Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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15. September 1985 Martin Scorseses Film "After Hours" läuft an

Ein weltberühmter Regisseur, den die Kritik hofiert, für den aber niemand ins Kino geht? Vor dem Dilemma steht Martin Scorsese. Um beim Publikum zu Punkten holt er den deutschen Kameramann Michael Ballhaus nach Hollywood - dessen Bilder wollen alle auf der Leinwand sehen. Autor: Hartmut E. Lange

Stand: 15.09.2022 | Archiv

15 September

Donnerstag, 15. September 2022

Autor(in): Hartmut E. Lange

Sprecher(in): Krista Posch

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Drehpause an einem Filmset in Bayern. Regisseur, Kameramann und Hauptdarsteller stehen abseits vom Team, besprechen die nächste Szene. Ein Handy klingelt. Der Kameramann kramt sein Smartphone hervor. OHNE aufs Display zu schauen sagt er: Sorry, ich muss da rangehen - Hollywood! Natürlich melden sich weder die Universal Studios noch Warner Brothers, es ist seine Tochter. Der Traum von der Hollywood-Karriere - immer gut für einen Witz. Doch manchmal geht er in Erfüllung.

Drehen in Hollywood

Berlinale 1981. Im Zoo Palast schließt sich der Vorhang, tosender Beifall ertönt: für den Eröffnungsfilm "Raging Bull", und für Regisseur Martin Scorsese. Im Publikum sitzt auch Kameramann Michael Ballhaus. Er flüstert seiner Frau ins Ohr: Mit dem würde ich gern mal drehen. Jahrzehnte später schreibt er in seinen Memoiren: Das war als wünschte ich mir, zum Mond zu fliegen.

Ballhaus spielt in der ersten Liga des westdeutschen Kinos, namhafte Regisseure haben von seinen ausdrucksstarken Bildern profitiert, besonders Rainer Werner Fassbinder. 16 Filme hat er mit Ballhaus gemacht - die kennt man auch in Amerika.

Zwei Jahre später. Ballhaus dreht in Portugal, da klingelt das Telefon in seinem Hotelzimmer. Und dann fragt auf der anderen Seite des Atlantiks Martin Scorsese, ob Ballhaus Lust hätte, seinen nächsten Film zu drehen. Scorsese ist von den dynamischen Bildern des Deutschen beeindruckt. Und er weiß, dass Fassbinder meist knappe Budgets hatte, trotzdem hat Ballhaus immer große Filmkunst geliefert. So einen Mitstreiter braucht Scorsese, denn er steckt in einer Krise.

Seine letzten Filme wurden von der Kritik gelobt, aber vom Publikum verschmäht - zwei finanzielle Flops! Scorsese braucht unbedingt einen Erfolg. Der geplante Film: eine Komödie. Der Drehort: Manhattan. Das Budget: bescheiden - 4 Millionen Dollar. Die Aufgabe: riesig. Nur 40 Drehtage! Scorsese plant 500 Einstellungen für "After Hours". Das bedeutet, 12 bis 14 Einstellungen pro Tag. Normalerweise drehe ich 5 bis 6, gesteht er mit fragendem Blick zu Ballhaus. Der Berliner nickt: Wir schaffen das!

Kleiner Film, große Karriere

Am 15. September 1985 läuft "After Hours" in den amerikanischen Kinos an. Der Film ist kein Blockbuster, spielt aber mehr als das Doppelte der Herstellungskosten ein. Scorsese gewinnt nicht nur die Goldene Palme in Cannes, sondern - viel wichtiger - das Vertrauen der Produzenten zurück. 

Für Ballhaus wird der Film zum Ticket nach Hollywood. An der Westküste hat sich herumgesprochen, dass Scorsese diesen schnellen und effizienten Kameramann aus Germany hat. Ab jetzt dreht Ballhaus mit den ganz Großen der Branche: Francis Ford Coppola, Wolfgang Petersen, Robert Redford, und immer wieder Martin Scorsese.
32 Filme in 20 Jahren, dreimal wird er für den Oscar nominiert.

Auch die Stars der Popmusik wollen nur von den Besten abgelichtet werden. Ballhaus dreht Musikvideos für Madonna und Bruce Springsteen, für Prince einen 90-Minüter. Der Film heißt "Under The Cherry Moon", er wird von der Presse verrissen. Ein Kritiker meint: Sollte es überhaupt einen Grund geben, sich diesen Film anzuschauen, dann, weil ihn Michael Ballhaus fotografiert hat.


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