Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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26. Januar 1984 Song "Angelika" läuft zum ersten Mal im SFB

Ein witziger und hintergründiger Gag sollte es sein, ein Song auf die Hauptsprecherin der DDR-Nachrichten, der sich um Freiheit und Gleichheit und Demokratie drehte und im Westradio lief. Für die Besungene im Osten ging die Aktion nach hinten los. Plötzlich hatte die Stasi sie im Visier. Autor: Hartmut E. Lange

Stand: 26.01.2023 | Archiv

26 Januar

Donnerstag, 26. Januar 2023

Autor(in): Harmut E. Lange

Sprecher(in): Irina Wanka

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Songs, die Musikern oder Filmstars huldigen, gibt es einige: France Gall verneigt sich in ihrem Hit "Ella, elle l’a" vor der großartigen Ella Fitzgerald, die britische Girl-Band Bananarama erobert die Charts mit der Behauptung, "Robert De Niro is Waiting", und Barbara Schöneberger schwärmt hingebungsvoll von der französischen Kino-Ikone Isabelle Huppert.

Aber eine Nachrichtensprecherin hat noch niemand besungen - jedenfalls war das so bis zum 26. Januar 1984. In "Hey Music“, der Hitparade vom Sender Freies Berlin, wird ein neues Lied präsentiert: "Angelika, vom Fernsehn in der DDR". Gemeint ist Angelika Unterlauf, Nachrichtensprecherin der Aktuellen Kamera, die Dagmar Berghoff des Ostens.

Während der Sendung stehen die Telefone beim SFB nicht mehr still. Begeisterte Hörer bitten, die Neuvorstellung zu wiederholen, was Moderator Jürgen Jürgens auch macht. Der Sänger heißt Lonnie, hinter dem Pseudonym verbirgt sich der Country-Musiker Klaus Heilbronner, hauptberuflich Rundfunkredakteur. Die anderen ARD-Sender legen seine Single nun ebenfalls auf, das Angelika-Lied wird bundesweit bekannt. Auch in der DDR, denn hinter der Mauer werden Westsender gern gehört.

Schmachtfetzen und Politsong in einem

Der Song ist nur vordergründig der schmachtende Kontaktversuch zu einer TV-Schönheit des Ostens, vor allem wird die deutsche Teilung thematisiert: Ich bin hier und du da drüben. Wie lebst du in deiner Welt? will Lonnie wissen. Möchtest du mal nach Mallorca? fragt er die Angelika vom Fernsehn in der DDR, die auf dem Bildschirm zum Greifen nah erscheint, und doch so fern ist. Und ihn interessiert: Glaubst du wenn du Freiheit sagst, dass wir dann dasselbe meinen?

Eine Anbetung, vom Verehrer persönlich intoniert, ist das nicht seit der Zeit des Minnesangs Traum jeder Frau? Für Honeckers Vorzeige-Sprecherin eher ein Trauma. Angelika Unterlauf ist vom Anhimmeln via West-Radio überhaupt nicht begeistert, denn plötzlich hat sie die Stasi an der Hacke. Mielkes Truppe mutmaßt, dass die Schöne mit den rehbraunen Augen diesen Lonnie - der noch dazu beim Feindsender RIAS arbeitet - kenne, womöglich sogar ein Verhältnis mit ihm habe. Gemäß Lenins Motto, Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser, wird sie nicht nur verhört, auch observiert. Vor dem Hauseingang ihres Plattenbaus steht plötzlich ein Bauwagen, eine Baustelle ist aber nirgends zu sehen. Zivil gekleidete Männer huschen rein und raus, die Botschaft lautet offenbar: Big brother is watching you! Erst nach Monaten glaubt man ihr, diesen feschen Troubadour aus West-Berlin - Lonnie ist ein gutaussehender junger Mann - weder zu kennen noch ihm jemals begegnet zu sein.

Kein Happy End

Das ändert sich nach der Wende. Angelika Unterlauf arbeitet jetzt bei einem privaten TV-Sender, allerdings nur noch hinter der Kamera. Dort hat man eine tolle Idee: Lonnie trifft Angelika! Endlich! Solche Stories lieben die Zuschauer. Wie fühlen Sie sich, mit einem gut dotierten Redakteurinnen-Job, während gerade hunderttausende Ihrer Landsleute die Arbeit verlieren? will Lonnie als erstes wissen. Angelika schweigt. Licht und Kameras werden ausgeschaltet - also kein Film. Und kein Happy End.


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