Bayern 2 - Nachtmix


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Der mit dem Wolf heult Howlin' Wolf

Er hat mit Muddy Waters und Bo Diddley gespielt und gilt als eine der Säulen des Chicago Blues. Am 10. Juni wäre der Bluessänger, Gitarrist und Mundharmonikaspieler Howlin' Wolf 100 Jahre alt geworden.

Von: Carl-Ludwig Reichert

Stand: 14.06.2010 | Archiv

Howlin' Wolf aka Chester Arthur Burnett und Hubert Sumlin | Bild: Brian Smith

Juni 1910. Amerika trauerte um den großen Humoristen Mark Twain. In Reno, Nevada, trainierte der schwarze Box-Champion Jack Johnson für seine Titelverteidigung. In Washington debattierte man über ein Gesetz, das ihm zukünftig verbieten sollte, seine weiße Freundin über eine Staatsgrenze zu bringen. Am Himmel drohte der Halleysche Komet und jagte den Apokalyptikern wohlige Schauer über den Rücken. In den Südstaaten herrschten Richter Lynch und Jim Crow und die Schwarzen lebten ein halbes Jahrhundert nach dem Bürgerkrieg immer noch unter elenden Verhältnissen. Hier, in White Station, einem Flecken nahe West Point, der hauptsächlich durch einen Bahnhof ausgezeichnet war, heulte am 11. Juni 1910 der kleine Chester Arthur Burnett seine ersten Töne.

Sein Vater war Leon Dock Burnett und seine junge Mutter Gertrude war noch keine 16. Die beiden hatten 1909 in Aberdeen geheiratet. Gertrudes Vater war aller Wahrscheinlichkeit nach ein Choctaw-Indianer aus einer nahegelegenen Reservation. Seinen Spitznamen "Wolf" erhielt der kleine Chester von seiner Großmutter, die ihn mit Märchen und Stories mächtig erschreckte. Warum ihn seine Mutter noch als Kind wegschickte, ist auch den genauesten Howlin' Wolf-Biographen unklar geblieben. Möglicherweise, weil sie mit einem anderen Mann zusammen lebte. Dem eines Wintertags jäh vor die Tür gesetzen Buben blieb kein anderer Ausweg, als bei seinem Großonkel Will Young unterzukommen.

Reflektierter Blues-Moralist

Allerdings war Chester vom Regen in die Traufe gekommen, denn Young erwies sich als jähzorniger und schlagfroher Familientyrann, der zudem die Arbeitskraft des für sein Alter riesig gewachsenen Jungen rücksichtslos ausbeutete. Chester Burnetts Jugend bestand darin, dass er keine hatte. Anstatt in die Schule zu gehen, musste er auf den Baumwollfeldern schuften. Mit 13 passierte ihm dann das Missgeschick, dass er ein wertvolles Haustier aus Versehen tötete. Aus Angst vor den Konsequenzen lief er davon und suchte seinen richtigen Vater, den er nach einiger Zeit auch fand, unweit der berühmten Dockery-Plantage, auf der auch der ebenfalls berühmte Blues-Sänger Charley Patton lebte.

Chester Burnett brauchte sich nicht sonderlich anzustrengen, um den Blues zu haben. Ihm fehlte nur noch die Gitarre. Sein Vater kaufte ihm eine. Man schrieb den 15. Januar 1928. Bald war er so gut, dass er mit Patton zusammen spielen durfte. Er lernte auch Blind Lemon Jefferson, den ersten Blues-Star der Zeit, kennen.
Jetzt fehlte nur noch ein Künstler-Name. Denn er trat damals ganz schlicht als John Dee Burnett auf. 

Die Fachgelehrten streiten sich bis heute, ob er seinen Namen selbst erfunden hat oder doch von einem gewissen J. T. Funny Papa Smith und dessen berühmtem Signatur-Stück "Howlin' Wolf Blues"
entlehnte. Immerhin war diese Aufnahme von 1930 so erfolgreich, dass Funny Paper, wie er aufgrund eines Missverständnisses auf seinen Platten buchstabiert wurde, noch drei weitere Fortsetzungen aufnahm. Das hatte vor ihm wohl nur Jim Jackson mit seinem Kansas
City Blues geschafft.

Ein Urereignis auf der Bühne

Es gibt außerdem noch eine sehr gut erhaltene Aufnahme von 1931, The Hungry Wolf, die beweist, dass auch Funny Papa Smith das Wolfs-Image fleißig pflegte. Trotzdem ist er heutzutage nur noch
Spezialisten und Kennern ein Begriff.

