Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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20. Juni 1977 Manfred Krug verlässt die DDR

Er war einer der bedeutendsten Künstler der DDR. Bis er Ende 1976 das Protestschreiben gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann unterzeichnete. Manfred Krug wurde mit Berufsverbot bestraft. Krug ging in den Westen, wurde auch dort Publikums-Liebling und noch geraume Zeit von der Staatssicherheit beschattet. Autor: Hartmut E. Lange

Stand: 20.06.2023 | Archiv

20 Juni

Dienstag, 20. Juni 2023

Autor(in): Hartmut E. Lange

Sprecher(in): Irina Wanka

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Thomas Morawetz

Berlin, Grenzübergang Bornholmer Straße. Dicke Westwagen fahren täglich über die Brücke zwischen Ost-und West-Berlin, sie haben bundesdeutsche Kennzeichen oder rote Diplomaten-Schilder. Aber ein S-Klasse Mercedes mit Ost-Berliner Nummernschild? So was gibt’s eigentlich gar nicht. DDR-Bürger können sich - wenn überhaupt - einen Trabi, Wartburg oder Lada leisten.
Am 20. Juni 1977 passiert also ein unglaubliches Gefährt die Mauer, im Schlepptau einen Hänger mit Umzugsgut, gefolgt von einem VW Käfer mit Ehefrau Ottilie und den drei Kindern an Bord.
Auf der Westseite lauert ZDF-Korrespondent Dirk Sager mit seinem Team. Tut es weh, die DDR zu verlassen? will er als erstes wissen.

Der stämmige Mann am Steuer wendet sich ab, ihm kommen die Tränen. Ich trauere nicht um diese DDR, die ich verlasse. Aber um mein Publikum, und um meine Freunde. Der Journalist bohrt weiter. Glauben Sie im Westen wieder als Schauspieler fußzufassen?
Die Antwort ist die eines Unbeugsamen. Wenn ich keine Filmangebote bekomme, dann fahr ich eben Taxi! Manfred Krug ist der berühmteste Film- und TV-Star der DDR. Auch als Sänger erfreut er sich landesweiter Popularität, seine Konzerte sind immer ausverkauft, die Schallplatten gehen weg wie warme Semmeln. Im November 1976 gehört er zu den prominenten Unterzeichnern des Protestschreibens gegen die Biermann-Ausbürgerung.

Vom Filmstar zum Staatsfeind

Die Genossen reagieren mit voller Härte, der aufmüpfige Schauspieler wird kaltgestellt: alle geplanten Filmprojekte werden abgesagt. Plötzlich ist der Promi arbeitslos und Staatsfeind. Seine Konzerte sind weiterhin ausverkauft, doch am Veranstaltungsabend bleiben die Säle halbleer.
Die SED kauft massenweise Karten und boykottiert die Shows.
In den vorderen Reihen sitzen nicht wie üblich Krugs größte Fans, sondern demonstrativ gelangweilte Stasi-Leute. Im Februar 1977 bestätigt SED-Chef Honecker im Interview mit der Saarbrücker Zeitung, dass rund 10.000 DDR-Bürger Ausreiseanträge gestellt haben. Im April kommen weitere fünf dazu: Krug hat die Schikanen satt, er will mit seiner Familie das Land verlassen. Die DDR-Führung ringt um ihren Publikumsliebling, Politbüromitglied Werner Lamberz verspricht das Berufsverbot aufzuheben. Aber der geforderte Preis ist für Krug inakzeptabel: niemals wird er seine Unterschrift auf dem Protestbrief zurücknehmen.

Gesamtdeutscher Fernsehliebling

In München sucht die Bavaria-Film einen charismatischen Schauspieler mit Führerschein, nicht für Taxis, sondern für Trucks. 1978 beginnen die Dreharbeiten; die ARD-Serie Auf Achse wird Krugs erster großer Erfolg im Westen. Während er in 86 Folgen mit seinem Brummi durch die Welt donnert, schreibt zuhause Jurek Becker seinem Kumpel Manne eine Anwalts-Rolle auf den Leib: Die Serie Liebling Kreuzberg wird ein Quotenhit im Ersten. Es folgen lukrative Werbe-Spots, und 41 Tatort-Folgen. Hauptkommissar Paul Stöver spielt und singt sich in die Herzen der Zuschauer. SED-Funktionär Lamberz hatte Krug prophezeit, dass er im Westen niemals die Berühmtheit erreichen werde, die er in der DDR hat. Ein Irrtum: Manfred Krug wird gesamtdeutscher Fernsehliebling.


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