Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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21. Juni 1922 Wilhelm Goldmann gründet Verlag

Trotz Nachkriegsinflation gründete Wilhelm Goldmann einen Verlag. Zunächst erschienen dort v.a. Kunstbände. Der große Erfolg des Verlages begann erst 1925: mit den Krimis des bis dahin in Deutschland unbekannten Edgar Wallace. Goldmann gelang es, die Rechte aller Kriminalromane von Wallace zu erwerben. Autorin: Justina Scheiber

Stand: 21.06.2023 | Archiv

21 Juni

Mittwoch, 21. Juni 2023

Autor(in): Justina Schreiber

Sprecher(in): Irina Wanka

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Es war das leichtsinnige Projekt eines jungen Mannes, der "irgendetwas mit Kunst" machen wollte. Der erste Titel des Verlages, den Wilhelm Goldmann am 21. Juni 1922 in Leipzig gründete, machte die Ambitionen des gelernten Buchhändlers gleich klar: "Kultbauten des Islam". Öha. Ob sich die Menschen der krisengebeutelten Weimarer Republik für die Pracht der Minarette und Moscheen in Arabien oder der Türkei erwärmen konnten? Egal. Er sei anfangs ein "hemmungsloser Idealist" gewesen, sagte Goldmann vier Jahrzehnte später, als sein Verlag längst zu den großen auf dem deutschen Taschenbuchmarkt gehörte.

"Hier spricht Edgar Wallace!"

Aber bevor er realistisch wurde, musste sich der Chef eben noch ein bisschen verkünsteln. Seine zweite Publikation widmete er den "javanischen Schattenspielen". Den was? Egal. Die Deutschen hatten andere Probleme. Die Hyperinflation fraß alles auf, die Löhne sanken ins Bodenlose, während die Preise ins Unermessliche stiegen. Kurzum: eines Tages musste auch Goldmann seiner einzigen Angestellten - mit Blick auf die Bilanzen - erklären: "So kann es leider nicht mehr weitergehen!" Was tun? Wilhelm Goldmann blickte aus dem Fenster seines Büros in der Leipziger Kohlgartenstraße 20. Da klingelte das Telefon: "Hallo, hier spricht Edgar Wallace!" Na, so etwas, der in Deutschland noch unbekannte englische Krimiautor höchstpersönlich!? Das kann doch nicht wahr sein! Ist es auch nicht. Der Kontakt kam in Wirklichkeit anders zustande. Aber Hauptsache, die Story bleibt spannend. Schüsse, eine Blutspur ... was auch immer das Motiv war: Plötzlich hatte Goldmann den richtigen Riecher. "It is impossible not to be thrilled by Edgar Wallace": Der Werbespruch der englischen Kollegen stimmte haargenau. Es ist unmöglich, von Edgar Wallace nicht gefesselt zu sein.

Doch würde sich der Erfinder des modernen Thrillers, der Mann mit der langen Zigarettenspitze auf einen Deal einlassen? Der Verleger verließ seinen Elfenbeinturm, um sich ins neblige London oder besser gesagt: in die Niederungen der Trivialliteratur zu begeben. Da erklang ein markerschütternder Schrei.

Die rote Reihe

Was war geschehen? Nun, es war gar kein Schrei, es war das unbändige Lachen, das den Unternehmer ergriff, als es ihm tatsächlich gelang, die deutschen Rechte an allen Edgar-Wallace-Romanen zu ergattern. Gute Arbeit. Goldmann machte das Genre des Krimis dann hierzulande überhaupt erst bekannt, und zwar mittels billiger, schwarz-roter Broschür-Ausgaben. Die "rote Reihe", wie man sie nannte, als der Verlag nach dem zweiten Weltkrieg von München aus weiter expandierte, stand für packende Lesestunden: Die Bande des Schreckens, die drei Gerechten, der Rächer, die seltsame Gräfin, der schwarze Abt, der Joker und nicht zu vergessen: der Hexer und der Zinker, die Anfang der 1930er Jahre sogar gleich verfilmt wurden. Mord, Diebstahl, Verrat und last but not least faszinierende Verwandlungskünste legten also die Grundlage für den Erfolg des Goldmann Verlages, der es sich dann selbstverständlich auch leisten konnte, teure Bildbände oder Klassiker der Weltliteratur herauszubringen. Womit die Frage im Raum steht: war Wilhelm Goldmann wirklich der Schöngeist, für den er sich ausgab?


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