Ganz anders unser Jubilar. Er beschritt konsequent und stilsicher den Weg zum Weltruhm. Hilfreich war dem riesigen Schlaks mit Schuhgrösse 14 - das entspricht unserer Größe 48 - ein Kunstfehler von Mutter Natur, der sich auf seine ungewöhnlich rauhe Stimme auswirkte, die sich immer so anhört, als habe er eine Dauer-Erkältung.

Die erste Station seines Erfolgs war West-Memphis, die sündige Schwester der eher biederen Stadt Memphis in Tennessee, wo um 13 Uhr die Bürgersteige hochgeklappt wurden, insbesondere für schwarze Mitbürger. West-Memphis, gegenüber am anderen Flußufer gelegen, lebte vom Glückspiel- und Bordell-Betrieb. Und dieser wiederum begünstigte Musiker, die dort arbeiten konnten.
Seine ersten Platten-Aufnahmen machte Howlin' Wolf dann aber doch in Memphis, beim Elvis-Entdecker Sam Phillips. Beide Seiten waren sofort Hits. Und was immer man Phillips nachsagen kann, er hatte einen gewaltig guten Riecher für Ausnahme-Talente und litt selbst wohl am meisten darunter, dass er sie finanziell und organisatorisch auf Dauer nicht halten konnte, weder Elvis, noch Johnny Cash, noch Jerry Lee Lewis, Carl Perkins oder eben auch Wolf, den er musikalisch mit am höchsten von allen einschätzte.

Der Weg von Elvis, Johnny Cash und Jerry Lee Lewis 

Wolf war bald in jeder Hinsicht so weit, sich mit den Großen im Geschäft zu messen. Er wußte im Gegensatz zu vielen seiner Musiker-Kollegen einigermaßen über die Marktmechanismen Bescheid. Er war ein verantwortungsbewusster Bandleader, der auf Bühnen-Disziplin Wert legte, der aber auch seine Musiker ordentlich bezahlte und sogar sozialversicherte, was damals absolut außergewöhnlich war. Es gibt eine gute Szene in dem ansonsten nicht soo genialen Streifen Cadillac Records, die wohl den Tatsachen entspricht: Während Naivlinge wie Muddy Waters oder Little Walter von den Chess-Brüdern mit Sachleistungen wie Autos und Wohnungen abgefunden wurden, kam der stolze Wolf mit 4000 Dollar Eigenkapital in einem klapprigen Stations-Wagon nach Chicago und ließ sich nicht über den Tisch ziehen.

Hits hatte er trotzdem mehr als genug. Und live war er ein Urereignis. Es gibt einen Konzertmitschnitt von 1970 auf DVD, der das nachdrücklich dokumentiert. Auch eine filmische Dokumentation von Don McGlynn ist sehr empfehlenswert ist. Im Umfeld der Newport-Folk Festivals entstand eine Momentaufnahme, die zu den aufschlussreichsten Bluesfilmen überhaupt gehört -
Devil Got My Woman. Hier zeigt sich Wolf in der Auseinandersetzung mit einem sturzbesoffenen Son House als reflektierter Blues-Moralist.

Schon seit den Fünfzigerjahren strahlte Wolfs Ruhm weit über Chicago oder das Delta hinaus. Es war nur logisch, dass er im Verlauf des Blues-Revivals auch nach Europa kam, wo er mit seinen jüngeren Verehrern wie Eric Clapton, Steve Winwood und Charlie Watts die legendären London-Sessions aufnahm.

Es war die Hippie-Zeit und auch der Blues ging nach Hendrix neue Wege. Für die Altmeister wie Muddy Waters, mit dem ihn eine konkurrierende Freundschaft verband und Wolf wurde es musikalisch wie geschäftlich schwieriger. Bei Chess Records versuchte der junge Marshall Chess neue Wege zu gehen. Wolf scheint das Ergebnis nicht besonders gefallen zu haben. Doch abgesehen von ein paar furchtbaren Querflöten-Passagen hört sich das heute sehr gesuchte Album zumindest interessant an. Das von seinen Biographen James Segrest und Mark Hoffmann hoch gewertete letzte Album "The Backdoor Wolf" wird für meine Ohren durch ein ebenso genrefremdes Harpsichord auf weiten Strecken entwertet. Aber kein Problem, denn es blieben nach seinem Tod im Januar 1976 Klassiker genug für endlose Neu-Auflagen, Chess-Boxen und unvollständige Gesamt-Ausgaben, von den zahllosen Samplern ganz zu schweigen. Meine Empfehlung: Wer gut Englisch kann und miterleben will, wie sich drei Blues-Größen mehr oder weniger witzig im Studio anpflaumen, der sollte mal in eine der Super-Blues-Sessions hineinhören. Und natürlich gehört die Howlin' Wolf-Chess-Box in jede ernsthafte Blues-Sammlung, für immer und ewig.


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