Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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19. Oktober 1533 Weltuntergang laut Pfarrer Michael Stifel

Lange hatte Pfarrer Micheal Stifel hin und her gerechnet. Aus den Buchstaben der Bibel das Datum des Weltuntergangs abgeleitet. Allerdings: Der Termin verstrich, die Welt drehte sich einfach weiter. Autor: Xaver Frühbeis

Stand: 19.10.2020 | Archiv

19 Oktober

Montag, 19. Oktober 2020

Autor(in): Xaver Frühbeis

Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Es geht im Leben zwar vieles schief, doch so schief dann auch wieder nicht. Die Welt zum Beispiel - steht noch immer. Obwohl Michael Stifel seinerzeit fest davon überzeugt war, dass sie es nicht mehr lange machen würde. Stifel kam aus Esslingen am Neckar, hat im dortigen Augustinerkloster die Priesterweihe erhalten, schloss sich aber dann der Lehre Martin Luthers an, was ihm seine Ordensbrüder übel nahmen. Er musste das Kloster verlassen. Luther verschaffte ihm ein paar Stellen als protestantischer Prediger, darunter die des Pfarrers in Lochau. Lochau liegt im Sächsischen, heute heißt der Ort Annaburg. Und dort, in Lochau, fing Stifel an, mathematische Studien zu betreiben. Und was er dabei besonders gern betrieb, war eine Sache namens "Wortrechnung".

Laut Wortrechnung…

Man vermutete damals in alten Büchern geheime Botschaften und versuchte, diese Botschaften mit Hilfe von Zahlenspielereien zu entschlüsseln. Bei Texten in lateinischer Sprache liegt der Gedanke nahe, einige Buchstaben gehen da auch als Ziffern durch. Weil es viel mehr Buchstaben gibt als römische Ziffern, dachte sich Stifel ein eigenes Zahlen-Alphabet-Entsprechungssystem aus. Er suchte interessante Stellen in der Bibel, addierte deren Zahlenwerte, die Buchstaben, die nicht so gut zu dem passten, was er vorhatte, tauschte er einfach gegen andere, günstigere aus, und hast du nicht gesehen kam Stifel zu erstaunlichen Ergebnissen.

Bemerkenswert! Und beängstigend…

Was nun den Pfarrer Stifel - und nicht nur ihn - besonders interessierte, war: das Ende der Welt. Man wollte da nicht unvorbereitet hineinschlittern, sondern rechtzeitig gewarnt sein. Also setze sich Stifel eines Tages hin und dröselte aus einer kurzen Stelle in der Offenbarung des Johannes mit seiner raffinierten Wortrechnungsmethode heraus, wann die Welt untergehen würde. Das Ergebnis war eindeutig und vor allem: es war gar nicht mehr lange hin. 19. Oktober 1533, um acht Uhr morgens. Stifel informierte Luther davon, der ihm dringend nahegelegte, die Sache nicht weiter zu verfolgen, aber Stifel war von seinen Rechnungen fest überzeugt.

Das nahe Ende der Welt hat er dann in seiner Kirche in Lochau gepredigt. Er riet seinen Schäflein, keine Felder mehr zu bestellen, vielmehr: Haus und Hof zu verkaufen und Buße zu tun. Er selber verschenkte seine Bücher, man kann ja bekanntlich nichts mitnehmen, wenn die Welt untergeht. Am Morgen des 19. Oktober dann versammelte Stifel seine Gemeinde in der Kirche. Er hielt noch eine letzte Heilige Messe und ermutigte seine Glaubensbrüder: wer ein gottgefälliges Leben gelebt habe, könne den Weltuntergang beruhigt abwarten. Doch der - kam nicht. Wer aber kam, waren Soldaten des sächsischen Kurfürsten. Die nahmen den Stifel fest, wegen groben Unfugs und weil sie ihn vor dem erbosten Volk schützen mussten. Vier Wochen lang war er in Wittenberg in Schutzhaft, dann ließen sie ihn wieder frei.

Stifel hat sich in eine kleine Pfarrei zurückgezogen, die Rechenkunst hat er nur noch für unbiblische Zwecke benutzt, und zwanzig Jahre später ist er tatsächlich noch ein sehr ehrenhafter Professor für Mathematik in Jena geworden und hat Bedeutendes geleistet. Unter anderem hat er das Wurzelzeichen erfunden, das wir heute noch benutzen. Und wenn wir heute sagen: "Da hat einer aber einen Stiefel zusammengerechnet", dann kommt das von dem Professor Michael Stifel und seinem so misslich verlaufenen Weltuntergang.


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