Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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8. November 1307 Chronicon Helveticum setzt Datum für Rütli-Schwur fest

In der Schule lernte man ihn auswendig und deklamierte bedeutungsvoll vor sich hin. Schließlich hat Friedrich Schiller den Schwur auf dem Rütli höchst erhaben formuliert. Ganz so elaboriert war die Gründung der Schweiz kaum - und auf dem Rütli fand sie wohl auch nicht statt. Autor: Christian Jungwirth

Stand: 08.11.2022 | Archiv

08 November

Dienstag, 08. November 2022

Autor(in): Christian Jungwirth

Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Man weiß es nicht. Zumindest nicht exakt. So exakt, wie man es von der Schweiz, dem Land der Berge, Volksabstimmungen und teuren Präzisionsuhren, erwarten möchte. Ja gut ... die Franzosen haben dafür den 14. Juli - Sturm auf die Bastille -, wir Deutsche legen am
3. Oktober zur Wiedervereinigung kurz und kollektiv die Füße hoch. Und unsere Schweizer Nachbarn? Die weisen stolz den 1. August als gesetzlichen Nationalfeiertag aus. Auf diesen Tag im Jahr 1297 ist nämlich der berühmte Bundesbrief datiert, der bis heute als Gründungsdokument der Eidgenossenschaft gilt.

Alles anders datiert

Doch darf dieses Datum wirklich als Geburtsstunde der Schweizer Nation firmieren? Oder folgt man eher dem Geschichtsschreiber Aegidius Tschudi, der um 1550 herum die eigentliche Gründungslegende, den sogenannten Rütlischwur, in seinem "Chronicon Helveticum" auf den 8. November 1307, den Mittwoch vor Martini, notiert? Wir werden es wohl nie exakt erfahren. Weil der Mythos, wie diese Schweiz vor der Geschichte als Nation zusammenfindet, ist mindestens so mächtig und verzweigt wie deren Bergmassive.

Es ist kompliziert

Alles beginnt, wie soll es anders sein, mit Unterdrückung, gierigen Herrschern und geknechtetem Volk. Die Habsburger und deren regional verzweigte Handlanger bevormunden und schinden im Mittelalter auch das Landvolk der Urkantone Uri, Schwyz und Unterwalden. Not und Elend eskalieren, die Rebellion bricht sich Bahn. Und wo Widerstand nebst Kampfhandlungen Platz greifen soll, muss selbiges erstmal korrekt verabredet werden. Jetzt kommt Friedrich Schiller ins Spiel.

"Wir wollen sein ein einig Volk von Brüdern, in keiner Not uns trennen und Gefahr. Wir wollen frei sein, wie die Väter waren, eher den Tod, als in der Knechtschaft leben." So leitet Schwabe Schiller bei "Wilhelm Tell" den weltberühmten Schwur ein, zu dem drei Rebellenanführer die Finger in den Nachthimmel überm Vierwaldstättersee emporrecken. Auf ebenjener Rütliwiese. Um einen ewigen Bund zu besiegeln.

Und exakt hier beißt sich die Katze der Geschichtsschreibung in den Schwanz. Weil besagter Aegidius Tschudi - und jetzt wird´s kurz kompliziert - stellt den Schwur der Ur-Eidgenossen Fürst, Stauffacher und von Melchtal gar nicht auf dem Rütli dar. Diese Wiese oberhalb des Sees gilt Tschudi vielmehr nur als regelmäßig genutzter Treffpunkt einer sich beständig vergrößernden Rebellenclique. Im Klartext also: mythisches Fingerheben möglicherweise ganz woanders als bei Schiller. Aber: Meetingpoint des Volksaufstandes und somit ewiges Nationaldenkmal ist und bleibt im Herzen der Schweizer besagte sechs Hektar große Grünflache. Ach ja, und die Datumsfrage? Seit 1889 hat sich bei unseren Nachbarn der
1. August als Bundesfeiertag durchgesetzt. Vielleicht keine so schlechte Idee: Spätsommer, ein arbeitsfreier Tag, vielerorts nächtliches Feuerwerk in lauer Luft ... Und der 8. November samt erhabenem Schwur? Ist halt dann Gründungstag der Herzen.


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