephen Stills, The Band, Ringo Star, Harry Nilsson, Doug Sahm oder den Rolling Stones der "Exile on Main St"-Phase. Zumeist buchte man Dr. John als New Orleans-geschulten Keyboarder. Einen seiner schönsten Auftritte in dieser Rolle hatte er z. B. auf dem Album "Midnight on the Water" von David Bromberg im Jahr 1975, auf dem er den Song "Don't Put That Thing on Me" am Piano auf unvergleichliche Art veredelte.

Kurz davor, noch 1974, war auch sein eigenes Album "Desitively Bonnaroo" erschienen, die zweite seiner beiden denkwürdigen Funk-LPs mit Allen Toussaint und den Meters. Für Dr. John-Fans bedeutete dieses Album rückblickend so etwas wie das Ende einer Ära: Zumindest war es sein letztes richtig herausragendes Album für lange Jahre. Was man von Dr. John seitdem und im Grunde bis heute erwarten darf, ist eher solides Handwerk und natürlich immer seinen unverkennbaren Stil als Keyboarder und Sänger, weniger allerdings musikalische Wagnisse. Lichtblicke gab es dennoch immer wieder. z.B. 1983 eine LP namens "The Brightest Smile in Town", die Dr. John durchgehend solo am Piano und am Mikrophon dokumentierte.

Zu dieser Zeit war Dr. John bereits nach New York umgezogen, wohnte mitten in Manhattan und kam sogar in Kontakt mit der dortigen jungen HipHop-Szene, die Jahre später auch ihn als ergiebige Sample-Quelle entdecken sollte. 1984 kam es unter dem Titel "Jetset" zu einer Kollaboration mit dem Grandmaster Flash-Mitstreiter Duke Bootee, die seinerzeit auf gemischtes Echo traf, aus heutiger Sicht aber als rundum gelungen gelten darf. Einer der letzten gewagteren Momente in seiner Diskographie.


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